Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 117
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ОглавлениеVon der andern Seite hat man, um unſre Sprache auszubilden, ſo ſehr die Ueberſezzungen angerathen, daß ich hieruͤber eine merkwuͤrdige Stelle der Litteraturbriefe anfuͤhre: 18
„Der wahre Ueberſezzer hat eine hoͤhere „Abſicht, als den Leſern fremde Buͤcher ver„ſtaͤndlich zu machen; eine Abſicht, die ihn zum „Range eines Autors erhebt, und den kleinen „Kraͤmer zum Kaufmann umſchnizzt, der „wirklich den Staat bereichert.
„Dieſe Abſicht iſt nun keine andere, als „ſeiner Mutterſprache vortrefliche Gedanken „nach Muſter einer vollkommenern Sprache an„zupaſſen. So machte Apoll, daß Achilles „Ruͤſtung Hektorn ſo gerecht war, als ob ſie „auf ſeinen Leib verfertiget worden. Ohne „Verſuche, die mit dieſer Abſicht verknuͤpft „ſind, kann keine rohe Sprache vollkommen, „kann kein Proſaiſte in derſelben vollkommen werden.
„Zu eignen Verſuchen uͤber die Bildung „der Sprache haben nur die oͤffentlichen Red„ner Anmunterung genug, und die groͤſte Zahl „dieſer Verſuche iſt vergeblich; aber man „thue es durch Verſuche nach einer beſſern „Sprache. Dieſe ſtellt uns ſchon viele Be„griffe deutlich dar, dazu wir Worte ſuchen „muͤſſen, und ſtellt dieſe Begriffe ſo ne„ben einander vor, daß uns neue Verbindungen noͤthig werden. Von dem Wohlklange jetzt nicht zu reden, der beſſer gemeſſen „werden kann, wenn immer das Ohr unmittelbar vorher von einem Perioden ſehr richtig angefuͤllet geweſen.
„Was fuͤr anſehnliche Vortheile muͤßten „nicht unſrer Sprache zuwachſen, wenn ſie „ſich an die Griechiſche und Lateiniſche Sprache, ſo viel als moͤglich, anſchmiegen lernte, „und ihre Geſchmeidigkeit den Augen des „Publikum zeigte! Dieſe Ueberſezzungen koͤnnten unſre Claßiſche Schriftſteller werden. „An den Gedanken waͤre nichts auszuſezzen, „weil auf dieſe laͤngſt das Siegel der Vortreflichkeit gedruckt worden: und die Sorgfalt in Erhaltung der Harmonie ihres Ausdrucks, wuͤrde auch ſo viel Wohlklang in „unſre Sprache uͤbertragen, als ihr Genie „erlaubte. Geſellen ſie zu dieſen Alten noch einige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, „und deren Sprache mit der unſrigen verwandt „iſt: was wuͤrden wir nicht unſern Ueberſezzern zu verdanken haben? und ſie wuͤrden auch mit unſrer Dankbarkeit zufrieden „ſeyn, woruͤber Ebert ihnen die Gewaͤhr leiſten kann, den wir als einen vortreflichen „Ueberſezzer mit Recht unter unſre beſten „Schriftſteller rechnen. Fehlt es uns denn „an der Tugend, quae ſerit arbores, vt alteri ſeculo proſint!„
Der wahre Ueberſezzer ſoll alſo Woͤrter, Redarten und Verbindungen ſeiner Mutterſprache aus einer ausgebildetern anpaſſen: aus der Griechiſchen und Lateiniſchen vorzuͤglich, und denn auch aus neuern Sprachen. Nun wollen wir hieruͤber nach unſern vorausgeſezten Pramiſſen ſchwazzen:
Alle alte Sprachen haben, ſo wie die alten Nationen, und ihre Werke uͤberhaupt, mehr karakteriſtiſches, als das, was neuer iſt. Von ihnen muß alſo unſre Sprache mehr lernen koͤnnen, als von denen, mit welchen ſie mehr verwandt iſt; oder der Unterſchied zwiſchen beiden liefert wenigſtens den Sprachphiloſophen eine Menge Stoff zu Betrachtungen. Wir wollen vom leztern etwas verſuchen.
So wie uns unſre beſten Heldenthaten, die wir als Juͤnglinge thaten, aus dem Gedaͤchtniß verſchwinden: ſo entgehen uns aus dem Juͤnglingsalter der Sprache jedesmal die beſten Dichter, weil ſie vor der Schriftſtellerei vorausgehen. Jm Griechiſchen haben wir aus dieſer Zeit eigentlich nur den einzigen Homer, deſſen Rhapſodien durch einen gluͤcklichen Zufall viele Olympiaden nach ſeinem Tode blieben, bis ſie geſamlet wurden: da alle uͤbrige Dichter vor ihm, und viele nach ihm verlohren ſind. Aeſchylus und Sophokles und Euripides beſchloſſen die Poetiſche Zeit; in ihrem Zeitalter erfand Pherecydes die Proſe; Herodot ſchrieb ſeine Hiſtorie, noch ohne Perioden; bald gab Gorgias der Redekunſt die Geſtalt einer Wiſſenſchaft, die Weltweisheit fieng an oͤffentlich gelehrt zu werden, und die Grammatik wurde beſtimmt. — Was ſollen wir aus dieſer Zeit durch Ueberſezzungen fuͤr unſre Sprache rauben?
Nur nicht die Sylbenmaaße! denn es ergiebt ſich gleich, daß dieſe ſchwer nachzuahmen ſeyn muͤſſen. Damals, als noch die αοιδοι, und ραψωδοι ſangen; da man auch im gemeinen Leben die Woͤrter in ſo hohem Ton ausſprach, daß man nicht blos lange und kurze Sylben, ſondern auch hohe und niedrige Accente deutlich hoͤren ließ, daß jedes Ohr der Urteiler der Proſodie ſeyn konnte; damals war der Rhythmus der Sprache noch daß die Cadence, in der man die Verſe ausſprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten ſang, den Gang eines Hexameters aushalten konnte. Und dieſer war alſo das gewaͤhlteſte Sylbenmaas, das die meiſte Harmonie in ſich ſchloß, das ſo genau in ihrer Sprache lag, als die Jamben unſerm Geſange natuͤrlich werden, und das ihrem Ohr und ihrer Kehle am gemaͤßeſten war, weil ihre Melodie im Geſange, und Deklamation des gemeinen Lebens eine hoͤhere Tonleiter auf und nieder ſtieg, als unſere. Aber wir reden mit wenigern Accenten monotoniſcher, man mag es fließend oder ſchleichend nennen; wir ſind alſo an die Menſur eines Hexameters nicht gewoͤhnt. Gebet einem guten geſunden Verſtande ohne Schulweisheit, Jamben, Daktylen und Trochaͤen zu leſen; er wird ſogleich, wenn ſie gut ſind, ſcandiren; gebet ihm einen gemiſchten Hexameter — er wird nicht damit fortkommen. Hoͤret den Cadeneen bei dem Geſange der Kinder und der Narren zu; ſie ſind nie Polymetriſch; oder wenn ihr daruͤber lacht; ſo geht unter die Bauern, gebt auf die aͤlteſten Kirchenlieder acht; ihre Falltoͤne ſind kuͤrzer, und ihr Rhythmus einfoͤrmig: dahingegen ſangen die Griechiſchen Rhapſodiſten ihre lange Gedichte in immerwaͤhrenden Hexametern: ohne Zweifel, weil der Hexameter ihrem Ohr auch ſelbſt fuͤr Gaſſenlieder nicht zu lang, und ihrer Sprache nicht zu Polymetriſch war: und weil ihre Proſodie und Geſangweiſe jede Sylbe und Region gehoͤrig beſtimmte. Aber jetzt! wollt ihr Griechiſche Hexameter leſen; lernet erſt Proſodie, um die Sylben in ihre rechte Regionen bringen zu koͤnnen. Jhr wollt Deutſche Hexameter machen; machet ſie ſo gut ihr koͤnnet, und alsdenn laſſet dem ohngeachtet die Versart druͤber druͤcken, wie man es Klopſtock rieth, oder bittet, wie Kleiſt, dies Sylbenmaas als Proſe zu leſen. Koͤnnet ihr Hexameter deklamiren? Wohl! ſo werdet ihr auch wiſſen, daß das die beſte Deklamation iſt, die ſeine Fuͤße am meiſten verbirgt, und nur alsdenn hoͤren laͤßt, wenn ſie die Materie unterſtuͤzzen. Sehet! ſo wenig iſt der Hexameter und die Polymetriſchen Sylbenmaaße unſrer Sprache natuͤrlich: bei den Griechen foderte ihn die ſingende Deklamation, das an den Geſang gewoͤhnte Ohr, die vieltrittige Sprache; bei uns verbeut ihn, Sprache und Ohr und Deklamation.
Was ſollen wir denn aus dieſer Zeit nachahmen? Die Lenkung des Perioden? Auch nicht! Homer ſang und wurde ſpaͤt geſammlet! Die Tragoͤdien des Aeſchylus und Sophokles wurden, wie die Alten gemeinſchaftlich bezeugen, auf der Buͤhne durchaus abgeſungen. Die Sprache ſtuͤzzte ſich alſo damals maͤchtig auf eine Deklamation, die fuͤr uns ganz ausgeſtorben iſt, und die ihr damals Geiſt und Leben gab. — Mit dieſer Deklamation verlieren wir alſo auch den Gebrauch vieler Partikeln, Verbindungen, und Fuͤllwoͤrter, die zur damaligen Deklamation gehoͤren. Das Αλλ οταν, womit jedesmal die Orakel anfiengen, das αλλα, δε und αυταρ des Homers, womit er die Glieder ſeiner Perioden verbindet, wuͤrden, da wir an Proſaiſche Perioden gewoͤhnt ſind, ſehr wunderlich in der Ueberſezzung klingen; eben ſo laͤcherlich, als wenn der ehrliche blinde Saͤnger aufſtuͤnde, uns ſeine 24 Buchſtaben vorzuſingen.
Nachahmen koͤnnen wir hievon alſo nichts; aber doch gehoͤrt es dazu, um die Alten dieſes Zeitalters Poetiſch zu leſen. Wenn ich den Homer leſe, ſo ſtehe ich im Geiſt in Griechenland auf einem verſammleten Markte, und ſtelle mir vor, wie der Sanger Jo, im Plato die Rhapſodien ſeines goͤttlichen Dichters mir vorſinget, wie er „voll von goͤttlicher Begeiſterung ſeine Zuhoͤrer ſtaunen macht, wie, „wenn er ſich ſelbſt entriſſen, von dem Ulyſſes redet, da er ſich ſeinen Feinden zu erkennen giebt, oder da Achilles den Hektor „anfaͤllet, er bei jedem Fuͤrchterlichen, die Haare aufrecht ſtehen, und das Herz ſchlagen „macht; wie er jedem die Thraͤnen in die „Augen lockt, wenn er von dem Ungluͤck der „Andromache, der Hekuba, des Priamus ſinget. Wie die Corybanten, von der Melodie „des Gottes, der ſie begeiſtert, entzuͤckt, ihre „trunkene Freude in Worten und Geberden „zeigen; ſo begeiſtert ihn Homer, und macht „ihn zum goͤttlichen Boten der Goͤtter.„ Jn dieſer Entzuͤckung erfuͤllet die ganze Harmonie des Hexameters, und die ganze Pracht ſeines Perioden mir Ohr und Seele; jede Verbindung, und jedes Beiwort wird lebendig, und traͤgt zum Pomp des Ganzen bei: und wenn ich mich wieder zuruͤck in mein Vaterland finde: ſo beklage ich die, ſo den Homer in einer Ueberſezzung leſen wollen, wenn es auch die richtigſte waͤre. Jhr leſet nicht mehr Homer, ſondern etwas, was ohngefaͤhr wiederholet, was Homer in ſeiner Poetiſchen Sprache unnachahmlich ſagte.
Sollen wir unſre Sprache durch die Jnverſionen bereichern, die damals in ihrer biegſamen Sprache jedem Wink der Leidenſchaft und des Nachdrucks nachgaben? Verſucht es; unſrer Sprache, ſelbſt dem freieſten und verworrenſten Klopſtockiſchen Hexameter ſind Feſſeln der Conſtruktion angelegt worden, die die Harmonie des Griechiſchen Perioden meiſtens zerſtoͤren werden. Oder ſollen wir unſre Sprache in Bildung der Machtwoͤrter, nach dem Griechiſchen uͤben? Verſucht es; wenn ihr gleich ein Schweizer ſeyd, werdet ihr die Beiwoͤrter im Homer, Aeſchylus und Sophokles, oft genug umſchreiben muͤſſen.
Jch halte die Hymnen des Orpheus fuͤr nicht ſo alt, daß ſie, ſo wie ſie ſind, bis an den Orpheus reichen ſollten; aber, ſo wie unſre Kirchenſprache, und Kirchenpoeſie, beſtaͤndig Jahrhunderte zuruͤckbleiben: ſo zeigen ſie, nach meiner Meinung, am beſten, wie die aͤlteſte Sprache der Poeſie, zur Zeit des hohen Stils geweſen iſt. Wohlan nun! verſucht, dieſe Hymnen ſo ins Deutſche zu verpflanzen, als Skaliger ſie in Altlatein uͤberſezte: ihr werdet, ohngeachtet aller Staͤrke doch oft das alte Deutſche vermiſſen, das bei den alten Druiden in ihren heiligen Eichenwaͤldern Orpheiiſch geklungen haben mag! — Solche kuͤhne Verſuche mache ein junges munteres Genie fuͤr unſre Sprache; aber es laſſe auch alte unparteiiſche Philologen daruͤber urteilen.
Homer, Aeſchylus, Sophokles ſchuffen einer Sprache, die noch keine ausgebildete Proſe hatte, ihre Schoͤnheiten an; ihr Ueberſezzer pflanze dieſe Schoͤnheiten in eine Sprache, die auch ſelbſt im Sylbenmaas und — wie wir bewieſen zu haben glauben — ſelbſt im Hexameter Proſe bleibt, daß ſie ſo wenig als moͤglich verlieren. Jene kleideten Gedanken in Worte, und Empfindungen in Bilder; der Ueberſezzer muß ſelbſt ein ſchoͤpferiſches Genie ſeyn, wenn er hier ſeinem Original und ſeiner Sprache ein Gnuͤge thun will. Ein Deutſcher Homer, Aeſchylus, Sophokles, der im Deutſchen eben ſo klaßiſch iſt, als jene in ihrer Sprache, errichtet ein Denkmal, das weder einem Klein noch Schulmeiſter ins Auge faͤllt, das aber durch ſeine ſtille Groͤſſe und einfaͤltige Pracht das Auge des Weiſen feſſelt, und die Aufſchrift verdienet:
Der Nachwelt und Ewigkeit heilig!
Ein ſolcher Ueberſezzer iſt unſtreitig viele Koͤpfe groͤßer, als ein anderer, der aus einer naͤhern Zeit, aus einer verwandten Sprache, aus einem Volke, das mit uns einerlei Denkart und Genie hat, ein Werk uͤberſezzt, das im leichteſten Poetiſchen Ton, Didaktiſch, geſchrieben iſt, und das dem ohngeachtet doch in der Ueberſezzung ſein beſtes Colorit verlieret — ſollte dieſer Ueberſezzer auch Ebert ſelbſt ſeyn. — Sein Young haͤtte im Deutſchen, zu unſrer Zeit, nach unſern Sitten und Religion, immer ſeine Naͤchte ſchreiben koͤnnen; aber jene ihre Werke in unſrer Sprache? in unſrer Zeit? bei unſern Sitten? — Niemals! So wenig als wir Deutſchen je einen Homer bekommen werden, der das in allen Stuͤcken fuͤr uns ſey, was jener fuͤr die Griechen war.