Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 113
4.
ОглавлениеWo ſteht unſre Deutſche Sprache? Jn allen Staaten iſt zu unſrer Zeit die Proſe die Sprache der Schriftſteller, und die Poeſie eine Kunſt, die die Natur der Sprache verſchoͤnert, um zu gefallen. Gegen die Alten und gegen die wilden Sprachen zu rechnen, ſind die Mundarten Europens mehr fuͤr die Ueberlegung, als fuͤr die Sinne und die Einbildungskraft.
Die Proſe iſt uns die einzig natuͤrliche Sprache, und das ſeit undenklichen Zeiten geweſen — nun ſollen wir dieſe Sprache ausbilden? Wie kann das ſeyn? Entweder zur mehr dichteriſchen Sprache, damit der Stil vielſeitig, ſchoͤn und lebhafter werde; oder zur mehr Philoſophiſchen Sprache, damit er einſeitig, richtig und deutlich werde; oder wenn es moͤglich iſt, zu allen beiden.
Das lezte kann in einem gewiſſen Grade geſchehen; und muß nach unſrer Zeit, Denkart und Nothwendigkeit auch geſchehen. Alsdenn werden wir zwar von beiden Seiten nicht die hoͤchſte Stuffe erreichen, weil beide Enden nicht einen Punkt ausmachen koͤnnen; allein wir werden in der Mitte ſchweben, und von den ſinnlichen Sprachen durch Ueberſezzungen und Nachbilden borgen; anderntheils durch Reflexionen der Weltweisheit das geborgte haushaͤlteriſch anwenden. Wir werden fuͤr neue Buͤrger Vortheile ausmachen; und nicht dem Spartaniſchen Eigenſinn nachahmen, der allen fremden Ankoͤmmlingen und Gebraͤuchen den Eintritt verſagt; wir werden aber auch, ſo wie die Akademie della Cruſca, und Johnſon in ſeinem Woͤrterbuch, die Landeskinder zaͤhlen, ordnen und gebrauchen, ſo daß die fremde Kolonien blos die Maͤngel des Staats unterſtuͤzzen doͤrfen. — Man bilde alſo unſre Sprache durch Ueberſezzung und Reflexion.
Man ſehe die meiſten Vorſchlaͤge zur Bildung der Sprache, und ſie fallen in ein Aeuſſerſtes, ſtatt das Mittel zu halten. Einige entwerfen einen Plan zur Philoſophiſchen Sprache; andere wollen ſie allein auf die dichteriſche Seite lenken. Daß, wenn beide etwas wirken, beide einander die Stange halten, macht das Gluͤck unſrer Sprachenverbeſſerung.