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1 Was sind das für Leute?

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Während ich im Sommer 2020 an diesem Buch schreibe, ist Alison Roman, eine Food-Autorin der New York Times, gerade im Zwangsurlaub. Man mag sich fragen, was eine mit Lebensmitteln und Gastronomie befasste Journalistin wohl angestellt haben könnte, um von ihrem Arbeitgeber zeitweilig suspendiert zu werden. Romans Sünde: In einem Interview warf sie in einer Randnotiz Model und Food-Autorin Chrissy Teigen sowie Lifestyle-Coach Marie Kondo vor, aus rein kommerziellen Beweggründen zu handeln. Auf Twitter wurde Roman dann dafür gemobbt, dass sie es gewagt hatte, als weiße Frau zwei Frauen of Color zu kritisieren.

Teigen ist halb weiß und halb Thai. Kondo ist japanische Staatsbürgerin. Keine der beiden passt zu unserer typischen Vorstellung von einer Person of Color, im Sinne von: Opfer einer historisch bedingten und strukturell perpetuierten Benachteiligung. Wie auch immer: Im Jahr 2020 war die bloße Tatsache, dass eine weiße Person nicht nur an einer, sondern gleich an zwei nichtweißen Personen Kritik übte, Rechtfertigung genug dafür, dass sie in den sozialen Medien an den Pranger gestellt wurde und ihre Arbeit nicht mehr tun durfte. Roman hatte als Weiße angeblich nach unten getreten – wobei man unter ›unten‹ zwei sehr reiche, erfolgreiche und deutlich prominentere Frauen als sie selbst verstehen muss. Romans Weißsein stach alles andere aus, so sagte man uns.

Wie heutzutage üblich in einem solchen Fall, kroch Roman zu Kreuze und veröffentlichte eine Entschuldigung, in der stand, sie habe nachgedacht und ihren Fehler erkannt. Teigen sagte, sie finde nicht, dass Roman eine Bestrafung verdient habe. Aber das zählte nicht. Eine bestimmte Form von Empörung, die als ›antirassistisch‹ gilt, hat für unsere öffentlich getätigten moralischen Bewertungen heutzutage die Deutungshoheit, und diese Empörung verlangte, Roman auf dem Marktplatz an den Schandpfahl zu stellen. Bis in alle Ewigkeit wird jetzt in ihrem Wikipedia-Eintrag die plakative Anmerkung stehen, sie sei einst zur Rassistin erklärt worden, unabhängig davon, dass die meisten US-Amerikanerinnen und -Amerikaner wahrscheinlich nicht finden, dass sie eine solche Behandlung verdient hat, und völlig unbenommen der Tatsache, dass sie noch vor ein paar Jahren nicht so behandelt worden wäre. Sie verließ die Times später ganz.

Was sind das für Leute, die so etwas tun? Wieso kommen sie damit durch? Und lassen wir sie gewähren?

Im selben Jahr durfte Leslie Neal-Boylan ihren Job als Dekanin für Pflegeberufe an der Universität von Massachusetts Lowell nur ein paar Monate behalten. Das Problem: Neal-Boylan hatte sich im Zuge der landesweiten Statements nach dem von Polizisten verübten Mord an George Floyd erdreistet, das folgende – angeblich borniert-bigotte – Schriftstück an Kolleginnen und Kollegen zu verschicken:

Ich möchte meiner Sorge über die jüngsten (und alle in der Vergangenheit liegenden) Gewaltakte gegen Personen of Color Ausdruck verleihen. Ich verurteile sie. Die jüngsten Geschehnisse erinnern an die historische Tragik von Rassismus und Vorurteilen, die bis heute in diesem Land gedeihen. Ich fürchte um unsere Zukunft als Nation, wenn wir nicht aufstehen gegen Gewalt, egal, gegen wen sie sich richtet. BLACK LIVES MATTER. Aber auch: EVERYONE’S LIFE MATTERS. Niemand sollte in Angst davor leben müssen, wegen seines Aussehens oder seines Glaubens angegriffen zu werden.

Eine bestimmte Gruppe beschloss, Neal-Boylan so zu lesen, als stieße sie ins selbe Horn wie diejenigen, die sich dem Slogan »Black Lives Matter!« mit der Entgegnung »All Lives Matter!« widersetzen, so als würde BLM irgendwie behaupten, Schwarzes Leben sei mehr wert. Aber Neal-Boylans Statement lässt sich so nur lesen, wenn man schlecht liest. Zunächst beklagt sie »die historische Tragik von Rassismus und Vorurteilen«, und nein, damit meint sie nicht, dass es nur in der Vergangenheit Rassismus und Vorurteile gegeben hat und Schwarze Menschen darüber hinweg sein sollten, denn gleichzeitig schreibt sie: Rassismus und Vorurteile gedeihen in diesem Land »bis heute«.

Weil aber ihr Text die drei Worte »Everyone’s Life Matters« enthält, wurde sie bei den Vorgesetzten gemeldet. Ihren Job war sie dann schnell los. Irgendetwas zu ihrer Verteidigung vorzubringen wurde ihr nicht gestattet. Warum wurde Leslie Neal-Boylans E-Mail als Machwerk einer zur Anleitung von Menschen, die sich zum Heilen und Trösten ausbilden lassen, ungeeigneten Person betrachtet? Ein Kind würde diese Frage stellen – genauso wie Zeitreisende aus dem noch nicht lange zurückliegenden Jahr 2015. Aber Neal-Boylans Kritikerinnen und Kritiker wurden für befugt und ihre Meinung wurde für maßgeblich erachtet.

Was sind das für Leute, die so etwas tun? Wieso kommen sie damit durch? Und lassen wir sie gewähren?

Ebenfalls in diesem Jahr, also 2020, verlor David Shor seinen Job. Der Datenanalyst bei einem progressiven Beratungsunternehmen hatte per Twitter auf eine Studie von Omar Wasow hingewiesen, in der der Schwarze Ivy-League-Politikprofessor nachweist, dass die Leute während der langen, heißen Sommer der späten 1960er Jahre mit größerer Wahrscheinlichkeit die Republikaner wählten, wenn es gewalttätige und nicht nur friedliche Schwarze Proteste vor Ort gab. Shor wollte diesen Zusammenhang nicht feiern, sondern nur die Tatsache als solche verbreiten, als die traurige Nachricht, die sie war und als die sie kurz zuvor auch schon eifrig von den liberalen Medien aufgenommen worden war.

Gewissen Kreisen allerdings kam es nicht zupass, dass ein weißer Mann etwas auf Twitter teilte, das sich kurz nach dem Mord an George Floyd als Kritik an Schwarzen Protestbewegungen interpretieren ließ. Das Beratungsunternehmen nahm dies zur Kenntnis und warf Shor raus.

Was sind das für Leute, die so etwas tun? Wieso kommen sie damit durch? Und lassen wir sie gewähren?

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