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2 Die neue Religion

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Um es klar und deutlich zu sagen: Meiner Ansicht nach ist die Ideologie dieser Leute nicht nur ›so ähnlich wie‹ eine Religion. Ich ziehe diesen Vergleich nicht als rhetorisches i-Tüpfelchen. Für mein Dafürhalten ist diese Ideologie tatsächlich eine Religion. Ein Anthropologe würde zwischen der Pfingstbewegung und dieser neuen Spielart von Antirassismus typologisch keinen Unterschied erkennen. Sprache ist immer ungenau, und das Wort ›Religion‹ beschränkt sich in unserer Benutzung schon seit Langem auf bestimmte Arten von Ideologie, nämlich auf solche, die auf Schöpfungsmythen gründen, sich auf alte Schriften stützen und den Glauben an gewisse Dinge jenseits der empirischen Erfahrbarkeit voraussetzen. Das aber ist ein Fehler, so ähnlich wie der, Tomaten als Gemüse und nicht als Obst zu bezeichnen. Wenn wir noch einmal zurück auf Los gingen, könnte der Begriff ›Religion‹ ebenso gut für erst vor Kurzem entstandene Denkweisen geltend gemacht werden, nämlich solche, die einen Glauben an Unbeweisbares nicht explizit voraussetzen (auch wenn dieser Glaube, wenn man genauer hinsieht, natürlich trotzdem vorhanden ist). Eine dieser Denkschulen ist die extremistische Ausformung von Antirassismus heute.

Mit dem Aufkommen des Third-Wave-Antirassismus erleben wir die Geburt einer neuen Religion, so wie die Römer zu Zeugen der Geburt des Christentums wurden. Nur wenn man begreift, dass sie Religionsangehörige sind, schafft man es, die Erwählten nicht als schlichtweg verrückt wahrzunehmen. Sie als Anhängerinnen und Anhänger einer Religion zu interpretieren bedeutet nicht, sie wohlig mit Hohn und Spott zu überziehen, sondern im Kern zu verstehen, wer und was sie sind.

Weil sie sich dieser These – verständlicherweise – mit Verve entgegenstellen werden, wird es nicht einfach, die Allgemeinheit von dieser Wahrnehmung zu überzeugen. Aber auch die frühen Christen hielten sich nicht für Angehörige einer Religion, sondern für Trägerinnen und Träger der einen Wahrheit, in Opposition zu allen anderen Glaubenssystemen, wie auch immer sie heißen mochten. Hinzu kommt, dass es den Erwählten nicht zupasskommt, in unserer heutigen Zeit als Religion bezeichnet zu werden, weil sie sich erstens nicht als Gläubige sehen und zweitens fromme Religiosität oft mit Rückwärtsgewandtheit in Verbindung bringen. Außerdem schwingt in dem Begriff das Bild von Menschen mit, die nicht für sich selbst denken können.

Aber egal, wie verständlich ihre Einwände auch sind: Wir sollten uns nicht von ihnen ablenken lassen, sondern die Ärmel hochkrempeln und nach einem Weg suchen, wie es sich unter Menschen leben lässt, die dieser neuen Religion ergeben sind. Ihr Widerstand passt nicht ins größere Bild, in dem es weniger um individuelle Erwählte, sondern vielmehr darum geht, welchen Sinn wir ihrer Denkart abgewinnen, einer Denkart, die von außen betrachtet obsessiv und verletzend zu sein scheint. Um aber diesen Sinnzusammenhang herzustellen, müssen wir sie verstehen – teils aus Mitleid, teils aber auch, um sie nicht unser Leben zerstören zu lassen. Das verhindern wir nur, wenn wir sie nicht als durchgeknallt abtun, sondern als Angehörige einer Religionsgemeinschaft begreifen.

Zu diesem Zweck sollten wir uns genauer anschauen, in welchen Punkten ihre neue Religion klare Gemeinsamkeiten hat mit älteren Religionen. Nur so wird aus einem zunächst großen Durcheinander an schrägen Meinungen und Ansichten etwas relativ Kohärentes.

Die Erwählten

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