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Zitronengesichter am Weinbrunnen von Irache

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Nach einem super Frühstücksbuffet lief ich gut genährt und erholt durch Estella und weiter zum Weinbrunnen von Irache.

Obwohl es erst etwa neun Uhr war, freute ich mich als Weinliebhaber auf die Degustation und den frühen Apéro. Schon bald hörte ich die »Eviva España-Gesänge« einer fröhlichen Radpilgergruppe. Sie standen vor dem Brunnen Schlange, scherzten und fotografierten sich gegenseitig. Endlich war ich an der Reihe. Ich pumpte meinen mitgebrachten Becher mindestens halbvoll. Nach einem ersten Schluck verzog ich das Gesicht zu einem säuerlichen Grinsen. Hatte ich es mir doch noch gedacht. Von einem Gratiswein durfte ich nicht zu viel erwarten. Erst jetzt bemerkte ich die zahlreichen Zitronengesichter mit Weingläsern in der Hand um mich herum.


Ein Radpilger fragte mich, ob ich ihn fotografieren könne, und streckte mir sein Smartphone entgegen. Ich stellte den Becher auf den Boden und fing an zu knipsen. Weitere Radpilger baten mich um Fotos und so wurde ich zum vielbeschäftigten Fotografen der Bodega Irache.

Als ich mich endlich wieder um meinen Becher kümmern konnte, schwammen zwei Ameisen im Sauerwein. Ich rettete ihnen das Leben, indem ich sie mitsamt dem roten Nass an den Wegrand schüttete. Meiner Meinung nach war das keine gute Weinwerbung für Leute, die normalerweise keinen Wein trinken. Trotzdem gab es Pilger, die ihn sogar sehr gut fanden. Vielleicht gab es sogar Schnäppchenjäger, die ganze Flaschen abpumpen und nach dem Genuss nicht mehr so richtig bei der Sache waren. Wolfgang beispielsweise vergaß seine Trekkingstöcke beim Brunnen und vermisste sie erst am Abend.

Ich lief dann ziemlich nüchtern weiter durch den Wald und die schöne und sonnenbeschienene Landschaft bis Villamajor de Monjardín. Dort bestellte ich in der Albergue ein Glas guten »Castillo Irache«. Nun konnte ich mein Urteil vom Weinbrunnen revidieren: Es gibt also auch sehr gute Irache Weine.

Es war noch etwas zu früh, um mich schon hier auf ein Bett zu legen, deshalb lief ich weiter durch eine wunderschöne Landschaft Richtung Los Arcos. Ich lief und lief, wurde müder und müder und weit und breit war kein Restaurant oder Rastplatz in Sicht.

So kam der Moment, in dem ich meinen Rucksack einfach auf den Boden warf, mich etwas weiter entfernt an den Straßenrand setzte und mich mit einer Banane und einem Müsliriegel stärkte. Nach einer Viertelstunde fühlte ich mich stark genug, um den Rucksack wieder zu schultern.

»Oh, nein! Das darf nicht wahr sein!« Auf dem Rucksack wimmelte es von schwarzen Ameisen. Da steht in allen Reiseführern, man solle den Rucksack wegen des Ungeziefers nicht auf den Boden stellen und ich hatte ihn mitten in ein Ameisennest geworfen. Wie kann man nur so blöd sein!

Und wieso ist die Natur so ungerecht? Am Morgen hatte ich noch zwei Ameisen das Leben gerettet und nun attackierten ihre Verwandten meinen Rucksack. Oder wollten sie sich vielleicht bedanken und mir den Rucksack nach Los Arcos tragen? Wie dem auch sei, ich war nun einige Minuten damit beschäftigt, die schwarzen Krabbler von meinem Rucksack und aus dessen Innerem zu entfernen. Ständig kamen wieder irgendwo neue zum Vorschein und ich spickte sie zurück in die Natur. Immerhin hatten die vorbeikommenden Pilger etwas zu lachen.


Obwohl ich mein Bestes getan hatte, bekam die eine oder andere Ameise wohl doch Gelegenheit, mit mir zusammen die Herberge »Casa de Austria« in Los Arcos kennenzulernen. Ich war ziemlich spät dran und bekam eine der letzten Matratzen auf dem Dachboden. Kurz nach mir erschien auch Marek, ein tschechischer Manager, der fristlos entlassen worden war und nun auf dem Camino sein Leben überdenken wollte. Weil mein Knie heute sehr schmerzte, bot er mir an, meine Schmerzen durch Handauflegen zu lindern. Er versicherte mir, dass er diese Fähigkeit von seinem Vater geerbt habe und schon seit zwanzig Jahren Leute heile. Ich wollte noch etwas warten, weil ich ihm wegen ein paar Schmerzen nicht seine Kräfte rauben wollte, aber er versicherte mir, dass es genau umgekehrt sei. Wenn er mich erfolgreich heilen könne, erhalte er Kraft und Energie. Ich vertröstete ihn auf später. Leider sollte ich diesen interessanten und sympathischen Mann auf meinem Weg nicht wieder antreffen. Später informierten mich andere Pilger, dass er, um Geld zu sparen, oft in einem Biwaksack im Freien übernachtet hatte.

Ich humpelte dann im Dorf umher, besichtigte die prunkvolle Kirche »Santa María« und wurde von einem französischen Ehepaar zu einer Sangria eingeladen. Heute hatte ich keine Lust auf ein Pilgermenü und begnügte mich mit einem einfachen Picknick in der Herberge. Die Zähne putzte ich mit den Fingern, weil ich meine Zahnbürste nicht fand.


ÜBER BOCK UND STEIN NACH SANTIAGO

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