Читать книгу Steuerstrafrecht - Johannes Franciscus Corsten - Страница 205
b) Strafschärfende Umstände
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Nicht nur zur Bestimmung des anwendbaren Strafrahmens (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1) sondern auch innerhalb des Strafrahmens ist der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund. Er ist nach der Rspr. des BGH zwar nicht in dem Sinne ausschlaggebend, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird,[899] jedoch komme die Verhängung einer bewährungsfähigen Freiheitsstrafe bei einer Steuerhinterziehung mit einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen, bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht.[900] Dabei sind sämtliche Strafzumessungskriterien zu berücksichtigen.[901] Der BGH spricht bei tatmehrheitlich begangenen Taten von einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe wenn der Betrag insgesamt erreicht wird.[902] Diese Grenze hat der 1. Senat in nachfolgenden Entscheidungen wieder stark aufgeweicht und hielt z.B. in einer Entscheidung vom 15.5.2018, 1 StR 159/17[903] bei einer Vorsteuerhinterziehung in Höhe von über 145 Mio. € die Verhängung von Bewährungsstrafen für vertretbar.[904] Ist der Täter wegen einer Vielzahl von Fällen der Steuerhinterziehung zu verurteilen, kommt bei der Bemessung der Einzelstrafen angesichts der gleichgelagerten Begehungsformen eine Kategorisierung nach der Schadenshöhe in Betracht.[905] Bei auf verdeckten Gewinnausschüttungen beruhenden Körperschaftsteuer- (auf Ebene der Gesellschaft) und Einkommensteuerhinterziehungen (auf Ebene des Gesellschafters) durch Gesellschafter einer juristischen Person müssen die Gesellschafter nach der Rechtsprechung des BGH bei der Ausurteilung der korrespondierenden Einkommensteuerhinterziehung – wegen der gebotenen Gesamtbetrachtung der Steuerhinterziehungen – strafzumessungsrechtlich so behandelt werden, als ob für die Gesellschaft steuerehrlich gehandelt wurde.[906] Dazu war nach der Rspr. unter Geltung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens mit Geltung bis VZ 2001 bei der Bemessung des Hinterziehungsbetrags einerseits zwar die verdeckte Gewinnausschüttung unter Einschluss der bei der Gesellschaft anfallenden Körperschaftsteuer in Ansatz zu bringen, andererseits aber – fiktiv – der bei steuerehrlichem Verhalten der Gesellschaft beim Gesellschafter abzuziehende Körperschaftsteuerbetrag anzurechnen, um eine strafrechtlich nicht hinnehmbare Doppelbelastung zu vermeiden.[907] Diese Grundsätze übernahm die Rspr.[908] für das System des Halbeinkünfteverfahrens des § 3 Nr. 40 EStG a.F.[909], wobei Zweifel bestehen, ob es insoweit überhaupt noch zu einer Doppelbelastung kam.[910] Für das seit 2008 anwendbare Teileinkünfteverfahren (im Betriebsvermögen) bzw. das Abgeltungssystem (im Privatvermögen) hat der BGH eine solche strafmildernde Wirkung abgelehnt.[911] Bislang nicht entschieden und in der Lit. umstr. ist, was bzgl. der auf verdeckte Gewinnausschüttungen entgegen § 43 Abs. 1 EStG nicht abgeführten Kapitalertragsteuer gilt,[912] da die Abführung auf die verdeckte Gewinnausschüttung nach §§ 32d Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 5 S. 1 EStG eine abgeltende Wirkung hat. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis das Veranlagungsverfahren zur (unterbliebenen) Anmeldung bzgl. der Kaitalertragsteuer steht. Die Finanzverwaltung geht von einem Vorrang des Veranlagungsverfahrens aus.[913] In diese Richtung tendiert nach Ansicht von Madauß auch der BGH in einer Entscheidung vom 22.1.2018, in der er in diesem Zusammenhang auf eine entsprechende Literaturmeinung von Voßkuhl/Klemke verweist.[914] Daraus schließt er, dass die Steuerhinterziehung durch Nichtanmeldung der Kapitalertragsteuer mitbestrafte Vortat zur Steuerhinterziehung durch Falsch-/Nichtabgabe der ESt-Erklärung sei.[915]
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Weitere gegen den Täter erhobene Tatvorwürfe, bzgl. derer keine Verurteilung erfolgt (insb. nach Verjährung oder Einstellung gem. §§ 153, 153a StPO oder Beschränkung nach §§ 154 ff. StPO), sollen nach Meinung der Rspr. und Teilen der Literatur strafschärfend berücksichtigt werden können (dazu auch § 376 Rn. 11).[916] Teilweise wurde dies wegen der vom Verfahren ausgehenden „Warnfunktion“ selbst für den Fall bejaht, dass das frühere Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Täter freigesprochen worden ist.[917] Dagegen hat der BGH allerdings zuletzt immerhin Bedenken geäußert.[918] Die strafschärfende Berücksichtigung eingestellter Taten ist mit der Unschuldsvermutung gem. Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht vereinbar. Das gilt immer, wenn das Verfahren, gleich aus welchem Grund, beschränkt oder eingestellt worden ist. Soll der eingestellte Vorwurf strafschärfend berücksichtigt werden, ist das Verfahren wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Ist die Wiederaufnahme nicht mehr möglich, verbietet die Unschuldsvermutung eine Berücksichtigung über den Umweg der Strafzumessung.[919]
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Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die hinterzogene Steuer nach § 71 kann strafmildernd berücksichtigt werden, sofern der Angeklagte nach den Umständen des Einzelfalles tatsächlich mit seiner Heranziehung rechnen muss und dies eine besondere Härte darstellt.[920] Die tatsächlich erfolgte Zahlung kann als Schadenswiedergutmachung strafmildernd berücksichtigt werden.
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Kann eine im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 mit Tatherrschaft handelnde Person mangels eigener steuerlicher Erklärungspflichten nur als Gehilfe bestraft werden, soll die Tatherrschaft des Gehilfen – im Rahmen des nach § 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmens – erheblich strafschärfend berücksichtigt werden können.[921]
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Da es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, greift die Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB nicht ein.[922]
Generalpräventive Erwägungen können nach der Rechtsprechung des BGH nur in engen Grenzen straferschwerend berücksichtigt werden. Die Begründung, „bei der Steuerhinterziehung mit Steuerschäden in einem außerordentlich hohen Bereich müsse deutlich gemacht werden, dass Steuerdelikte keine ‚Kavaliersdelikte‚ seien und es deshalb, um Nachahmungseffekte zu verhindern, unerlässlich sei, der Allgemeinheit zu verdeutlichen, dass die Pflicht, Steuern zu zahlen, zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und damit zum Wohle aller unerlässlich sei“, trägt eine Strafschärfung nicht. Der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher rechtfertigt eine schwerere Strafe als sie sonst angemessen wäre nur dann, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist.[923]