Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 115
6.
ОглавлениеUeberhaupt wuͤrde dieſer weiſe Vorſchlag, ſo wie jener andre 13: „es ſollte keiner Schrift„ſteller werden, der nicht die Alten geleſen„ uns alle Originalſchriftſteller rauben. Jdiotismen ſind Patronymiſche Schoͤnheiten, und gleichen jenen heiligen Oelbaͤumen, die riugs um die Akademie bei Athen ihrer Schuzgoͤttin Minerve geweiht waren. Jhre Frucht dorfte nicht aus Attica kommen, und war blos der Lohn der Sieger am Panathenaͤiſchen Feſte. Ja da die Lacedaͤmonier einſt alles verwuͤſteten: ſo ließ die Goͤttin es nicht zu, daß dieſe fremde Barbaren ihre Haͤnde an dieſen heiligen Hain legten. Eben ſo ſind die Jdiotismen Schoͤnheiten, die uns kein Nachbar durch eine Ueberſezzung entwenden kann, und die der Schuzgoͤttin der Sprache heilig ſind: Schoͤnheiten in das Genie der Sprache eingewebt, die man zerſtoͤrt, wenn man ſie austrennet: Reize, die durch die Sprache, wie der Buſen der Phryne durch einen ſeidnen Nebel, durch das Waſſergewand der alten Statuen, das ſich an die Haut anſchmieget, durchſchimmern. Wober lieben die Britten ſo ſehr das Launiſche in ihrer Schreibart? Weil dieſe Laune unuͤberſezzbar und ein heiliger Jdiotisme iſt. Warum haben Shakeſpear und Hudibras: Swift und Fielding ſich ſo ſehr das Gefuͤhl ihrer Nation zu eigen gemacht? Weil ſie die Fundgruben ihrer Sprache durchforſchet, und ihren Humour mit Jdiotismen, jeden nach ſeiner Art und ſeinem Maas, gepaart haben. Warum vertheidigen die Englaͤnder ihren Shakeſpear, ſelbſt, wenn er ſich unter die Concetti, und Wortſpiele verirrt — Eben dieſe Concetti, die er mit Wortſpielen vermaͤhlt, ſind Fruͤchte, die nicht in ein anderes Clima entfuͤhrt werden koͤnnen: Der Dichter wuſte den Eigenſinn der Sprache ſo mit dem Eigenſinn ſeines Wizzes zu paaren, daß ſie fuͤr einander gemacht zu ſeyn ſcheinen: hoͤchſtens gleicht jener dem ſanften Widerſtande einer Schoͤne, die blos aus Liebe ſproͤde thut, und bei der ihre jungfraͤuliche Beſcheidenheit doppelt reizet.
Es muß auch wirklich ſchwer ſeyn, zu dieſen Geheimniſſen zu gelangen; weil wir ſo wenige Deutſche Humoriſten haben. Rabner iſt kein voͤlliger National Swift in Deutſchland ſo wohl in Charakteren, als der Schreibart. Von unſern komiſchen Schriftſtellern vielleicht keiner, als Leßing — dieſer aber in einem großen Grade. Keine Parthei hat auch in dieſem Stuͤck, dem wahren Genie der Deutſchen Sprache ſo ſehr geſchadet, als die Gottſchedianer. Waren es nicht noch einige Schimpfwoͤrter, und poͤbelhafte Ausdruͤcke, die man beibehielt: ſonſt wurde alles waͤſſerich, und eben, durch eine gedankenloſe Schreibart, und durch ſchlechte Ueberſezzungen Franzoͤſiſcher Buͤcher. Man entmannete ſie voͤllig, die ſchon durch den Weiſiſchen, Talandriſchen, und Menantiſchen Stil wenig Mannheit behalten hatte: man machte ſo wohl die Jnverſionen, als Jdiotismen der Schweizer laͤcherlich, ſtatt ſie zu pruͤfen: Kurz, dieſe Sekte hat ſich der Deutſchen Sprache mit Willen der irrdiſchen, nicht aber himmliſchen Muſe angenommen, und von ihr gilts, was jener Griechiſche Koͤnig auf einen ſchwindſuͤchtigen und doch gefraͤßigen Bettler ſagte:
Αμφοτερους αδικεις, τον Πλουτεα, και Φαεϑοντα;
Τον μεν, ετ’ εισοροων, τον δε απολειπομενος.
„Beiden thuſt du Unrecht, dem Pluto, und „Phaeton; dieſem, daß du ihn noch anblickſt; „jenem, daß er dich noch nicht hat.„
Man muß den Schweizern wirklich das Recht laſſen, daß ſie den Kern der Deutſchen Sprache mehr unter ſich erhalten haben. So wie uͤberhaupt in ihrem Lande ſich die alten Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da ſie durch die Alpen, und den Helvetiſchen Nationalſtolz von den Fremden getrennet ſind: ſo iſt ihre Sprache auch der alten Deutſchen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unſtreitig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene wird freilich durch den Harlekin am beſten ausgedruckt; und ausgelacht hat man ſie zur Gnuͤge; aber ihr Gutes iſt noch zu wenig gepruͤft. Die Gottſchedianer haben ihre Machtwoͤrter, ihre Jnverſionen ſo ziemlich in ihren Pasquillen geſammlet; jetzt iſt die Hitze des Streits verflogen, nun ſollte man nicht mehr lachen, ſondern pruͤfen. Haͤtte der patriarchiſche Bodmer auch kein andres Verdienſt — wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; — und aus den alten Schwaͤbiſchen Poeſien iſt doch, meinem Erachten nach, wenigſtens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich ſollten die Schweizer auch mehr Muͤhe ſich dabei gegeben haben, die Jdiotismen zu zeigen, zu pruͤfen, und kritiſch einzufuͤhren. Wenn ſie auch dieſe Woͤrter verſtehen; wer Deutſches in lateiniſchen Lettern leſen kann, iſt ja nicht deswegen ein Schweizer!
Jch rede von ihren Deutſchen Verdienſten, denn von ihren Nachbildungen aus dem Griechiſchen muͤſte ich vielleicht anders urtheilen: ich rede von ihrem Verdienſt um die Sprache, denn von ihrer Dichterei und von ihrer Abneigung gegen die Philoſophie, gegen die ſie aus den Zuͤrchiſchen freimuͤthigen Nachrichten ſo lange Zeit Calefonium-Blizze geſandt, urtheile ich jetzt nicht; und in dieſem eingeſchraͤnkten Geſichtspunkt kann ich ſelbſt ihre Hizze entſchuldigen, die den Gottſchedianern die Stange halten muſte. Zwei Gegner, die auf beiden Seiten ausſchweifen, und beide ohne Weltweisheit ſtreiten; — da kam zum Gluͤck eine dritte Parthei, die Baumgartenſche Schule, die Soͤhne des Deutſchen Athens, und brachten ſie beide aus einander.
Jn der Dichtkunſt Ramler, Kleiſt, und inſonderheit Gleim; in der Proſe Leßing und Abbt; wenn man dieſe lieſet, wie bedauret man nicht den Sulzerſchen Einfall, uns keine Jdiotismen zu laſſen. Gleims Kriegslieder und ſein verſificirter Philotas inſonderheit iſt voll von dieſer Deutſchen Staͤrke. — Eine fleißige Seele in Liefland hat einen Anhang zu Friſchens Woͤrterbuch, aus der Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, Litteraturbriefen, Leßings, Uz und dergleichen Schriften gemacht; aus dem ich, weil er doch zu gut iſt, um in einem Winkel ohne Anwendung zu vermodern, wenn er vollendet ſeyn wird, einen Auszug liefern werde. Aus den Zeiten der Meiſterſaͤnger, des Opitz und Logau, des Luthers u. ſ. w. ſollte man die Jdiotismen ſammlen, und inſonderheit mehr von Klopſtock lernen, dieſem Genie in Schoͤnheiten und Fehlern, der ſelbſt in der Deutſchen Sprache ſich den Schoͤpfungsgeiſt anmaaßte, und auch dieſen Geiſt der Freiheit eigentlich in Deutſchland zuerſt ausbreitete: wirklich ein Genie, das ſelbſt in ſeiner Eccentricitaͤt groß iſt, und das, ſo wie Alexander Macedonien, die damalige Deutſche Sprache nothwendig fuͤr ſich zu enge finden muſte.
Und ſind die Jdiotismen zu nichts gut: ſo eroͤfnen ſie dem Sprachweiſen die Schachten, um das Genie der Sprache zu unterſuchen, und daſſelbe zuerſt mit dem Genie der Nation zuſammen zu halten. Viele Jdiotismen fremder Voͤlker wuͤrden wir daraus erklaͤren: (z. E. warum die meiſten Nationen der Sonne und die Mond ſagen; wir aber umgekehrt; warum das Lateiniſche fuſus in herba immer fuͤr uns fremde klingt, koͤnnte immer aus dem Zuſtande unſrer alten Urvaͤter bewieſen werden. Sie fingen bekannter maßen von der Nacht zu rechnen an: hielten in der Nacht ihre Zuſammenkuͤnfte, Kriegsund Friedensſchluͤſſe: und wuſten kein groͤßeres Siegel der Vertraͤge, als das Klirren der Degen, mit dem Zuruf: der Mond iſt Zeuge! Eben daher iſt das: im Graſe hingegoſſen 14 wohl ein zu wohlluͤſtiges Bild fuͤr das waldigte kalte Deutſchland, wie es vormals geweſen.) Wie ſehr ſind nicht die alten Schottiſchen Gedichte Abdruͤcke ihres Landes?
Auch die Kuͤhnheit in Jdiotismen bei einem einzelnen Autor gibt Gelegenheit, auf ſein Genie Acht zu haben. Derſelbe Blick, der die Begriffe, wie die Farben im Sonnenſtral, theilt, nimmt auch die Lichtbrechung in den Nuancen der Sprache wahr. Der mittelmaͤßige Scribent bequemt ſich, nach dem ordentlichen Wege, um ins Cabinett ſeines Fuͤrſten zu gelangen; dieſer beſticht jener betriegt, ein andrer ſchmeichelt: ein gewiſſer Deutſcher Pythagoras laͤßt ſich beſchneiden, um hinter die Vorhaͤnge der Weisheit zu kommen; das kuͤhne Genie durchſtoͤßt das ſo beſchwerliche Ceremoniel: findet und ſucht ſich Jdiotismen; graͤbt in die Eingeweide der Sprache, wie in die Bergkluͤfte, um Gold zu finden. Und betriegt es ſich auch manchmal mit ſeinen Goldklumpen: der Sprachenphiloſoph probire und laͤutere es: wenigſtens gab er Gelegenheit zu chymiſchen Verſuchen. Moͤchten ſich nur viele ſolche Bergleute und Schmelzer in Deutſchland finden, die, wenn die Deutſche Sprache eine Bergund Weidſprache iſt, auch als Graͤber und Jaͤger ſie durchſuchten. Caͤſar ſchrieb uͤber die Aehnlichkeit der Sprachen; Varro uͤber die Etymologie; Leibniz ſchaͤmte ſich nicht, ein Sprachforſcher zu ſeyn, und wir, trotz unſrer Deutſchen Geſellſchaft, haben hierinn wenig oder nichts gethan.