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Für die Erwählten gibt es die Erbsünde
ОглавлениеDie Erwählten haben also sowohl Magie als auch einen Klerus – und dazu noch einen Begriff von Erbsünde. Im Erwählten Glaubensbekenntnis heißt diese Sünde White Privilege, womit die systemimmanenten Privilegien weißer Menschen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft gemeint sind.
Um hier gleich eine Frage vorwegzunehmen: Ja, ich glaube auch, dass weiß zu sein in Amerika bedeutet, über gefühlte Zugehörigkeit automatisch bestimmte unausgesprochene Privilegien zu besitzen. Autoritätspersonen sind meist weiß. Die Gruppe der Weißen wird als gängige Norm gesetzt. Als weißer Mensch bist du keiner Stereotypisierung unterworfen. Obwohl … doch, heutzutage schon: Die Erwählten geißeln dich als bedrohliches, anales Whiteness-Monster – aber vielleicht betreiben wir an dieser Stelle lieber keine Erbsenzählerei.
Es geht hier auch gar nicht darum, ob ich oder sonst wer weiße Privilegien für real hält, sondern welche Reaktion darauf wir als angemessen erachten. Die Erwählten haben rituell zu bekennen, dass sie über weiße Privilegien verfügen, mit dem Wissen darum, dass sie von diesen Privilegien niemals erlöst werden können. Kurse, Seminare und Teach-ins sind darauf angelegt, Weiße hinter dieser Herangehensweise ans Thema zu versammeln. Die Erwählten wollen weißen Kindern eintrichtern, dass sie dafür verantwortlich sind, sich so früh wie möglich ihrer Privilegien bewusst zu werden. Schon während ich dieses Buch schreibe, wird diese Religion im ganzen Land an einer Schule nach der anderen gelehrt, sogar Kindern, die noch gar keine richtigen Bücher lesen können. Anders gesagt: Die Erwählten etablieren derzeit ein Äquivalent zur Sonntagsschule – mit dem Unterschied, dass sie unseren Kindern an fünf Tagen pro Woche Predigten halten dürfen, weil sie längst in die Schulen vorgestoßen sind.
Und, oh!, stellen Sie sich die Texte vor, die dieses öffentlich finanzierte Sonntagsschulkonzept den Kindern nahelegen wird. Robin DiAngelos Buch Wir müssen über Rassismus sprechen (im Original: White Fragility) will Weiße dazu bringen, ihr Selbstbild substanziell neu zu bestimmen und sich als an einem zutiefst rassistischen Denk- und Handlungssystem inhärent Beteiligte zu erkennen. In diesem System beweisen Weiße, die sich zum Thema äußern und etwas anderes sagen, als dass Weiße eben über weiße Privilegien verfügen, nur, dass sie rassistisch sind – und dazu noch zu empfindlich, um das zuzugeben. Dieses ›Du bist ein Rassist, und wenn du behauptest, dass das nicht stimmt, beweist das nur, dass du es eben doch bist‹ ist ein Zirkelschluss und folgt damit einer Sandkastenlogik.
Und trotzdem wurde das von den Erwählten mit viel Tamtam zur richtungsweisenden Veröffentlichung hochgejazzte Buch im Jahr 2020 zum Verkaufsschlager und holte zahllose Konvertitinnen und Konvertiten in ihre Reihen. Dafür, dass so viele Leute einen derart eindeutig widersprüchlichen Text mit so viel Aufmerksamkeit bedenken, gibt es nur eine einzige in sich stimmige Erklärung: Aberglaube. Viele, die jetzt mein Buch lesen, haben auch Wir müssen über Rassismus sprechen schon in der Hand gehabt und waren verwundert über dessen Rezeption. Allzu verwundert braucht man nicht zu sein: Wir müssen über Rassismus sprechen ist eine Lehrfibel über die Erbsünde und insofern nicht verwirrender als das Neue Testament.
Nominell betrachtet man die Erbsünde als Zulassungsvoraussetzung für ein Leben in der Gnade Jesu nach dem Tod. Auf dem Boden der weltlichen Tatsachen allerdings haben Menschen aus Gründen, die mit unseren Alltagserfahrungen und damit, wie wir auf andere wirken, wenn wir diese Erfahrungen machen, zu tun haben, oft etwas weniger weit reichende Sorgen und fragen sich, ob sie hier auf der Erde gute Menschen sind oder nicht. Ganz ähnlich wird das Bewusstsein für weiße Privilegien als Vorbedingung für aktivistisches Tun gefasst. In der Praxis allerdings ist dieses Bewusstsein das, worum es eigentlich geht. Allen anderslautenden formalen Behauptungen zum Trotz, bezeugen – ja, bezeugen – die Erwählten ihre Privilegien als eigenständigen totemistischen Akt.
So ignorieren Menschen, die sich angeblich der politischen Transformation verpflichtet sehen, mit leichter Hand das erschütternd abstrakte Verhältnis zwischen dem Bezeugen der eigenen Privilegien und dem Voranbringen von Veränderungen in der realen Welt. Bei einer Versammlung der juristischen Fakultät an der Northwestern University im Jahr 2020 erhoben sich Dozentinnen und Dozenten tatsächlich von ihren Stühlen und bezichtigten sich rituell selbst, nicht nur privilegiert, sondern offen rassistisch zu sein. Das wurde vom gesamten Lehrkörper verlangt, völlig unabhängig von individuellem Charakter oder politischer Überzeugung. Eine Beobachterin schrieb daraufhin über einen Professor: »Er ist ein wunderbarer Mensch, der von allen Studierenden gleichermaßen geschätzt wird. Dass er sich gezwungen sieht, etwas anderes zu behaupten, macht mich traurig.«
Die Angehörigen der juristischen Fakultät einer der angesehensten Universitäten im Land bloß als Spinner abzutun, deren Verhalten keine Rückschlüsse zulässt auf den Grundtenor unserer Zeit, wird nicht funktionieren. Es obliegt dem Skeptiker zu zeigen, dass das nichts anderes ist als die Übertragung des Erbsündekonzepts, mitsamt seiner Unauslöschbarkeit. So, wie man mit dem Mal der Erbsünde geboren wird, bedeutet das Weißsein, mit dem Makel unverdienter Privilegien zur Welt zu kommen. Die korrekte Reaktion auf die Erbsünde ist es, die Lehren Jesu anzunehmen, auch wenn man trotzdem auf ewig sündig bleiben wird. Die korrekte Reaktion auf weiße Privilegien ist es, die Lehren von Ta-Nehisi Coates, Ibram X. Kendi und Robin DiAngelo (bestimmt sind inzwischen weitere Propheten und Priesterinnen hinzugekommen, und viele werden es auch in Zukunft noch werden) anzunehmen und zu wissen, dass man den Schandfleck des Privilegs trotzdem immer auf sich trägt.
Besonders deutlich sehen wir das bei weißen Menschen, die lustvoll ihre Fäuste recken und sich über die Texte von Coates gebeugt mit Gleichgesinnten abklatschen. Ein Coates, der sich überrascht zeigt davon, dass Weiße sich überhaupt genug für Schwarze und Rassismus interessieren, um sich die Mühe zu machen, seine Texte zu lesen, und der außerdem fand, die am 11. September 2001 gestorbenen weißen Feuerwehrleute hätten das bekommen, was sie verdient hatten. Andere posteten 2020 vielfach Fotos von sich in den sozialen Medien, auf denen sie Wir müssen über Rassismus sprechen in der Hand hielten und ihren Leuten so bewiesen, dass sie »an sich arbeiten«. Für Coates und DiAngelo sind auch diese Menschen noch Sünderinnen und Sünder. Und die so Beschuldigten nehmen den Vorwurf bereitwillig hin, verehren jene, die sie anklagen, gehen aus der Selbstkasteiung gestärkt hervor und fühlen sich gereinigt.
Wenn Menschen es freudig begrüßen, dass unverbesserliche, durch die Erbsünde der weißen Privilegien Befleckte sich selbst geißeln, dann kann man nur von einem Kult sprechen.