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bb) Verlust umsatzsteuerlicher Rechte

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Nach der Rspr. des EuGH[1012] und dem folgend des BFH[1013] kann sich der Steuerpflichtige auf die ihm nach umsatzsteuerlichen Vorschriften zustehenden Rechte nicht in missbräuchlicher Weise berufen. Der EuGH verlangt, dass die nationalen Behörden und Gerichte die europarechtlich – d.h. seit dem 1.1.2007 in der MwStSystRL – vorgesehenen Rechte versagen, die betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht werden, unabhängig davon, ob es sich um Rechte auf Vorsteuerabzug, auf Befreiung von oder auf Erstattung der auf eine innergemeinschaftliche Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer handelt.[1014] So entfällt die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen trotz Vorliegens der objektiven Merkmale des § 6a UStG, wenn der Unternehmer weiß oder wissen muss, dass er sich an einem Umsatzsteuerbetrug des ausländischen Erwerbersbeteiligt.[1015] Das soll insb. der Fall sein, wenn er den wahren Abnehmer im Ausland verschleiert und diesem damit die Nichtabführung der (Einfuhr-)USt erleichtert.[1016] Gleiches gilt für seinen Vorsteueranspruch, wenn er sich in Bezug auf den Eingangsumsatz betrügerisch verhält, bzw. wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit dem betreffenden Umsatz in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.[1017]

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Ist dem Steuerpflichtigen sein Verhalten sowohl bei Bezug, als auch bei Veräußerung von Leistungen vorzuwerfen, kann das, wie der EuGH klar gestellt hat, dazu führen, dass ihm sowohl die Vorsteuer, als auch die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung an einen Abnehmer im Ausland bzgl. desselben Gegenstandes versagt wird.[1018] Voraussetzung ist, dass die vom Steuerpflichtigen selbst durchgeführten Umsätze mit einem Betrug behaftet sind, dass er weiß oder wissen muss, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Steuerhinterziehung einbezogen ist,[1019] bzw. bei betrügerischem Charakter der Lieferkette als Ganzes.[1020] Das wirft die Frage auf, ob ein nur auf einer Seite der Lieferkette begangener Betrug zur Aberkennung der umsatzsteuerlichen Rechte auf beiden Seiten führt. Bezieht bspw. ein Unternehmer ordnungsgemäß Ware von einem nicht in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogenen Lieferanten und verkauft sie anschließend steuerfrei an einen Abnehmer, von dem er weiß oder wissen müsste, dass dieser einen Umsatzsteuerbetrug begeht, so ist nicht nachvollziehbar, warum ihm neben der Steuerfreiheit der Lieferung auch der Vorsteuerabzug versagt werden sollte. In keinem der drei dem EuGH in Sachen Italmoda vorgelegten Fälle war die Finanzverwaltung in einer so weitgehenden Weise vorgegangen, sondern hatte die Rechte nur insoweit auf beiden Seiten aberkannt, als auf beiden Seiten betrügerisch vorgegangen worden war. Die Ausführungen des EuGH gehen darüber ebenfalls nicht hinaus.[1021] Zudem betont der EuGH in früherer Rechtsprechung, dass jeder Umsatz für sich zu betrachten ist.[1022] Folglich stünde dem Unternehmer in dem genannten Beispiel der Vorsteuerabzug zu.

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Durch den möglichen parallelen Verlust der umsatzsteuerlichen Rechte sowohl auf der Eingangs- als auch auf der Ausgangsseite kann der Steuerpflichtige im Ergebnis doppelt mit USt belastet werden und damit über die Kompensation der durch sein Verhalten ermöglichten Umsatzsteuerverkürzung hinaus. Dies würde zu einer Durchbrechung des auch vom EuGH anerkannten Grundsatzes der Neutralität der Umsatzsteuer[1023] führen. Auch die Frage, ob die USt vom (verschleierten) Erwerber der Leistung eingetrieben werden kann, berücksichtigt der EuGH für die Frage der Versagung der Rechte des Lieferanten nicht.[1024] Da die Versagung der sich aus dem Mehrwertsteuersystem ergebenden Rechte bei betrügerischer bzw. missbräuchlicher Geltendmachung „schlichte Folge“ dessen sei, dass die insoweit nach den einschlägigen Bestimmungen vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, habe die Versagung dennoch nicht den Charakter einer Strafe oder Sanktion i.S.v. Art. 7 EKMR oder von Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

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Wäger erachtet die Rechtsaussagen des EuGH-Urteils Italmoda mit beachtlichen Gründen als im deutschen Recht nicht berücksichtigungsfähig.[1025] Der BFH hat die Durchbrechung der Neutralität der USt bei einer mit dem Ziel des Mehrwertsteuerbetruges von mehreren Unternehmern planmäßig hintereinandergeschalteten Lieferkette bislang vermieden, indem er dem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug aus den Eingangslieferungen versagt hat, dementspr. aber auch die Steuern für die entsprechenden Ausgangsumsätze nicht zu erfassen waren.[1026] Zudem kommt nach der Rspr. des BFH in Fällen der Überkompensation der Erlass aus Billigkeitsgründen in Betracht.

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Für die Frage der Steuerhinterziehung wird die weite Auslegung des § 6a UStG nach der Rspr. des BGH auch strafbegründend zugrunde gelegt,[1027] d.h. eine Steuerhinterziehung darauf gestützt, dass keine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliege, weil USt im Ausland zwar entsteht, tatsächlich aber nicht abgeführt wird. In einer Entscheidung v. 19.3.2013[1028] lässt der BGH offen, ob eine Steuerpflicht einer innergemeinschaftlichen Lieferung trotz Vorliegens der objektiven Voraussetzungen hierfür auch dann in Betracht kommt, wenn dem Unternehmer – der nicht über die Identität des Abnehmers täuscht – nur bekannt ist, dass der Abnehmer, den er nach seinen Belegen und buchmäßigen Aufzeichnungen als Abnehmer führt, seine steuerlichen Verpflichtungen im Bestimmungsmitgliedstaat nicht erfüllt. Die Übernahme der steuerlichen Rspr. des EuGH ins Strafverfahren ist verfassungsrechtlich bedenklich.[1029] Da es sich bei § 370 nach st. Rspr. um eine Blankettvorschrift handelt, ist Grenze der Heranziehung des § 6a UStG zur Begründung einer Strafbarkeit das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 GG und damit der Wortlaut der Vorschrift.[1030] Das BVerfG ist jedoch der Auffassung, § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG, wonach die Steuerbefreiung voraussetzt, dass die Lieferung im Zielland den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt, könne auch dahingehend verstanden werden, dass die konkrete Lieferung im Zielland auch tatsächlich der Umsatzbesteuerung unterworfen wird und sei deshalb mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.[1031] Zu dieser Auslegung könnte man kommen, wenn § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG fordern würde, dass der Erwerb „der Umsatzbesteuerung unterliegt“. Da es nach dem Wortlaut jedoch ausdrücklich darauf ankommt, dass der Erwerb in dem anderen Mitgliedstaat „den Vorschriften der Umsatzbesteuerung“ unterliegt, wird auf die Rechtslage und nicht auf die tatsächliche Durchführung der Besteuerung abgestellt, eine darüber hinaus gehende Auslegung überschreitet somit die Grenze des Wortlauts des § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG.[1032]

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Bei strenger Umsetzung der EuGH-Rspr. auch im Bereich des Strafrechts könnte der Hinterziehungserfolg im Falle der steuerlichen Aberkennung der umsatzsteuerlichen Rechte sowohl bei Bezug als auch bei Veräußerung der Ware dazu führen, dass der Hinterziehungserfolg über den eingetretenen steuerlichen Schaden hinaus geht. Dies müsste ggf. im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden.

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