Читать книгу ÜBER BOCK UND STEIN NACH SANTIAGO - Johannes Borer - Страница 13
Die Bettgeschichte begann auf dem Perdón
ОглавлениеGestern Abend wurde uns Pilgern gesagt, dass in der Casa Paderborn um sechs Uhr aufgestanden wird. Als dann am Morgen das Licht anging, quälte ich mich aus dem Schlafsack und zog meine Kleider an. Bis endlich einer merkte, dass der Uhrzeiger erst auf fünf Uhr stand, waren schon drei Pilger auf den Beinen.
»Was soll das?«, fragten wir den deutschen Lichtanknipser.
»Ich bin aufgewacht, weil der Brasilianer geschnarcht hat. Ich hasse Schnarcher! Wenn ich nicht schlafen kann, habt ihr auch kein Recht auf Schlaf!«, brummte dieser.
Allgemeine Entrüstung.
Rüdiger sagte ihm dann die Meinung: »Dein Verhalten ist höchst unsozial und vor allem unchristlich«.
Sehr beeindruckt hat ihn das wohl nicht, denn etwas später hatte er im Gästebuch eine ganze Seite mit Bibelsprüchen gefüllt.
Diesen Spruch hat er allerdings nicht ins Buch geschrieben:
Herr, verzeih mir, denn ich wusste nicht, was ich tat.
Und dieser hätte wohl noch besser zu ihm gepasst:
Wer das Licht fürchtet, sollte nicht im Dunkeln Holz zersägen und seine Mitmenschen damit ärgern.
Ich verabschiedete mich um sieben Uhr von Regula, der netten Herbergsleiterin und lief den Pfeilen nach durch die ruhigen Gassen von Pamplona. Einige Nachtschwärmer waren auf dem Heimweg und die Müllabfuhr sammelte die leeren Flaschen vom gestrigen Besäufnis ein.
Der Aufstieg zum »Alto del Perdón« war ziemlich anstrengend, aber endlich schien wieder einmal die Sonne und die Natur zeigte sich in ihrem Sonntagskleid. Es war ja auch Sonntag und viele Spanier waren ohne Rucksack unterwegs.
Oben auf dem »Perdón«, bei den Pilgerskulpturen, sah ich den fünfundfünfzigjährigen Herbert mit einer etwa gleichaltrigen Frau im Gespräch. Ich grüßte ihn kurz und machte mich dann sofort auf den steilen und steinigen Abstieg Richtung Uterga. Meine Füße und Beine schmerzten, deshalb war mein heutiger Leidensweg in Obanos zu Ende. Bis ins touristischere Puente la Reina hätte ich es ohnehin nicht mehr geschafft.
In der Gemeindeherberge folgte dann das übliche Prozedere: Duschen, Fußpflege, Wäsche waschen, etwas Kleines essen, ein Bier trinken und Tagebuch schreiben.
Um sieben Uhr trafen sich einige Pilger zu einem üppigen Pilgermenü in der Dorfkneipe. Für zehn Euro wurden wir sogar mit drei Vorspeisen verwöhnt. Gemischter Salat, Fischsuppe, Linseneintopf. Als Hauptspeise folgte Fisch oder Fleisch mit Fritten und ein Nachtisch nach Wahl. Dazu genügend Wein, Wasser und Brot.
Am Tisch saß auch Herbert mit seiner weiblichen Bekanntschaft vom »Alto del Perdón«. Er erzählte mir, dass sie sich dort oben zum ersten Mal gesehen hatten und dann gemeinsam nach Obanos gelaufen waren. Auf der Suche nach der Herberge hatte ihnen eine einheimische Frau ein Hotelzimmer angeboten, das sie sofort akzeptierten. Nun freuten sie sich auf das schöne Zimmer mit Bad und Doppelbett. So schnell wurden auf dem Jakobsweg Freundschaften geschlossen. Natürlich würde nichts passieren, denn der Pilgerehrenkodex verbietet sexuelles Verlangen und nach dem gemeinsamen Nachtgebet ist es ohnehin obligatorisch, die Lichter zu löschen.
Herberts Name wurde geändert, denn er ist glücklich verheiratet und seine Ehefrau kann ja nicht wissen, dass ein Engelsonderkommando über dem Jakobsweg sexualhemmenden Weihrauch versprüht. (Bei mir hat es gewirkt, bei anderen vielleicht weniger.) Wenn also in dieser Nacht doch etwas passieren würde, dann wäre es bestimmt nicht gewollt. Es wäre höchstens eine Reflexbewegung im Halbschlaf, nur um zu sehen, ob die Ehefrau oder der Partner noch da ist, wie man das zu Hause manchmal macht. So eine kurze zärtliche Berührung, wie sie mir in O Cebreiro widerfahren ist. Dort standen die Stockbetten in der staatlichen Herberge teilweise nebeneinander. Der Italiener neben mir hielt in der Nacht kurze Zeit meine Hand und streichelte sie. Dann schreckte er plötzlich auf und entschuldigte sich. Kein Problem – solche Sachen passieren eben in den engen Herbergen und auf dem Jakobsweg sollte man sich ja schließlich näherkommen.
Am nächsten Tag hatte Herbert seine Spontanbekanntschaft an einen anderen Pilger verloren und er war wieder allein unterwegs. Eine Ablösesumme, wie etwa beim Fußball üblich, soll nicht im Spiel gewesen sein.