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Einleitung

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Obwohl Schlucken für uns alle selbstverständlich ist und meist unbewusst verläuft, ist es eine der komplexesten Funktionen des menschlichen Organismus. Essen und Trinken zu können ist nicht nur lebensnotwendig, sondern bildet auch einen wesentlichen Teil der Lebensqualität. Da der Schluckvorgang sowohl willkürliche als auch reflektorische Anteile enthält, die phasenhaft ablaufen, ist er mit einer einfachen Bewegung, wie beispielsweise das Heben einer Hand oder das Laufen nicht zu vergleichen. Er wird von einem komplexen Netzwerk neuronaler Zentren und Nervenbahnen gesteuert, die verschiedene Ebenen des zentralen und peripheren Nervensystems involvieren und miteinander verbinden (Hamdy et al. 1996; Warnecke und Dziewas 2018).

Die Fähigkeit zu schlucken beginnt bereits in einem frühen Stadium der pränatalen Entwicklung, etwa in der zwölften fötalen Lebenswoche (Dellow 1976) und modifiziert sich im frühen Kindesalter über das Saugen bis hin zur Nahrungsaufnahme im Erwachsenenalter, wobei sich die Ausformung des Kaumusters erstmalig mit dem Durchbruch der Milchzähne vollzieht (Graber 1963). Wie die Fähigkeit zu atmen, begleitet es uns während der gesamten Lebensspanne und ist dabei ähnlichen Alterungsprozessen unterworfen, wie auch viele andere Funktionen des menschlichen Organismus. Dementsprechend können Schluckstörungen in allen Altersgruppen auftreten, unterschiedliche Aspekte des komplexen Schluckvorgangs entweder isoliert oder gleichermaßen betreffen und eine Vielzahl ätiologischer Faktoren als Ursache aufweisen. So unterscheidet man Schluckstörungen, die bereits im frühen Kindesalter, beispielsweise aufgrund von Geburtstraumen oder Entwicklungsstörungen auftreten, von Dysphagien im Erwachsenenalter, denen neben neurologischen Ursachen, wie Schlaganfällen, Parkinson-Syndromen oder Demenzen, auch Tumor- oder Skeletterkrankungen zugrunde liegen. Insbesondere in der Geriatrie treffen derartige Erkrankungen auf eine bereits durch das Alter modifizierte Schluckfunktion (sog. »primäre Presbyphagie«), was für die Diagnostik und Behandlung dieser Patientenklientel eine besondere Herausforderung darstellt (Keller und Durwen 2012; Prosiegel 2005b; Rofes et al. 2011).

Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Lebensalter auch die Dysphagieprävalenz exponentiell ansteigt. Diese liegt in der Gesamtbevölkerung bei etwa 13 % der > 65-Jährigen und betrifft mehr als 50 % der Altenheimbewohner (Clavé et al. 2012; Clavé und Shaker 2015). Außerdem konnten Rittig et al. (2009) zeigen, dass bei dysphagischen geriatrischen Patienten die mediane stationäre Verweildauer in Akutkliniken um drei und in rehabilitativen Einrichtungen um fünf Tage verlängert war, was einen nicht unerheblichen Kostenfaktor in Bezug auf das DRG-System darstellt.

Die somatischen Folgen von Schluckstörungen sind meist schwerwiegend und reichen von Dehydrierung, erschwerter Medikamenteneinnahme, Malnutrition bis hin zu Aspirationspneumonien (Ekberg et al. 2002; Marik und Kaplan 2003). Insbesondere bei älteren Patienten kann dies eine verzögerte Rekonvaleszenz oder in letzter Konsequenz sogar den Tod bedeuten (De Pippo et al. 1994; Gottlieb et al. 1996; Smithard et al. 1996).

Da die Nahrungsaufnahme ein elementares Grundbedürfnis des Menschen ist, haben Dysphagien auch teils erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen.

Dies macht deutlich, dass es sich bei Schluckstörungen, wie es der Terminus suggerieren mag, nicht ausschließlich um eine Funktionseinschränkung im engeren Sinne handelt, sondern vielmehr alle drei Ebenen der ICF (engl.: »International Classification of Functioning, Disability and Health«), wie Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten sowie die gesellschaftliche Teilhabe, betroffen sein können (Prosiegel 2005a).

Vor diesem Hintergrund muss die Behandlung von Schluckstörungen multiprofessionell ausgerichtet sein und setzt eine akkurate und interdisziplinäre Diagnostik voraus, die eine detaillierte Evaluation der individuellen Symptomatik sowie deren Pathogenese zum Ziel hat. Dieser diagnostische Prozess, der sich je nach Ätiologie in unterschiedlichen Verfahren abbildet, involviert verschiedene Berufsgruppen, wie Gastroenterologen, Geriater, HNO-Ärzte, Neurologen, Radiologen und Sprachtherapeuten und soll Gegenstand der weiteren Ausführungen sein.

Schluckdiagnostik

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