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Ein Nähkurs in Viana

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Am frühen Morgen zwangen mich die Querbalken auf dem Dachboden, gebückt herumzulaufen. Ein älterer Holländer hingegen hatte im Dunkeln für einen Moment die Balken vergessen und lag nun wie ein Käfer auf dem Rücken. Das war mir zwar nicht passiert, aber ich ertappte mich dabei, dass ich im gefahrlosen Frühstücksraum mit hohen Decken den Kaffee in gebückter Haltung zum Tisch trug. Wegen dieses Dachbodens hatte ich also für kurze Zeit meinen aufrechten Gang verloren.

Schon deswegen konnte ich nicht hierbleiben und ich beschloss, um sieben Uhr dreißig aufzubrechen. Schon bald hatte ich Klara aus Passau eingeholt und lief mit ihr zusammen weiter. Sie war Ehefrau und Mutter dreier erwachsener Söhne und wollte den Jakobsweg unbedingt einmal alleine gehen. Wir führten interessante Gespräche über Gott und die Welt. Sie lief ohne Reiseführer und machte nie Pausen. Als ich mir in Sansol eine Kaffeepause gönnte, lief sie allein weiter.

Am Morgen hatte es noch nach Regen ausgesehen, aber gegen Mittag kam die Sonne heraus und es wurde sehr heiß. Kurz vor Viana setzte ich mich zu anderen Pilgern an den Wegesrand und öffnete ein Dosenbier.

»Jetzt fehlt nur noch die Zigarre«, witzelte Wolfgang, der sich mit Ulrike neben mich gesetzt hatte.

Und in der Tat hatte ich auch diese dabei. Ich musste sie nur noch anzünden. So kam es, dass ich mit Bier und qualmender Cohiba in der Hitze am steilen Wegesrand saß und die schwitzenden Pilger beobachtete, die sich den Weg hochkämpften. Mein Anblick war wohl ziemlich provokativ und ich musste mir einige deftige Sprüche anhören. Einige Pilger fotografierten sogar mein lasterhaftes Tun.

Vier Tage später kam eine Pilgerin in einer Herberge auf mich zu. »Dich kenne ich!«, sagte sie. »Du bist doch der Typ, der am

Wegesrand vor Viana eine Zigarre geraucht hat!«

So schnell hatte sich also mein guter Ruf in Rauch aufgelöst.


Auf dem letzten Wegstück traf ich Jean-Claude mit zwei Französinnen und Rüdiger, den ich seit Pamplona nicht mehr gesehen hatte. Wir stoppten alle in der ersten Herberge in Viana und wurden im gleichen Achtbettzimmer einquartiert.

Die Französinnen Martine und Annie sorgten sich um meine Gesundheit, als sie sahen, wie ich mit einer langen Nadel in einer großen Blase an der Ferse herumstocherte. »Das kann schlimme Infektionen und Fieber auslösen!«, meinte die eine. »Wir zeigen dir jetzt, wie wir das in Frankreich machen!«, fügte die andere hinzu.

Schon standen sie mit einem großen Erste-Hilfe-Set neben meinem Bett. Durch eine Nähnadel wurde ein dicker Faden gezogen, der mit einer Desinfektionsflüssigkeit getränkt war. Sie zogen die Nadel mit dem Faden durch meine Blase, cremten sie ein und umwickelten den Fuß mit viel Verbandsstoff. Die anderen Pilger standen um uns herum. Sie hatten alles beobachtet und fotografiert.


Dieser Nähkurs war auch für mich neu und ich war überzeugt, dass die Blase nach dieser professionellen und charmanten Behandlung nicht mehr schmerzen und bestimmt ganz schnell heilen würde.

Eine Woche später wurde der Fuß schwarz und fiel ab. Der heilige Jakobus erschien mir und sagte: »Das ist die Strafe dafür, dass du auf dem Jakobsweg geraucht hast!«

Ich erwachte aus meinem Alptraum, weil Ulrike oben rechts leicht schnarchte.

ÜBER BOCK UND STEIN NACH SANTIAGO

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