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4 Pathophysiologie des Schluckaktes

Dysphagien können alle Etagen des oropharyngo-ösophagealen Traktes betreffen und sich somit auch auf alle Phasen des Schluckaktes auswirken. In vielen Fällen ist es dabei möglich, den verschiedenen Grunderkrankungen Leitsymptome zuzuordnen (Prosiegel und Weber 2010; Warnecke und Dziewas 2018). Im Folgenden werden die wesentlichen dysphagischen Symptome dargestellt und ihr pathophysiologischer Hintergrund erläutert ( Tab. 4.1):

4.1 Dysphagiesymptome und ihr pathophysiologischer Hintergrund

In aller Regel sind dysphagische Symptome phasenspezifisch. Ihnen können spezifische Dysfunktionen zugeordnet werden. Ein unkontrolliertes Entweichen von Bolusmaterial entweder nach vorne aus dem Mundraum (sog. »anteriores Leaking«) oder nach hinten in den Pharynx (sog. »posteriores Leaking« oder »Pooling«) wird als »Leaking« bezeichnet. Beide Formen resultieren aus einer Störung der oralen Phase im Rahmen eines reduzierten Lippen- bzw. glossovelaren Abschlusses. Zu unterscheiden ist das Leaking von einer verzögerten Schluckreflextriggerung, welche durch eine reduzierte pharyngeale Sensibilität entsteht. Davon abzugrenzen ist das sog. »Drooling«, was sich auf einen Speichelverlust aus dem Mundraum bezieht und weniger mit einer Hypersalivation in Verbindung steht, sondern häufig eine reduzierte Schluckfrequenz als Ursache aufweist. Ein endolaryngeales Eindringen von Bolusmaterial wird, wenn es die Region oberhalb der Stimmbänder oder diese selbst betrifft, als »Penetration « bezeichnet. Erreicht der Bolus die Region unterhalb des Stimmbandniveaus und damit die Trachea, so wird dies »Aspiration « genannt. Als eine der schwerwiegendsten Folgen von Dysphagien, kann sie zu einer sog. »Aspirationspneumonie« führen, insbesondere dann, wenn sie ohne reflektorischen Husten einhergeht (sog. »stille Aspiration«) (Leder et al. 1998; Ramsey et al. 2005). Penetrations- und Aspirationsereignisse werden in Bezug auf ihre zeitliche Relation zum Schluckreflex in prä-, intra- und postdeglutitive Penetrationen bzw. Aspirationen unterteilt.

Orale, pharyngeale oder ösophageale Residuen bezeichnen in der Schluckpassage verbliebenes Bolusmaterial und sind Ausdruck eines insuffizienten bzw. inkompletten Bolustransfers. Sie können, in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Dysfunktion, in unterschiedlichen Spalträumen der Schluckpassage verbleiben. So ist z. B. der pathophysiologische Hintergrund von Residuen in den Valleculae häufig eine reduzierte Zungenbasisretraktion, wohingegen Bolusreste an der Postkrikoidregion auf eine Öffnungsstörung des oberen Ösophagussphinkters hindeuten (Pluschinski und Blonder 2009). Als »Odynophagie « wird ein schmerzhaftes Schlucken bezeichnet, was häufig im Zusammenhang mit pharyngealen Raumforderungen und entzündlichen Prozessen im Pharynx oder Larynx beschrieben wird (Walther 1991). Bei der klassischen Passagestörung des pharyngoösophagealen Übergangs, dem Zenker-Divertikel, können unverdaute Nahrungsbestandteile in der Schleimhauttasche verbleiben und regurgitiert werden ( Kasuistik 6.14.2 und Kasuistik 6.14.3). Letztlich kann auch ein gastroösophagealer Reflux zu pharyngo-laryngealen und ösophagealen Schleimhautalterationen sowie Aspirationen führen.

In der nachfolgenden Tabelle sind die wesentlichen Symptome oropharyngealer Dysphagien sowie ihre Definition dargestellt:

Tab. 4.1: Symptome oropharyngealer Dysphagien und ihre Definition


SymptomDefinition

* Globus- und Fremdkörpergefühl können auch als unspezifische Symptome im Rahmen ösophagealer Dysphagien auftreten.

Einen Überblick über spezifische Dysphagiesymptome neurogener Dysphagien sowie deren pathophysiologischen Hintergrund geben Warnecke und Dziewas (2018).

4.2 Presbyphagie

Im Rahmen des normalen Alterns kommt es u. a. durch den Abbau von Muskelmasse (»Sarkopenie«), die insbesondere schnelle (Typ-II-)Muskelfasern betrifft, der Abnahme der Bindegewebselastizität sowie synaptischer Vernetzungen im zentralen Nervensystem, auch zu Veränderungen der Schluckphysiologie (Achem und Devault 2005). Diese sog. »primäre Presbyphagie«, kann dabei alle Phasen der Schlucksequenz betreffen (Logemann 1990). Entsprechend wurden eine verlängerte orale und pharyngeale Transitzeit sowie eine verzögerte Schluckreflexlatenz beobachtet (Ekberg und Feinberg 1991; Nilsson et al. 1996; Robbins et al. 1992). Auch eine reduzierte mukosale Sensibilität und Abnahme von Geschmack- und Geruchssinn können sich negativ auf die Schluckfunktion auswirken. Doch gerade, weil diesen physiologischen Veränderungen kein Krankheitswert beigemessen werden kann, ist die Abgrenzung von pathologischen Befunden in der Praxis häufig schwierig. Ein Pathologisieren derartiger normaler Alterungsprozesse kann zudem eine ungerechtfertige Restriktion der oralen Nahrungsaufnahme oder andere, die Lebensqualität älterer Patienten unnötig einschränkende, Maßnahmen nach sich ziehen.

Darüber hinaus haben verschiedene Studien der letzten Jahre gezeigt, dass es offensichtlich – als Reaktion auf die altersbedingten Veränderungen der Schluckfunktion – zu adaptierenden zerebralen Veränderungen und kompensatorischen Mechanismen des alternden Gehirns in Form einer zunehmend bilateralen kortikalen Steuerung kommt (Teismann et al. 2010). Dies zeugt von einer nicht unerheblichen neuronalen Plastizität des alternden Gehirns. Solche Erkenntnisse sind auch für die Behandlung schluckgestörter älterer Patienten von Bedeutung. Zeigen sie doch, dass das Altern nicht ausschließlich als ein stetiger Abbauprozess zu verstehen ist, sondern sich in einem flexiblen und anpassungsfähigen System mit entsprechender Reservekapazität vollzieht.

In diesem Zusammenhang werden jedoch zwei Aspekte bedeutsam: Zum einen ist damit zu rechnen, dass im höheren Lebensalter die Häufigkeit von mit dysphagienassoziierten Erkrankungen zunimmt (sog. »sekundäre Presbyphagie«), zum anderen ist mit dem Altern auch eine sukzessive Reduktion der funktionellen Reservekapazität des Organismus verbunden (Schröter-Morasch 2018b). Dieser Abbau von Kompensationsmöglichkeiten geht mit einem zunehmenden Morbiditätsrisiko einher (Mager 1999).

So sind in Bezug auf Dysphagien bei älteren Menschen unterschiedliche pathophysiologische Konstellationen möglich, die sowohl neurogen bedingte Störungen des zentralen Schlucknetzwerks als auch Alterationen der am Schluckvorgang beteiligten anatomischen Strukturen involvieren. (Kolb und Vogel 2000; Prosiegel 2005b). Allerdings sollten Beeinträchtigungen des Schluckens bei älteren Patienten auch nicht vorschnell mit einem physiologischen Alterungsprozess gleichgesetzt werden, da dies zu einem Verzicht auf eine akkurate Diagnostik und auf eine entsprechende Behandlung führen könnte (Turley und Cohen 2009). Einen systematischen Überblick zu Dysphagien im Alter findet sich bei Keller und Durwen (2012).

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