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ОглавлениеEuropäische Honigbiene (Apis mellifera) an einer Zelle.
Die Zellen der Bienenwaben – ideal geometrische Formen
ANJA SCHWEIA-BUTTERO
Zu den genialsten Formen der Natur gehören zweifelsohne die Zellen der Bienenwaben. Exakt und einheitlich sind sie nicht nur eine architektonische Meisterleistung und bildschön anzuschauen, sondern darüber hinaus auch ein technisches Meisterwerk. Durch ihre sechseckige Form gelingt es, effiziente Raumnutzung, optimale Stabilität und maximale Volumenausnutzung miteinander zu kombinieren – Eigenschaften, auf die bereits Ingenieure der Bionik aufmerksam wurden, die die Wabenstruktur als Vorbild für Materialeigenschafften in der Technik einsetzen.
Der Zusammenschluss mehrerer Zellen wird als Wabe bezeichnet. Der Umfang der gesamten Wabe wird bei der heutigen Bienenhaltung durch den Imker vorgegeben, indem er im Bienenstock Holzrahmen meist mit eingespannten Wachsplatten platziert, die die Insekten als Grundlage für ihre Bebauung nutzen.
Honigbienen zählen, neben Wespen und Ameisen, zu den staatenbildenden Insekten, sie gehören zu den populärsten und wirtschaftlich wertvollsten Insekten. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Europa bis Asien, Afrika und die USA. Durch ihre weite Verbreitung und züchterisches Einwirken entstanden zahlreiche Arten der Gattung Apis. Erste fossile Nachweise von Bienen existieren aus der Zeit des Oligozäns (vor 30 Millionen Jahren).
In der Natur sind Honigbienen typische Höhlenbrüter, sie legen ihre Nester in Baumhöhlen und anderen Öffnungen an. In der Vergangenheit war gesammelter Honig der einzige Süßstoff, der dem Menschen zur Verfügung stand. Bereits seit der Steinzeit beschäftigt sich der Mensch mit der Gewinnung von Honig. Die Bienenvölker wurden zu dieser Zeit in ihrer natürlichen Behausung belassen.
Die drei Bienenwesen
Zu einem Bienenvolk gehören die drei Bienenwesen: Königin, Arbeiterin und Drohne. Jedes Bienenvolk hat eine Königin, zwischen 30.000 und 80.000 Arbeiterinnen und einigen Hundert Drohnen. Die Gesamtheit der Bienen eines Volkes, die dazugehörige Brut sowie das Wachsgebäude mit Futtervorräten wird als „Bien“ bezeichnet.
Drohnen sind nur temporär im Bienenstock, sie entwickeln sich aus unbefruchteten Eiern. Ihre einzige Aufgabe ist es, einmalig eine Königin beim sogenannten Hochzeitsflug zu befruchten. Gegen Ende des Bienenjahres – etwa in der Mitte des Sommers – werden die Drohnen bei der Drohnenschlacht aus dem Bienenstock verstoßen. Der Bienenstaat funktioniert nur als Einheit. Eine einzelne Biene ist allein langfristig nicht überlebensfähig. Drohnen auf Dauer im Stock zu beherbergen, bedeutet daher einen Mehraufwand an Nahrung, der für den Erhalt des Stockes von Nachteil ist.
Der Körperbau der drei Bienenwesen ist aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben verschieden. Die Königin ist gekennzeichnet durch ihren länglichen Hinterleib und die verhältnismäßig kurzen Flügel im Vergleich zu dem länglichen Körper. Drohnen haben von den drei Bienenwesen die größten Augen, sie dienen dazu, die Königin während des Hochzeitsfluges finden zu können. Arbeitsbienen sind ebenfalls weiblich. Ihre Geschlechtsorgane sind angelegt, jedoch nicht funktionsfähig. Sie legen keine Eier, sondern übernehmen verschiedene Aufgaben innerhalb des Bienenstockes, so zum Beispiel die Aufzucht der Larven, die Pflege der Königin und das Sammeln von Pollen und Nektar.
Die Bienenwesen eines Bienenvolkes (von links: Königin, Drohne, Arbeiterin).
Die Königin ist somit das einzige fortpflanzungsfähige weibliche Tier des Bienenvolkes und die Mutter aller Volksmitglieder. Alle Arbeiterinnen sind – genetisch gesehen – Schwestern. Die Königin legt bis zu 3000 Eier am Tag in die besagten Zellen der Wabe. Die Königin kann durchaus 5 Jahre alt werden. Die Arbeiterinnen hingegen leben im Sommer nur 4 bis 6 Wochen. Die überwinternden Arbeiterinnen werden älter, sie leben einige Monate, um mit der Königin den Winter zu überdauern.
Je nach Alter übernimmt eine Arbeitsbiene nacheinander verschiedene Aufgaben, die sich unmittelbar aneinander anschließen. So ist der kontinuierliche Ablauf im Bienenstock gesichert. Am ersten und zweiten Tag reinigt und desinfiziert sie nach und während ihres Schlüpfens die Brutzelle. Von Tag zwei bis Tag fünf ist es ihre Aufgabe, ältere Larven mit Pollen und Honig aus den umliegenden Zellen zu versorgen. Von Tag fünf bis Tag zehn ihres kurzen Lebens übernimmt sie die Rolle der Amme und Diätschwester. Sie versorgt junge Larven mit Futtersäften. Ab dem elften Tag übernimmt die Arbeitsbiene die Bautätigkeit. Die Phase der Bautätigkeit dauert fünf Tage, dann folgen Aufgaben wie die Herstellung von Honig, die Funktion als Wächterbiene sowie ab der vierten Woche die Aufgabe der Sammelbiene.
In den Zellen der Wabe erfolgt die Entwicklung der Biene vom Ei bis zum vollständig entwickelten Insekt. Darüber hinaus werden Pollen und Nektar in den Waben gelagert und zu Honig verarbeitet.
Von April bis Juni wächst das Bienenvolk stetig. In dieser Zeit produziert das Volk ständig neue Zellen und erweitert so seinen Raum für neue Brut. Was aber geschieht genau in der Bauphase? Die Arbeiterin hat das Alter von elf Tagen erreicht. Ihre Futterdrüsen, die sie zuvor zur Ernährung der Jungbienen benötigte, versiegen und die Wachsdrüsen nehmen ihre Funktion auf. Sie produzieren Wachs. Der Imker nennt den Prozess der Wachsproduktion „Wachsschwitzen“. Die Bestandteile des Bienenwachses sind Verbindungen von Fettsäuren mit Alkoholen.
Acht Paar Wachsdrüsen liegen an der Unterseite des Hinterleibes (Abdomen) des Bienenkörpers. Sie befinden sich zwischen dem dritten und sechsten Abdominalsegment. Da ein Wachsplättchen nur einen winzigen Bruchteil eines Gramms wiegt, wird hier die Leistung der Insekten deutlich, denn um die Wabenstruktur zu erstelle und ein flächiges Ausmaß von Zellen zu erhalten, müssen große Mengen an Wachsplättchen verfügbar sein. Binnen 24 Stunden kann ein Bienenvolk eine Wabe mit 5000 Zellen komplett aufbauen und das dazu benötigte Wachs produzieren. Die frisch produzierten Wachsplättchen haben zunächst eine weiße Farbe. Erst durch die Einlagerung der ölhaltigen Pollen färben sich die Zellen schließlich gelb.
Verschiedene Entwicklungsstadien der Honigbiene.
Die Arbeitsbiene produziert Wachsplättchen mittels Wachsdrüsen.
Innenausbau in Selbstorganisation
Bereits seit vielen Hundert Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Entstehung der exakten Struktur der Bienenwaben. Während ursprünglich den Bienen mathematischer Verstand zugesprochen wurde, konnte schließlich gezeigt werden, dass sie zunächst nicht sechseckige, sondern runde Zellen bauen. Das Wachs wird erst anschließend durch entsprechende Wärmeerzeugung auf circa 45 °C erwärmt, was dazu führt, dass die Zellen sich verformen und automatisch die Form der Hexaeder annehmen. In der Natur wird dieses Phänomen als Selbstorganisation bezeichnet. Diese Art der Selbstorganisation bringt für die Bienen auch Aspekte des Energiesparens mit sich, denn sie erzielen auf diese Weise mit der geringsten Menge Wachs ein ideales Ergebnis.
Die sechseckige Form bringt den positiven Effekt der vollständigen Raumausnutzung mit sich, insofern, dass alle Zellen unmittelbar aneinandergrenzen und es keine Zwischenräume gibt, was bei anderen Formen, wie Tetraeder oder Kugel der Fall ist. Weiterhin entsteht im Inneren der Zelle durch die sechseckige Form mehr Volumen als bei anderen Formen und auch die Stabilität ist optimal.
Runde Strukturen weisen im Vergleich zum Sechseck Hohlräume auf.
Energetisch perfekte Bauweise
Geringer Materialverbrauch, optimale Raumnutzung und hohes Maß an Stabilität sind die Eigenschaften, die Ingenieure hellhörig werden ließen. Denn sie suchten schon lange nach der energetisch perfekten Leichtbaugeometrie – und die weist die Bienenwabe auf. Die Wabenstruktur ist ideal einsetzbar, wenn gleichzeitig leichtes und auch stabiles Material benötigt wird. Auch Versuche der Selbstorganisation sind bereits in der Technik unternommen worden. So konnten selbstorganisierende Wölbstrukturen in Wabenform entwickelt werden: Entsprechend präparierte Blechplatten springen durch sanfte Druckeinwirkung von außen automatisch in die gewünschte Wabenform. Auf diese Weise ist es möglich, Blechdosen herzustellen. Da das Verfahren materialschonend ist, kann das Blech bereits vor der Verformung bedruckt werden, denn es ist einfacher eine glatte Oberfläche zu bedrucken als eine runde.
Weiterhin findet sich die Wabenstruktur in Kombination mit sogenannten Sandwichstrukturen bei vielen technischen Anwendungen wieder. Hier ist sie als „Honeycomb-Struktur“ bekannt. Auf diese Weise werden Umzugskisten und andere Verpackungsmaterialien besonders leicht, aber dennoch stabil gestaltet. Ähnliche Strukturen gibt es auch aus Aluminium.
Weitere Anwendungsbeispiele für den Einsatz von Wabenstruktur in der Technik finden sich in der Entwicklung von Autoreifen, denn die Gummiwaben ermöglichen eine bessere Bodenhaftung auf glatter oder vereister Fahrbahn. Auch der Bremsvorgang wird durch die Wabenstruktur verbessert.
In der Bautechnik sorgen strukturierte Ziegelsteine für deutlich leichteres Material, das zusätzlich die gleiche Stabilität aufweist wie massive Steine. Die Arbeit wird dadurch erleichtert. Durch die Hohlräume im Stein kann gleichzeitig eine verbesserte Schall- und Wärmeisolation erfolgen. Ebenfalls in der Bautechnik werden zur Belüftung wabenförmig strukturierte Aluminiumrohre eingesetzt.
Sandwichstruktur eines Pappkartons.
Die vermutlich bekannteste Erfindung nach Bienenbauart ist wohl die Schontrommel der Waschmaschine, die durch entsprechende Oberflächenstruktur einen Wasserfilm erzeugt, auf dem die Wäsche gleiten kann und so weniger stark strapaziert wird. Hinzu kommt, dass die Trommel nur wenig wiegt und dabei sehr haltbar und stabil ist.
Weiterhin werden Wabenstrukturen in der Medizintechnik eingesetzt. Sie ersetzen mittels eines entsprechenden Kunststoffs bereits Gips als Verbandmaterial zur Behandlung von Knochenbrüchen.
Und so lassen sich viele weitere Beispiele finden, in denen die Formen der Natur zum Vorbild für die Technik wurden. Und im Übrigen schmeckt der Honig direkt aus der Wabe besonders gut. Der Test lohnt sich.
Wabenstruktur der Waschmaschinentrommel.