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Stierlauftraining in Pamplona

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Schon um fünf Uhr morgens geisterten einige Pilger mit ihren Stirnlampen durch den Schlafraum. Die sanitären Anlagen waren nicht sehr zahlreich und befanden sich etwa sechzig Meter außerhalb des Hauptgebäudes. Um langes Anstehen zu vermeiden, lief ich schon früh durch die nasse Dunkelheit zum Waschraum.

Als ich die Königsfamilie aus meinem Schuh befreite, war sie ganz feucht und zerknittert und leider war auch der Schuh noch nicht ganz trocken. Sie waren also keine große Hilfe gewesen und deshalb bedankte ich mich auch nicht. Ich warf sie einfach wortlos in die große Abfalltonne.

Es war noch Nacht und vor der Brücke über den Río Arga traf ich den Bretonen Joseph. Gestern Abend hatten wir zusammen beim Pilgermenü gesessen und es sehr lustig gehabt.

»Du musst deinen Fuß schonen! Ich laufe ohnehin viel schneller als du. Alors, bon chemin!«, sagte er.

So viel schneller war Joseph allerdings nicht. Ich sollte während der nächsten zwei Stunden hundert Meter hinter ihm her laufen. Auf dem Jakobsweg läuft eben jeder sein Tempo – und manche möchten alleine pilgern.


Bei Regen und mit feuchten Schuhen lief ich an Larrasoaña vorbei, frühstückte in einer Bar am Weg und lief weiter Richtung Pamplona.

Nach der Brücke in Trinidad de Arre glaubte ich, bereits in Pamplona zu sein, und erkundigte mich bei einigen Passanten nach der Herberge Casa Paderborn. Niemand kannte sie. Nach langem Suchen und Konsultation des Reiseführers wurde mir klar, dass ich mich erst in einem Vorort befand und noch mindestens eine Stunde Weg vor mir hatte. Trotz dieser Verzögerung erreichte ich die Herberge kurz nach Mittag.

Dort wollte ich unbedingt übernachten, weil ich schon viel Positives darüber gelesen hatte. Die Herbergsführung sei zwar streng deutsch, aber das Gebäude sehr schön, der Empfang herzlich und der Service ausgezeichnet – und so war es dann auch. Nachdem ich ein heiliges Bier »San Miguel« getrunken hatte, las ich in der Hausordnung: Alkohol ist strengstens verboten! Sofort holte ich die leere Bierdose aus dem Abfallkorb und versteckte sie in meinem Rucksack. Ich wollte nicht schon am Anfang meiner Pilgerreise wegen einer Bierdose verhaftet werden.

Leider entdeckte ich an diesem Nachmittag am linken Fuß meine erste Blase. In diesem Schuh hatte letzte Nacht die Königsfamilie gesteckt. War es Rache? Ich vermutete, dass eher die nassen Socken dahintersteckten, die über Nacht nicht hatten trocknen können.

Mit einer langen Nadel stocherte ich in meiner wässrigen Blase herum, massierte meine schmerzenden Waden und hinkte am späten Nachmittag durch die Gassen Pamplonas. Es war Samstag und in allen Bars wurde drinnen und draußen lautstark gefeiert und gesoffen.

Ich lief kreuz und quer durch die Altstadt, passierte dabei eine Hochzeitsgesellschaft und auf dem Weg zur Toilette auch ein Restaurant. Auf dem Rückweg von selbiger aß ich mich durch eine Meeresfrüchte-Paella. Damit das Meeresgetier besser Richtung Magen schwimmen konnte, unterstützte ich dieses kulinarische Highlight mit einigen Gläsern Rotwein.

Pamplona ist bekannt für die im Juni stattfindenden Sanfermines. Zu Ehren des Schutzpatrons San Fermín werden

wilde Stiere durch die Gassen getrieben. Viele einheimische und ausländische Todesmutige rennen durch die Straßen und werden nicht selten von den Stieren verletzt oder sogar getötet. Einzig Kinder und Schwangere dürfen nicht mitrennen. Ich bin kein Kind und auch nicht schwanger – also könnte ich dabei sein.

Auf dem Camino hatte ich einen sehr sportlichen Surfer aus Hawaii getroffen, der dieses Jahr unbedingt mitrennen wollte. Das braucht natürlich eine gewisse Fitness und außerdem sehr viel Mut. Fitness kann man sich antrainieren – als Pilger war ich auf dem besten Weg dazu – und Mut kann man sich antrinken. Diese Erkenntnis machte mir schlagartig klar, warum hier so viel gesoffen wurde. Die jungen Spanier trinken sich alle Mut an. So trainieren sie für das Stierrennen! Wenn das so ist, wollte auch ich noch ein wenig trainieren: »Un vino tinto, por favor!«


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