Читать книгу Die Erwählten - John Mcwhorter - Страница 8

Wieso kommen sie damit durch?

Оглавление

Mit etwas Abstand betrachtet wirken die Thesen und Forderungen der dritten Welle des Antirassismus wie eine exzentrische Performance von Leuten, die sich wünschen, die späten 1960er Jahre nicht verpasst zu haben, und die jetzt sauer sind, dass so viel Basisarbeit schon erledigt ist. Sie sehnen sich nach dem gerechten Zorn und dem herzerwärmenden Gefühl von Sinn und Zugehörigkeit von damals. Da aber die realen Umstände heute keine Rechtfertigung mehr bieten für die Ansichten und Strategien von 1967, werden Übertreibungen und sogar Lügen unausweichlich.

In einem alternativen Universum wären diese Leute in etwa so unbedeutend wie die Yippies mit dem Hanfblatt auf ihrer Flagge, den Tortenwürfen in die Gesichter anderer Menschen und dem Versuch, das Pentagon durch psychische Kraft schweben zu lassen. Als Bewegung waren die Yippies eine Randerscheinung, hier und da einen kurzen Seitenblick wert, und gelegentlich sorgten sie für eine Spur erhöhtes Bewusstsein. Aber im Großen und Ganzen waren sie irrelevant, und das aus gutem Grund. Der Unterschied zu heute ist, dass der Third-Wave-Antirassismus eine bestimmte Waffe im Arsenal hat, die ihm übergroße Macht verleiht, eine Waffe, die deutlich wirksamer ist als eine Sahnetorte.

Ironischerweise ist diese Waffe gerade deswegen so todbringend, weil sich in den vergangenen Jahrzehnten ein echter und unschätzbar wertvoller Wandel in unserer soziopolitischen Textur vollzogen hat. Dieser Wandel hat es mit sich gebracht, dass es für moderne Amerikanerinnen und Amerikaner fast gleichbedeutend ist, ob sie des Rassismus oder der Pädophilie bezichtigt werden. Viele überaus wichtige Menschen haben dafür gekämpft, und kaum jemand wünscht sich wohl, sie hätten das nicht getan. Das Problem ist nur, dass die Antirassistinnen und Antirassisten der dritten Welle jetzt Trittbrettfahrer dieses Erfolgs sind. Das wichtigste Tool in ihrem Werkzeugkasten ist es nämlich, alle, die nicht ihrer Meinung sind, als Rassistinnen und Rassisten zu schmähen – oder sie mit dem noch potenteren Kunstwort unserer Zeit – der White Supremacy, dem weißen Suprematismus – zu belegen. Wer diesen Vorwurf zurückweist, erhärtet ihn, so sagt man uns. Und ist er erst erhoben, bleibt er an einem haften, als habe man sich in den Tentakeln eines riesigen Kraken verfangen. Eine Sahnetorte kann man immerhin abwaschen.

Wir brauchen nicht zu unterstellen, dass die Antirassistinnen und Antirassisten der dritten Welle aus zynischen Beweggründen und um des Machtgewinns willen handeln. Man werfe nur einen Blick auf das Familienmitglied, den Nachbarn oder die Mitarbeiterin, die so denken, man höre ihnen zu und frage sich, ob es bei ihnen Anzeichen für Machthunger gibt. Third-Wave-Antirassisten sind Verächter von Rassismus, aber das sind ja die meisten von uns. Im Namen des Rassismus wollen sie aber noch eine ganze Menge mehr, und zwar hoffnungslos schwer Umzusetzendes, durch und durch Idealistisches oder schlichtweg auch Gemeines. Dass ihre Position allerdings einen derart wackeligen Stand hat, gereicht ihnen unter derzeitigen Bedingungen nicht zum Nachteil. Was daran liegt, dass sie jederzeit losschreien können: »Du bist ein Rassist!« Und dass sie das auch tun.

Für die allermeisten ist es heute derart unerträglich, als Rassist bezeichnet zu werden, dass sie lieber ein klein wenig kognitive Dissonanz aushalten und einknicken. Das hätte, sagen wir, 1967 nicht so gut funktioniert. In den USA von damals hätten viele Weiße, die von solchen Leuten als Rassisten bezeichnet worden wären, wahrscheinlich nur einen Schluck von ihrem Cocktail genommen und gesagt: »Das sehe ich aber gänzlich anders.« Oder: »Fuck you!« Heute aber liegen die Dinge anders, und das hat ironischerweise mit dem Fortschritt zu tun. Inzwischen ergreift die meisten bei der Aussicht, als intolerante, vorurteilsbehaftete Menschen geoutet zu werden, ein hoffnungsloser Schauder, weswegen Third-Wave-Antirassisten immer am längeren Drücker sind, und zwar nur wegen dieser einen Waffe, über die sie verfügen. Obwohl ihre Philosophie insgesamt wohl kaum die von ihnen behauptete biblische Vollkommenheit hat, macht diese eine Sache, die sie zu ihrer Verteidigung tun können und tun werden, aus uns zitternde Wracks. Und deswegen gewinnen sie.

Diejenigen, die diese Ideologie wie eine Waffe führen und dabei zusehen können, wie ihr Einfluss ständig größer wird, denken ernsthaft, etwas im Sinne des Fortschritts zu tun, sie glauben, Vernunft und Moral stünden in schönster Blüte. Eine Gesellschaft verändert sich aber nicht deswegen, weil es einen aufkeimenden Konsens über ethische Details gibt. Das, was gerade passiert, ist deutlich primitiver. Unsere Gesellschaft verändert sich nicht aufgrund eines neuen Konsenses, sondern aufgrund von Angst. Es ist die Angst eines Kindes, das sich unter der drohenden Ohrfeige wütender Eltern wegduckt, und die Angst des Leibeigenen, der den Kopf einzieht vor dem drohenden Hieb mit der Knute, der ihn entstellen wird. Die Solidaritätsadressen von so gut wie jeder Institution, die Social-Media-Selfies von Leuten, die gerade Wir müssen über Rassismus sprechen lesen und »an sich arbeiten«, alle, die so tun, als setzten sie sich mit der Idee auseinander, dass die exakten Wissenschaften sich »diverseren Zugängen öffnen« und die Pflicht zu Genauigkeit und Empirie fallenlassen sollten: All das ist nicht das Ergebnis von Aufklärung, sondern von schierem Terror. Wir sind zu einer Nation kluger Menschen geworden, die zu Protokoll geben, »es kapiert zu haben«, während sie sich gleichzeitig in die Hose machen.

Unschön, aber wahr. Der Third-Wave-Antirassismus macht sich die Angst moderner Menschen zunutze, für Rassistinnen und Rassisten gehalten zu werden, und propagiert damit nicht nur Antirassismus, sondern betreibt eine zwanghafte, egozentrische, totalitäre und absolut überflüssige kulturelle Umprogrammierung. Man könnte meinen, dieses seltsam grimmige Kabuki-Theater sei die Fortsetzung der Bürgerrechtsbemühungen von einst, der einzig vorstellbare neue Antirassismus. Denn seine Anhängerinnen und Anhänger, die heute in den angesehensten und einflussreichsten Institutionen des Landes sitzen, predigen ihn mit einer derart verachtungsvollen Empörung, dass sie an ihren guten Tagen schrecklich korrekt wirken können.

Die Erwählten

Подняться наверх