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Ein Geisterfahrer vor Lorca

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Ich hatte die Herberge ohne Frühstück verlassen. Erst nach einem einstündigen Marsch gönnte ich mir in Puente la Reina einen Kaffee und ein Tordilla-Bocadillo. Während der Frühstückspause traf ich das finnische Schnarcher-Ehepaar, das ich in Valcarlos kennengelernt hatte. Beiden ging es ziemlich mies. Er hatte Durchfall und sie ein geschwollenes Gesicht. Hatte der Mann womöglich zurückgeschlagen, als seine Frau ihn wieder einmal wegen des Schnarchens schüttelte? Undenkbar bei einem so harmonischen Paar! Der Grund war wohl eher ein Virus oder irgendein Ungeziefer.

Die Brücke über den Río Arga in Puente la Reina

Ich wünschte ihnen gute Besserung und lief weiter über die berühmte Brücke, die dem Ort den Namen gab. Dann holte mich die Französin Monique ein, die ich seit dem Abendessen in Zubiri kannte. Wir unterhielten uns eine Weile, aber sie lief viel zu schnell und ich hatte große Mühe mitzuhalten. Beim Aufstieg zur Autobahn schloss sie sich einer Gruppe Franzosen an. Ich lief dann mit Wolfgang, den ich seit Pamplona kannte und der mich immer wieder mit einem schrägen oder lustigen Spruch zum Lachen brachte. Der Pilgerweg folgte der Autobahn und querte diese gelegentlich. Während ich im malerischen Dörfchen Cirauqui eine Fußlüftungspause einlegte, ging Wolfgang wieder seinen eigenen Weg.

Ausgeruht lief ich weiter, an der Autobahn entlang, bis kurz vor Lorca ein Geisterfahrer auf mich zuraste.


Auf dem schmalen Weg konnten wir nicht aneinander vorbei, deshalb sprang ich vom steinigen Weg ins hohe Gras. Ein braungebrannter, bärtiger Mann mit einem einrädrigen Gefährt holperte in hohem Tempo an mir vorbei. Auf diesem Einrad-Eigenbau, den er hinter sich herzog, hatte er seine Pilgerhabseligkeiten festgebunden. Immerhin kam noch ein grimmiges »Buen camino« über seine Lippen. Vermutlich war er es leid, ständig zu grüßen, denn heute waren wieder sehr viele Pilger nur in eine Richtung unterwegs.

Gerne hätte ich mit ihm gesprochen und ihn nach seinen Erfahrungen und dem Ziel gefragt, denn es gab nur wenige Pilger, die den Weg in umgekehrter Richtung gingen. Aber bevor ich reagieren konnte, sah ich ihn nur noch von hinten. Ich schaute ihm lange nach und beobachtete, wie alle Westwärtspilger vom Weg abkamen und ins hohe Gras auswichen.

Nicht alle, die entgegenkommen, sind schwarze Schafe

Ohne Hilfsrad an meinem Rucksack schleppte ich mich hinauf nach Lorca. In einer Bar machte ich einen kurzen Halt und bestellte ein kühles Bier.

In Villatuerta versagten mir dann die Beine den Dienst und ich fand in der leicht esoterischen Herberge »La Casa Mágica« ein komfortables Fünfbettzimmer. Im selben Zimmer waren zwei Amerikaner. Jim, der seit zwanzig Jahren mit einer Schweizerin verheiratet war und in Zürich lebte, und der Bodybuilder Brad, der gerade ein Rennen gegen einen Russen verloren hatte. Wie Spitzensportler hatten sich die beiden während Tagen gegenseitig angestachelt, immer weiter und immer schneller zu laufen. Fünfunddreißig bis fünfundvierzig Kilometer pro Tag mussten es schon sein. Leider hatte Brad bei diesem Ego-Rennen seine Beinmuskeln total überfordert und konnte fast nur noch kriechen. Der Arzt hatte ihm geraten, sich mindestens drei Tage lang auszuruhen.

»Diese Rennerei war totaler Blödsinn!«, meinte Brad. »Die USA haben zwar gegen Russland verloren, aber ich habe eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Ab heute werde ich den Jakobsweg viel langsamer und besinnlicher weiterlaufen.«

Auch in dieser Herberge waren wieder einige sympathische Pilger abgestiegen, die ich auf dem Weg kennengelernt hatte. Zum Beispiel Jean-Claude aus Grenoble, Klara aus Passau, die Deutschen Christian und Markus und der Franzose Arnaud. Mit all den netten Menschen waren der Nachmittag und Abend sehr unterhaltsam und das Pilgermenü wieder einmal fantastisch. Und als mir Arnaud bessere Ohrstöpsel schenkte, war auch die Nachtruhe gesichert.


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