Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 128

18.

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Inhaltsverzeichnis

1. Winkelmann, 43 der Ruhm der Deutſchen ſelbſt unter dem Roͤmiſchen Himmel, den die Muſe des Alterthums und der Geſchichte, die unſterbliche Clio, hat laſſen geboren werden, um, wie jener, der auf dem Cithaͤron gefunden wurde, die Kunſt der Alten zu erklaͤren. Jch fuͤhre es nicht an, wie er die beſten Bluͤthen jeder Antiken Schoͤnheit in ſeine Seele geſammlet: wie er hier unter Schriften, dort unter Denkmaͤlern ſein Auge und ſeinen Geiſt gebildet: wie er ſeine Werke, ſo wie Raphael ſeine Gemaͤlde, mit Feuer entwarf, und mit einem gluͤcklichen Phlegma vollendete: wie er eine Syſtematiſche Geſchichte unter Ruinen und Ueberbleibſeln liefern konnte: ſondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einſchraͤnken. So wie die Attiſchen Juͤnglinge an dem Altar der Pallas Aglavros ihrem Vaterlande den Eid der Liebe ſchwuren: ſo hat die Muſe auch auf ſeine Schriften geſchrieben: dem Vaterlande geweihet. Wenn ich mir zum Gebaͤude des Koͤrpers die weiſe Einfalt des Sokrates, des Lehrers der Gratie denke, wenn ich dieſem Koͤrper das Gewand der Natur von dem einen Schuͤler des Sokrates, dem Xenophon, und ihm von dem andern, die Fluͤgel hoher Jdeen gebe: ſo ſtehet ein Bild vor mir, als wenn es die Muſe der Winkelmanniſchen Schriften waͤre. Einfaͤltig im Vortrage: natuͤrlich in der Ausfuͤhrung, und erhaben in den Schilderungen, ſind ſie Werke der Unſterblichkeit wuͤrdig, und der Name unſers Jahrhunderts.

2. Hagedorn 44 hat der Goͤttin der Gemaͤlde einen Altar von weißem Marmor errichtet, und mit vieler Annehmlichkeit um ihn Blumen zu ſtreuen gewußt: das ganze Werk zeiget vielen Geſchmack des Kuͤnſtlers, noch mehr Kaͤnntniß des Werkmeiſters, und die feinſte Critik des Coſtume: das Bildniß der Goͤttin ſelbſt aber iſt dem Fleiß, der Muͤhſamkeit und Dauer nach, eine aͤchte Moſaiſche Arbeit — — Doch ich rede frei und ohne Schleier. Der Verfaſſer verraͤth viele Bekanntſchaft in den Kunſtſaͤlen von hohem Geſchmack, und in den Malerakademien nach dem Ueblichen; aber vielleicht etwas mindere in dem heiligen Haine der ſchoͤnen Natur; daher ſeine Philoſophiſche Betrachtungen uͤber das Schoͤne ꝛc. in der Kunſt nie das Weſen erreichen. Fuͤr Lehrlinge iſt ſein Lehrbuch eine zu dunkle und in den Schoͤnheiten zu verſchloſſene Encyklopaͤdie der Malerei; deſto angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr Werkmann ſeyn will, als er leichte und galante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug beſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte: ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet; aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pallas uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zierrathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht beharniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn, bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen Anſtande auf die Seele ſchließt; allein vielleicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſtſtuͤck urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤnheit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der Unterricht nicht oft nach Grundſaͤzzen eine Luͤſternheit uͤbrig ließe. Jch urtheile, wie ein Deutſcher! ihr Deutſche! haltet ein Werk werth, an dem der Franzoſe blos etwas vom Geſchmack; der Britte vom Fleiß, und der Waͤlſche vom Unterricht abborgen kann: das uͤbrige iſt euer!

Von den Denkmaͤlern der Kunſt komme ich zu denen, die den Buͤrger bilden! Und da ſteht ein Deutſcher Browne!

3. Moſer 45 kennet das Schroot und Korn der Deutſchen Sprache: der alten Lutheriſchen Religion, der alten Freiheit, Ehrlichkeit, und geſunden Vernunft unſerer Vaͤter: und er kann mit mehrerem Rechte unſer Deutſcher Browne ſeyn; als Jſelin mit ſeinen Platoniſchen Traͤumen, und Wegelin mit ſeiner Hypochondriſchen Fuͤlle von Tugend, in der Schweiz. Wie Parrhaſius dort den Geiſt der Athenienſer malte, „der veraͤnderlich, rachſuͤchtig, ungerecht, unerbittlich „und gnaͤdig, ruhmraͤthig, erhaben und niedrig, wild und feige, und alles zugleich war ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen malen, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geſchmack der Erfindung keine fromme Miſanthropie, in der Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herrſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zuſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Moſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders bedauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Weltweiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchreiben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Verfaſſer irgend in Deutſchland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geſchicklichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſunde Adern unter einer ſeinen Haut ſich verbergen: ein zweiter Moſer, der auch bisweilen ſein Antipode ſeyn koͤnnte, um viele ſchwermuͤthige Klagen mit leichtem und geſundem Blut zu leſen, und ihn endlich davon abbraͤchte: ein Prediger in der Wuͤſte zu ſeyn, wie jener, der nur ein Vorbote von dem war, der kommen ſollte, und ganz anders als ſein Vorlaͤufer ſeyn muſte. — Sollte es nicht mit zur Deutſchen Nationalfreiheit gehoͤren, daß ein Genie, welches ſelbſt nicht Mutter ſeyn kann, fremde, wohlgebildete aber ausgeſtoßene Kinder, aufnaͤhme, und ſich an ihnen Mutterverdienſt erwuͤrbe? Ein Patriot fuͤr drei Zeitalter in Deutſchland verdient dies!

4. Jezt ein Cenſor, aber ein munterer Cenſor der Verdienſte! Abbts Schriften 46 ſind fuͤr die Deutſchen Original: der gute geſunde Menſchen- und Buͤrgerverſtand, der in ihnen herrſchet, iſt das Erbſtuͤck unſrer Nation: die Analytiſche Aufloͤſung der Begriffe iſt die beſte Methode Deutſcher Philoſophie; die Laune ſeiner Schreibart, die ſtatt der Franzoͤſiſchen Karaktere, und der Brittiſchen erdachten Beiſpiele, durch Geſchichte lehrt, naͤhrt unſern Geiſt, und ſeine Schreibart unſere Einbildungskraft. Das Feuer der Phantaſie, in dem der Verfaſſer dachte, und ſchrieb, aber nicht haͤtte leſen ſollen; gluͤht jeden Leſer an, der es verſteht, ein Buch in eine Perſon, und todte Buchſtaben in Sprache zu verwandeln; alsdenn hoͤrt man, und denkt, und fuͤhlt mit dem Autor. Kannſt du aber, lieber Leſer! nichts als leſen, nicht die Luͤcken, die dir uͤberlaſſen wurden, in Gedanken ſelbſt ausfuͤllen, nicht weiter denken, wo dir Ausſichten eroͤfnet werden: ſo wirſt du inne werden, was vielleicht eben der Verfaſſer ſagt: „dem Sprechenden helfen „ſeine Geberden, und der Ton der Stimme „den Verſtand beſtimmen: da dies alles hingegen in einem Buche wegfaͤllt.„ 47 Wenn ich dieſen Schriftſteller mit Zimmermann vergleiche: ſo bemerke ich freilich an dem lezten mehr Fleiß in der Auswahl der Gedanken und Worte; aber einen gewiſſen Franzoͤſiſchen Geſchmack, einen Reichthum von Anfuͤhrungen, der dem Verfaſſer ſelbſt weniger uͤbrig laͤßt als er liefern koͤnnte. —

5. Jezt ein Schriftſteller, nicht blos des Vaterlandes, ſondern auch der Menſchheit: Spalding. 48 So wie ſeine Wahrheiten ſich zwiſchen Philoſophie und gemeine Beobachtungen ſtellen; ſo graͤnzt auch ſein Vortrag mit Genauigkeit und Aufwand: ſein geſezter Stil nimmt hie und da die Miene des Tiefſinns an, und ſein bluͤhender Stil ſcheint ſich in den Luxus zu verlieren; aber man trete naͤher! Selbſt der Aufwand wird alsdenn ein Stuͤck des Nothwendigen, und die Schreibart ſchließt ſich der Denkart ſo an, wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤrper durchſchimmern ließen. Dies geht ſo weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer bisweilen muͤhſam gewordene Denkart immer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blumen beſtreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mittel zwiſchen gelehrter Weisheit und unverſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤdiſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit einerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel erniedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen Catheder — zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelenſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei, als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein Unterſchied, wenn ich Spalding mit einem ebenfalls denkenden, gelehrten, und beredten Theologen vergleiche; es iſt kein andrer, als Acken. Wenn ich die Predigten dieſes Mannes, als erbauliche Abhandlungen anſehe: ſo verbinden ſie Philoſophiſche Genauigkeit, Deutſchen Nachdruck, und Griechiſche Schoͤnheiten mit einander bis zu den kleinſten Theilen: zu leſen ſind ſie vielleicht die beſten Deutſchen Predigten, die die meiſten Franzoſen an Gruͤndlichkeit, die Englaͤnder an feinen Verzierungen, und ſeine Landsleute an nachdruͤcklicher Kuͤrze in dieſer Art von Schriften hinter ſich laſſen. Daruͤber wundere ich mich alſo nicht, daß ſie wider ihr Verdienſt unbekannt geblieben; denn ſie ſind ja keine Poſtillen, und keine blendende Sermons; aber daruͤber wundere ich mich, wie dieſer Deutſche Chryſoſtom in ſeinem Pathmos ſich ſo hat verirren koͤnnen, um vom Urſprung der Opfer auf eine ſo myſtiſche Art zu ſchreiben:

Infert ſe tectus nebula. Mirabile dictu!

6. Sokrates fuͤhrte die Weltweisheit unter die Menſchen; hier iſt der Philoſophiſche Schriftſteller unſerer Nation, der ſie mit der Schoͤnheit des Stils vermaͤlt haben ſoll: der Verfaſſer der Philoſophiſchen Schriften. 49 Ja er iſts, der ſeine Weltweisheit in ein Licht der Deutlichkeit zu ſtellen weiß; als haͤtte es die Muſe ſelbſt geſagt: er denkt da, wo andere ſich begnuͤgen, Schoͤnheiten zu empfinden: er hat unter den Deutſchen die Critik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ausgebreitet, die Baumgarten in Abſicht der Lateiniſchen Schriftſteller ſo vorzuͤglich bewies; und —

Jch fuͤhle es doch bei ſeinen Philoſophiſchen Schriften manchmal, was er ſelbſt fuͤhlte: „ich bekenne es, daß ſich zu blos ſpekulativen Unterſuchungen kein Vortrag beſſer ſchickt, als der ſtrenge Syſtematiſche. Jch „trauete mir aber das Vermoͤgen und die Fertigkeit nicht zu, meine Gedanken beſtaͤndig „an eine ſo ſtrenge Ordnung zu kehren.„ Man hat ihm hieruͤber, als uͤber ein Kompliment, Gegenkomplimente gemacht; allein wenn Moſes unter dem Syſtematiſchen Vortrage mehr als eine aͤußere Mathematiſche Lehrart verſtehet, ſo wird jeder ſeine Entſchuldigung fuͤr Wahrheit annehmen. Jugendliche Einkleidungen in Briefe, und Geſpraͤche; die Epiſoden in den Briefen, und die fremden Eingaͤnge in den Geſpraͤchen: ſcheint mir ein Putz, den die Philoſophiſche Wuͤrde nicht braucht. Denkende Leſer fuͤhrt er von der Betrachtung der Wahrheit ſelbſt ab: ſie muͤſſen ſich von den Spazziergaͤngen nachher wieder zuruͤck finden: und wer blos wegen dieſer Einkleidungen lieſet — fuͤr den hat Moſes nicht geſchrieben: eine Braut blos wegen ihres Putzes lieben, iſt laͤcherlich. Der Weiſe ſehe ſeinen Gegenſtand ſo helle als Moſes; er zeige ihn im rechten Geſichtspunkte, er leite die Jdeen natuͤrlich fort, er habe die Erlaͤuterungen, und die Sprache in ſeiner Gewalt: ſo wird eine ſimple Abhandlung draus werden, ohne Trockenheit und fremden Schmuck; ſie wird ihren ganzen Zweck erreichen, einem Leſer, der Wahrheit ſucht und liebt, ohne Zwang und Umwege, ein Geleitsmann zu ſeyn — wozu? nicht zu lernen, ſondern ſelbſt zu denken. So ſind die Abhandlungen im 2ten Theil der Philoſophiſchen Schriften; einige Litteraturbriefe, die eigene Betrachtungen liefern, vielleicht von eben dem Verfaſſer, und — die Leßingſchen Abhandlungen.

7. Leßing — 50 leider! daß ich von ihm ein einziges ausgearbeitetes Proſaiſches Werk anfuͤhren kann, da doch das Publikum laͤngſt eine neue veraͤnderte Ausgabe ſeiner Schriften erwartet hat, die, in Betracht ſeiner Talente in Wiz und Phantaſie; in Betracht ſeines Scharfſinns im Zergliedern, und ſeines gluͤcklichen Ausdrucks, die Worte zur Aufſchrift verdienen wird: „ſo viel that er: Nachwelt! „ſchließe draus, was er thun konnte!„ 51

8. Wir haben noch einige niedliche Abhandlungen in der Litteratur, die lezten Jahre her erhalten: unter denen ich die Moͤſerſchen 52 Schriftgen: Harlekin, oder vom Groteske-Komiſchen, ſein Brief an den Savoyiſchen Vikar u. ſ. w. nenne. — Es iſt uͤbrigens zu beklagen, daß man einige der beſten Deutſchen Poeten, nicht ſonderlich im Proſaiſchen Stil loben will; wie ich dies bei dreien inſonderheit bemerkt zu haben glaube, denen es nicht gleich gut gelingt, Briefe und Lieder, Fabeln und Abhandlungen zu ſchreiben.

9. Darf ich unſre Schriftſteller mit einem Autor beſchließen, der nach dem erſten Urtheil der Litteraturbriefe mit Winkelmann eine Aehnlichkeit hatte, und nach dem lezten Richterſpruche ſein Antipode geworden: der erſt ein Heiligthum unſrer Zeit (αναϑημα) war, und nachher zum Zeichen des Schreckens (αναϑεμα) wurde: es iſt der Verfaſſer der Sokratiſchen Denkwuͤrdigkeiten: 53 wer ihn nicht als Geſtirn betrachten will in unſerer Litteratur: ſehe ihn als Meteor an; ein Phoͤnomenon bleibt er doch immerfort.

Der Kern ſeiner Schriften enthaͤlt viele Samenkoͤrner von großen Wahrheiten, neuen Beobachtungen und einer merkwuͤrdigen Beleſenheit: die Schale derſelben iſt ein muͤhſam geflochtenes Gewebe von Kernausdruͤcken, Anſpielungen und Wortblumen. Der Philolog hat, damit ich mich ſeines eigenen Zeugniſſes bediene:

Geleſen:) und allerdings, ſehr viel, ſehr weitlaͤuftig und mit Geſchmack geleſen (multa et multum legit); allein die Balſamduͤfte vom Aetheriſchen Tiſch der Alten, mit einigen Vapeurs der Gallier und dem Brodem der Brittiſchen Laune vermiſcht, ſind zu einer Wolke geworden. Dieſe umhuͤllt ihn, er mag ſtrafen, oder weißagen (die beiden Verrichungen ſeiner Schriften), wie die Juno, wenn ſie den Ehebrecher belauſcht, oder die Pythiſſe, wenn ſie Weißagungen in Kabbaliſtiſcher Proſe murmelt. Seine Beleſenheit iſt alſo zuſammen gefloſſen, ſo wie die Koͤnigliche Schrift, auf unzuſammenhaͤngend Papier geſchrieben, dies zuerſt thut. — Jndeſſen wuͤrde oft freilich eine kleine naͤhere Anzeige der Spruchſtelle, woruͤber er commentirt, vieles entraͤzeln, aber auch verrathen; und da ich ſelbſt unter die ſtummen Leſer ſeiner Schriften gehoͤre; ſo bin ich nicht in der Lage, hier Errathungen fuͤr Geſichtspunkte angeben zu koͤnnen.

Beobachtet) Seine Bemerkungen vereinigen eine ganze Ausſicht in einen Geſichtspunkt: hier ſtehe aber ein Leſer, der dieſen Punkt treffe, der ſein Auge, der ſeine Laune zu Beobachtungen hat — ſonſt ſieht er verzogne Stellungen, und Schimmel ſtatt eines Mikroſcopiſchen Waͤldchens. Leſer, der du bieſe hingeworfne Beobachtungen verſtehen, brauchen, ergaͤnzen kannſt: du haſt ſie erfunden!

Gedacht:) wie es ſcheint, uͤber Schriften, die ihm ein Aergerniß oder eine Augenweide geweſen — und uͤber Vorfaͤlle, dazu er allein den Schluͤſſel behaͤlt. Weil er aber die Spinnengewebe der Syſteme haßt: ſo iſt jeder Gedanke eine unaufgefaͤdelte Perle; jeder Gedanke iſt in ein Wort eingekleidet, ohne welches er ihn nicht denken und ſagen konnte.

Angenehme Worte geſucht und gefunden.) Seine Annehmlichkeiten ſind keine Folgen von gelernten Regeln: ſeine Fehler ſind ſo gar, bis auf die Einkleidungen, Anſpielungen und Licht und Schatten, bei ihm regelmaͤßig. Vielleicht hat ihn alſo der ehrliche Fulbert Kulmius, umſonſt zum Schuͤler der Baumgartenſchen Aeſthetik zu machen geſucht, und vielleicht haͤtte ihn der 254ſte Litteraturbrief nicht eben nach allen Regeln zum Verbrecher des Stils machen doͤrfen. Erfindung und Zeichnung ſind Fruͤchte der Denk- und Seh- art, die vielleicht einer gewiſſen Sokratiſchen Unwiſſenheit aͤhnlich ſeyn moͤgen, wie er ſie beſchreibt. Eine Zunge kann ſtammlen, wenn die Seele gewiſſe Jdeen nicht zu verknuͤpfen und auszudruͤcken weiß. — Barocci malte gruͤnes Fleiſch: und Guercius ein trauriges Colorit: Von den Schriften dieſes Verfaſſers gilt es alſo vermuthlich, was Plinius vom Maler Eutykrates ſagt: auſtero maluit genere, quam iucundo placere.

Seine Nahrung von ferne gebracht:) oft woher und wo es niemand vermuthete, und dachte. Wo der ehrwuͤrdige Satyr, Swift, leichtfertige Traͤumer und fromme Seleniten fand; im Monde; da findet ein anderer Ritter und Rieſen:

Jch hieb viel tauſend Feinde nieder,

Jn allen Neſſeln,

die ich fand Da lagen denn die kleinen Leichen u. ſ. w. ſ.

Gedichte von Karſchin.

Haͤtte unſer jezo ebentheuerlicher Sokrat, eine Aſpaſia, ſeine Gedanken auszudruͤcken, und einen Alcibiad, ſie auszubilden; vielleicht haͤtte er Schuͤler und Nachkommen, bis alsdenn vielleicht im dritten Gliede ein Ariſtoteles, Socratis et Platonis peior progenies, ein Syſtem errichtete, in der Philologie und Aeſthetik, woran ſein Großvater nicht gedacht hatte.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

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