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Inhaltsverzeichnis

Das Hauptgeſez bei der Verbindung der Worte zu einer ganzen Jdee iſt folgendes: 28 „Man laſſe mehrere Jdeen, die zuſammen einen Gedanken ausmachen ſollen, in der Ordnung folgen, die der Faßlichkeit des Gedankens, und dem jedesmaligen Zwecke des Redenden gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des „Redenden in tauſend Faͤllen einerlei ſeyn; „alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Conſtruktionsordnung geben. Hundert mal „aber gibt es einen beſondern Zweck des Redners, und denn iſt die Sprache die beſte, „welche raͤumig gnug aufgeſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach dieſem Zwecke wenden zu „koͤnnen.„

Stellet euch zwei Geiſter vor, die ſich einander ihre Gedanken, und blos Gedanken unmittelbar mittheilen; ſo wird die Ordnung, in der das eine Weſen ſie denket, auch zugleich die ſeyn, in der ſie das andere erblicket. So wie die Jdeen bei dem einen ſich entweder aus ſeinem innern Grunde hervorwickeln, oder ſo wie es ſie aus den Dingen außer ſich ſchoͤpfet: ſo theilet es dieſelben auch mit. Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedanken einer andern Vernunft ſaget: gehet alſo den gewoͤhnlichen Pfad der Zuſammenſezzung der Begriffe; ſie zeiget den Gegenſtand zuerſt und ihr Urtheil daruͤber an. Hier iſt alſo der Bau eines Perioden ſo regelmaͤßig beſtimmt, daß, nach der Arabiſchen Proſodie zu reden, jedes Wort einen Pfoſten und Saͤule ausmacht, der eben hier an ſeinem Orte ſtehet.

Betrachtet eine Philoſophiſche Sprache; waͤre ſie von einem Philoſophen erdacht: ſo huͤbe ſie alle Jnverſionen auf: kaͤme eine allgemeine Sprache zu Stande: ſo waͤre bei ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede Ordnung ſo beſtimmt, als in unſrer Dekadik. So lange wir aber noch keine durchaus Philoſophiſche Sprache haben, die blos fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: ſo nehmt die, die am meiſten zur Weltweisheit gebraucht wird, die Lateiniſche, nehmt ſie, wie ſie in den Buͤchern der Weltweisheit iſt, wenn ſie Lehrſaͤzze und trockene Beweiſe vortraͤgt; wie iſt ſie? ohne Jnverſionen meiſtentheils.

Nun ſtellet euch zwei ſinnliche Geſchoͤpfe vor, davon der eine ſpricht, der andre hoͤret: Dem erſten iſt das Auge die Quelle ſeiner Begriffe; und jeden Gegenſtand kann er in verſchiedenen Geſichtspunkten ſehen; dem andern zeiget er dieſen Gegenſtand, und es kann auf eben ſo verſchiedenen Seiten geſchehen. Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen dieſer Gegenſtaͤnde: ſo habt ihr den Urſprung der Jnverſionen. Je mehr ſich alſo die Aufmerkſamkeit, die Empfindung, der Affekt auf einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem andern auch eben dieſe Seite zeigen, am erſten zeigen, im helleſten Lichte zeigen — und dies iſt der Urſprung der Jnverſionen. Ein Beiſpiel: Fleuch die Schlange! ruft mir jemand zu, der mein fliehen zu ſeinem Hauptaugenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. — Die Schlange fleuch! ruft ein anderer, der nichts geſchwinder will, als mir die Schlange zeigen; fliehen werd ich von ſelbſt, ſo bald ich von ihr hoͤre. — Er hat mir das Geld geſtohlen; und kein anderer; Er hat mir das Geld geſtohlen; ich weiß es gewiß; das Geld hat er mir geſtohlen (und keinen Ring); Mir hat er das Geld geſtohlen, und keinem andern; geſtohlen hat er mir das Geld (nicht abgeborgt): wie viel Veraͤnderung macht hier nicht die Jnverſion in der Wendung des Gedankens.

Entſpringt alſo die Jnverſion von der ſinnlichen Aufmerkſamkeit: ſo muß bei einer noch ganz ſinnlichen Nation ihre Sprache unregelmaͤßig und voll Veraͤnderungen ſeyn: wie die Gegenſtaͤnde ins Auge fallen, ſo ſaget ſie dieſelbe; eine Grammatikaliſche Conſtruction iſt noch nicht eingefuͤhrt. So ſind noch jetzt die Sprachen der Wilden, und alle alte Sprachen, die urſpruͤnglich ſind, und das Gepraͤge der erſten ſinnlichen Lebensart fuͤhren, ſind voll Jnverſionen. Geberden, und Accent kommt zu Huͤlfe, um dies Chaos von Worten verſtaͤndlich zu machen. — Noch immer ſpricht man von den aͤlteſten Sprachen, als waͤren ſie von GOtt, oder einem Philoſophen erfunden, und waͤren aus ſeinem Gehirn mit aller Ruͤſtung geſprungen, wie Pallas aus dem Gehirn des Jupiters. Alles, was wir ſchoͤnes in den aͤlteſten Sprachen finden: iſt erſt ſpaͤter in ſie gekommen, nur wir kennen die erſten unfoͤrmlichen Zeiten nicht; daher ſcheinen ſie uns gleich im Anfange im Glanz. Nehmet das ſinnreichſte Spiel, wo ein Euler durch die Berechnung der Faͤlle der Wahrſcheinlichkeit die weiſeſte Anordnung entdeckt; iſt es im Anfange ſo geweſen — nichts als eine Zuſammenhaͤufung ungefaͤhrer Wuͤrfe; eine Folge von Verſuchen, bis Verſuche endlich Kunſt in daſſelbe brachten —

So bald gewiſſe Dinge mit beſtimmten Worten fortgepflanzt wurden; wie dies durch die erſten Lieder geſchahe; ſo fieng ſich dieſes unordentliche Chaos an zu ſenken; man ſuchte die Ordnung der Worte aus, die dem Lernenden am faßlichſten waren; das Sylbenmaas muſte ſie einpaſſen, und ſo ward ſie zwar kein Geſez, keine Regel, aber ein Muſter, ein Praͤjudicat: und man weiß, daß alle Voͤlker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe ſie Geſezze haben. Die Gebraͤuche werden zu Gewohnheiten, und ſo ward auch die Conſtruktionsordnung dazu, doch daß ihre Uebertretung noch keine Suͤnde war.

Endlich naͤherte ſie ſich dem Anſehen eines Geſezzes, da die Buͤcherſprache aufkam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die Jnverſionen erlaͤutert hatte. „Denn dem „Sprechenden helfen ſeine Gebaͤrden und der „Ton der Stimme den wahren Verſtand beſtimmen; da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.„ 29 Man muſte alſo einer gewiſſen Ordnung folgen, um dem Leſenden verſtaͤndlich zu werden; indeſſen war dieſe noch ſehr frei, wie die urſpruͤnglichen aͤlteſten Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter bezeugen, denen keine neuere Sprache ihre Veraͤndrungen nachmachen kann.

Man beſtimmte die Ordnung der Worte ſo lange, bis man endlich den Proſaiſchen Perioden herausdrechſelte, der der Ordnung der Jdeen, ſo wie ſie ſich der Verſtand bildet, folgte, und doch auch das Ohr und das Auge zu Rathe zog. Und er ward alſo in ſeiner Struktur eine Anordnung von Bildern, ſo wie ſie ſich dem Auge darſtellen wuͤrden, von Jdeen, wie ſie ſich der Verſtand denkt, von Toͤnen, wie ſie das Ohr fodert, daß es mit Wohlluſt erfuͤllet werde. Der bloße Verſtand, der nichts mit Auge und Oho zu thun hat, folgt blos der Ordnung der Jdeen, und hat alſo keine Jnverſionen; ſo iſt der Logiſche Periode. Er verwirft jede Veraͤnderung, weil das Einfache das einzige Deutliche iſt, und jede Jnverſion wenigſtens einen moͤglichen Fall macht, daß eine doppelte Beziehung entſpringen kann.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

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