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Und lassen wir sie gewähren?

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Die Frage ist: Kuschen wir und spielen mit? Oder begreifen wir, dass diese Leute mit ihrer Vorstellung von einem fremden, bis ins Mark bösartigen Weißsein, ihrem simplifizierenden Begriff davon, was es bedeutet, Schwarz zu sein, und ihrer holzschnittartigen Wir-gegen-sie-Idee von gesellschaftlichen Zusammenhängen – als wären wir immer noch rivalisierende Gruppen von Australopithecina – gruselig nah an Hitlers Rassenlehre herankommen?

Viele werden dieses Buch kritisieren, weil es darin doch um nicht allzu viel Virulentes geht. Aber wenn das stimmt: Warum lesen Sie es? Sie lesen es, weil diese Religion Sie langsam verrückt macht, weil Sie wissen wollen, was zum Teufel es damit auf sich hat und was man dagegen tun kann.

Sie erinnern sich an die erste Welle des Antirassismus und denken an Rassentrennung als damalige Barbarei. Sie haben recht.

Sie erinnern sich an die zweite Welle des Antirassismus, die ungefähr dem entspricht, was Gloria Steinem und Betty Friedan für den Feminismus getan haben, und denken, wir sollten uns alle darum bemühen, dass Schwarze Menschen gleichberechtigt sind mit Weißen und alles bekommen, was Weißen zusteht. Sie haben recht.

Und dann sehen Sie die dritte Welle des Antirassismus und bekommen gesagt, Sie hätten die moralische Verpflichtung, früher als progressiv geltende, normale Aussagen wie »Hautfarbe spielt für mich keine Rolle« als rassistisch wahrzunehmen. Dass Sie sich als Weiße selbst verachten sollen, weil alles, was Sie tun, ständig von Ihren weißen Privilegien, dem White Privilege, befleckt ist. Dass Sie auch Rassismusvorwürfe von Schwarzen Menschen, die keinen wirklichen Sinn ergeben, hinnehmen müssen. Und dass Sie, wenn Sie Schwarz sind, so tun müssen, als seien solche Vorwürfe unantastbar, weil die Essenz Ihres Lebens ja Unterdrückung ist.

Und egal, welche Hautfarbe Sie haben: Weil es um das Erkennen von ›Macht‹ geht, sollen Sie Menschen nach Race-Kategorien klassifizieren, also genau das tun, was Sie laut erster und zweiter Welle des Antirassismus eben gerade nicht tun sollten. Dazu gehört auch, dass Sie dabei zusehen müssen, wie Ihren Kindern und Enkelkindern genau das beigebracht wird, völlig ungeachtet der Tatsache, dass beim Thema Rassismus in den letzten fünfzig Jahren derartige Fortschritte erzielt wurden, dass sich ein Verfechter der Rassentrennung alter Schule, den man wieder auferstehen und durch die heutigen USA laufen ließe, sogar in den tiefsten Südstaaten am Straßenrand übergeben müsste. Da kommen Sie jetzt nicht mit. Zu Recht.

Sie fragen sich, was in Gottes Namen dieses neue Ding ist, dem Sie sich da beugen sollen, sei es beim Elternvertretertreffen, auf ihrer früheren Lieblingsnachrichtenseite im Internet, beim Radiohören oder beim Diversity Training, dem Sie sich in Ihrer Firma unterworfen haben und bei dem Ihrer Wahrnehmung nach nichts weiter passiert, als dass leere Mantras wiedergekäut werden. Oder wenn Sie lieber nichts sagen, wenn jemand bei einer fröhlichen Familienfeier beiläufig erzählt, die fünfte Klasse habe gerade eine Autorin aus dem Unterrichtsstoff geschmissen, deren Ansichten Sie eigentlich immer überzeugt haben.

All das brennt und juckt wie eine Wimper, die sich hinter Ihrer Kontaktlinse verklemmt hat. Diese Leute denken, Selbstkasteiung sei politischer Aktivismus – aber das stimmt nicht! Sie denken, Schwarzsein bedeute einzig und allein Unterdrückung durch Weiße – auch das stimmt nicht! Sie glauben, Schwarze Menschen müssten insgesamt mit der drohenden Rückkehr ihrer Entrechtung fertigwerden, weil die Republikaner – obwohl Schwarze Frauen bei der Wahl von Joe Biden und seiner Schwarzen Vizepräsidentin ausschlaggebend waren – die Schwarze Wahlbeteiligung künstlich drücken, um die Zahl der für die Demokraten abgegebenen Stimmen zu senken – auch falsch! Aber wenn Sie es wagen, zu einem echten Gegenschlag auszuholen, werden Sie in den sozialen Medien als Rassistin oder Rassist gebrandmarkt.

Ob Schwarz oder nicht: Sie sind nicht verrückt, wenn Sie bemerken, dass dieses finstere doppelzüngige Gerede nicht zieht. Sie haben die Aufgabe, Ihre Ohren vor diesem gefühlten verbalen Ju-Jutsu jener Leute zu verschließen, deren selbstempfundene Bedeutung darin gründet, die Vernunft zu leugnen und Menschen, die schon genug durchgemacht haben, beizubringen, ihre Identität rund um eine einstudierte Opferrolle zu stricken.

Natürlich behaupten sie, es ginge ihnen um »soziale Gerechtigkeit«, womit sie uns weismachen wollen, wir wären gegen soziale Gerechtigkeit. Tappen Sie nicht in diese Falle. Sie beziehen sich mit diesem Begriff auf ihr sehr spezielles, fragwürdiges Konzept von sozialer Gerechtigkeit. Wenn sie uns also fragen, ob wir etwas gegen soziale Gerechtigkeit hätten, ist das nichts als ein schmutziger Trick.

Wir brauchen dringend ein knackiges Label für dieses problematische Völkchen. Als Social Justice Warriors werde ich sie nicht bezeichnen. Dieses Etikett ist ungeeignet, weil abwertend, genauso wie ›der woke Mob‹. Eine zentrale Erkenntnis, die ich in diesem Buch hoffentlich vermitteln kann, ist, dass die meisten dieser Leute keine fanatischen Eiferer sind. Die meisten von ihnen sind durchaus nette Menschen. Sie sind deine Nachbarin, dein Freund, möglicherweise sogar deine Kinder. Sie sind freundliche Schuldirektoren, Menschen, die still im Verlagswesen arbeiten, oder Kolleginnen in der Anwaltskanzlei. Sie sind Bücherwürmer, gute Köche oder Musikerinnen. Leider werden sie aufgrund ihres schmalen, aber wirkmächtigen Themenspektrums zu Inquisitoren.

Ich habe in Erwägung gezogen, sie einfach so zu nennen: ›Die Inquisitoren‹. Aber auch das ist gemein. Und am Gemeinsein habe ich kein Interesse; ich möchte diese Leute lieber umgehen, damit wir endlich wirklich vorankommen. Und doch wäre dieser Titel durchaus eine stimmige Metapher gewesen, denn ihre Ideologie behindert das Vorankommen ganz konkret.

Den treffendsten Begriff für sie hat der Autor und Essayist Joseph Bottum gefunden, und ich werde ihn hier übernehmen. Ich werde diese Leute Die Erwählten nennen. Sie halten sich selbst für Trägerinnen und Träger einer Weisheit, die ihnen aus einer Vielzahl von Gründen zuteilgeworden ist – aufgrund ihrer Empathiefähigkeit, ihrer Lebenserfahrung, vielleicht sogar ihrer Intelligenz. Und sie halten sich gewissermaßen für auserwählt, denn sie haben etwas begriffen, was die meisten nicht begreifen. Dieser Name lässt gleichzeitig eine gewisse Selbstgefälligkeit mitanklingen, was gut ist, denn diese gehört traurigerweise ins Bild. Außerdem bringt er die betreffenden Leute vielleicht zum Nachdenken darüber, ob sie sich wirklich auf diese Weise überlegen fühlen. Die meisten von ihnen werden das natürlich abstreiten. Aber sollte sich die Bezeichnung etablieren, mit all ihrer Ironie, werden sich eventuell einige von ihnen veranlasst sehen, sich gegen sie zu wehren, was über die Zeit gesehen zumindest einige dazu bringen könnte, die Exzesse ihrer Philosophie etwas einzuhegen – genau wie Ende der 1980er Jahre, als viele sich nicht mehr damit identifizieren konnten, allzu ›politisch korrekt‹ zu sein.

Am wichtigsten aber: Wenn man diese Leute als Erwählte bezeichnet, ergibt sich ein schönes, überaus passendes Retro-Flair à la The Da Vinci Code – Sakrileg. Denn die wilde Entschlossenheit, mit der heutige Erwählte ihre Ansichten für sakrosankt halten, stimmt überein mit der Überzeugung, mit der die Menschen vor Jahrhunderten ihre Weltsicht verfochten. Der mittelalterliche Katholik, der die Verfolgung von Juden und Muslimen leidenschaftlich verteidigte, tat das aus Gründen, die, wie wir heute wissen, in nicht ganz so hehren Facetten des Menschseins wurzelten. Spontan finden wir diese altertümlichen Inquisitoren heute sehr, sehr befremdlich. Aber wir sind hier und jetzt konfrontiert mit Leuten, die exakt denselben missionarischen Eifer an den Tag legen, nur dass er sich gegen andere Personen richtet.

Im Jahr 1500 richtete er sich gegen Nicht-Christen. 2020 richtet er sich gegen alle, die nicht genügend antirassistisch sind. Die heutigen Kämpferinnen und Kämpfer unterstellen, dieses Anliegen sei intellektuell und moralisch avancierter als die Antipathie gegen Ketzer, Juden oder Muslime. Sie sehen nicht, dass auch sie Menschen verfolgen, die nicht ihres Glaubens sind.

Kleine Grammatikstunde zu meiner Benutzung des Begriffs:

Wir werden von den Erwählten verunsichert und verletzt.

Derjenige, der uns bedroht, ist ein Erwählter.

Wir müssen lernen, zu erkennen, ob jemand Erwählt ist. Ist sie Erwählt?

Hat sie etwas Erwähltes gesagt? Achten Sie darauf. Gibt sie noch mehr Erwähltes von sich, gehen Sie raus aus dem Gespräch.

Er ist mir mit diesem ganzen Erwählten Zeug gekommen.

Die waren voll auf ihrem Erwählten-Film.

Natürlich äußert sich Erwähltsein in vielen Facetten. Da sind zum einen die besonders missbräuchlich agierenden Erwählten Ideologinnen und Ideologen. Manche fühlen sich wohl dabei, Menschen persönlich zu verletzen, andere beschränken ihre Boshaftigkeit meist auf die sozialen Medien. Wieder andere legen es nicht darauf an, aktiv gemein zu sein, fühlen sich aber trotzdem wohl mit den Erwählten Geboten, stellen ihre gesellschaftspolitischen Ansichten fest auf diese Grundlage und pflegen nur sehr ungern gesellschaftlichen Umgang mit Menschen, die anderer Meinung sind. Die offen beleidigend auftretenden Erwählten lassen sie ungehindert gewähren und verstehen deren Verhalten als eine vielleicht notwendige Unannehmlichkeit auf dem Weg hin zu allgemeiner Aufklärung.

Ich möchte hier nicht behaupten, dass alle Erwählten von der ganz besonders missbräuchlich agierenden Sorte sind; die überwältigende Mehrheit ist das nicht. Diese Geisteshaltung ist kein Fanatismus, sondern mit allen Varianten des menschlichen Temperaments kompatibel. Als Fundamentalistinnen und Fundamentalisten hoffen die Erwählten, dass ihre Frohe Botschaft eines Tages die gesamte Welt erreicht, aber es gibt unter ihnen sämtliche Persönlichkeitstypen, wie bei den Christinnen und Christen, Musliminnen und Muslimen und den Bahais auch. Wir sollten uns den prototypischen Erwählten also nicht wie einen Demo-Schreihals vorstellen. Ebenso wahrscheinlich ist er ein umgänglicher Geselle mit ein, zwei Kindern und einem stillen Lächeln im Gesicht, bei dem man sich nicht im Entferntesten vorstellen kann, dass er sich einer extremistischen, unwissenschaftlichen und tribalistischen Bewegung anschließt. Trotzdem würde ebendieser Mensch, ohne zu zögern, eine Petition unterschreiben, die die Entlassung oder öffentliche Bloßstellung von jemandem fordert, der gegen die Doktrin der Erwählten verstoßen hat.

Wenn wir uns also mit den Erwählten beschäftigen, sollten wir nicht nur Ausschau halten nach Hitzköpfen. Das Herausfordernde an den Erwählten ist ja gerade, dass sie nicht aufdringlicher, arroganter oder im sozialen Umgang ungeübter sind als alle anderen, sondern dass sie einfach nur irgendwelche Leute sind. Das Problem ist der massive und nachhaltige Einfluss, den die feindseliger Eingestellten mittlerweile auf so viele weniger streitlustige, aber genauso ergebene Anhängerinnen und Anhänger gewonnen haben. Die steigende Zahl dieser Menschen und ihre einschüchternden Phrasen bringen diejenigen zum Schweigen, die die Erwählte Philosophie zwar für falsch halten, aber auch keine Lust haben, zerfleischt zu werden. In all ihrer Diversität saugen die Erwählten die Luft aus dem Raum. Das muss aufhören.

Es wird zu hören sein, dies sei ein Buch »gegen Antirassismus« und von daher rassistisch. (Ich kann es schon bildhaft vor mir sehen, wie sie sich abklatschen, die Erwählten.) Aber die meisten von uns sind doch in der Lage, zwischen Antirassismus einerseits und feindselig eingestelltem Antirassismus andererseits zu unterscheiden. Letzterer stellt Menschen für Dinge an den Pranger, die noch vor zehn Jahren für Bagatelldelikte oder nicht erwähnenswert gehalten worden wären. Seine Anhängerinnen und Anhänger schaden Schwarzen Menschen, politisch und konkret: Indem sie Schwarze explizit unterstützen, wollen sie eigentlich nur anderen zeigen, dass sie ein Bewusstsein für die Existenz von Rassismus haben. Feindselig gesinnte Antirassistinnen und Antirassisten tun so, als würden die USA beim Thema Rassismus nie echte Fortschritte machen. Das wollen sie insgeheim auch gar nicht, denn dann würde ihnen ja der Lebenszweck genommen. Wir müssen diese Menschen sehen als das, was sie sind: Mitglieder einer Sekte, die ›Die Erwählten‹ heißt.

Auf den Punkt gebracht:

Was sind das für Leute, die so etwas tun? Religiöse Fundamentalistinnen und Fundamentalisten.

Wieso kommen sie damit durch? Weil sie uns Angst machen, indem sie uns in aller Öffentlichkeit als Ketzerinnen und Ketzer schmähen.

Und lassen wir sie gewähren? Nicht, wenn wir unsere intellektuelle, moralische und künstlerische Kultur davor bewahren wollen, von etwas erstickt zu werden, das kein gesellschaftspolitisches Programm, sondern eine Religion ist. Denn die Erwählten agieren auf der Basis einer neuen Religion, die direkt vor unseren Augen, in unserer heutigen Zeit entsteht. Mit diesem Punkt werde ich mich im nächsten Kapitel eingehender befassen.

Hören Sie nicht auf diejenigen, die Ihnen sagen, diese Religion sei doch gar nicht wichtig. Machen Sie sich nichts vor: Diese Leute haben es auf Ihre Kinder abgesehen.

Die Erwählten

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