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Was dieses Buch nicht ist
ОглавлениеDie Frage, welche Form von Kritik gegen dieses Buch ins Feld geführt werden wird, brauchen wir uns gar nicht erst zu stellen. Die Gegenargumente werden sein: Ich charakterisiere ›Religion‹ falsch und/oder sei respektlos gegenüber dem Religiösen. Ich vereinfache zu sehr. Das wahre Problem sei doch die militante Rechte. Um dieses Buch schreiben zu dürfen, sei ich gar nicht Schwarz genug. Ich sei nicht nett. Etc. pp. All diese Kritikpunkte werde ich im Folgenden ausräumen, um im Anschluss einige tragfähige Lösungen anzubieten. Aber zunächst kommt, was dieses Buch nicht ist:
1 Es wendet sich nicht gegen Protest als solchen. Ich habe nichts gegen die Kerngedanken von Black Lives Matter, obwohl ich mit einigen Folgeerscheinungen der Bewegung so meine Differenzen habe. Ich behaupte nicht, dass die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre besser daran getan hätte, sich ausschließlich ans besonnene Verhandeln zu halten. Ich schreibe nicht an gegen die Linke. Ich argumentiere gegen eine bestimmte Strömung innerhalb der Linken, die in US-amerikanischen Institutionen einen schwerwiegenden Einfluss gewonnen hat, bis zu dem Punkt, dass wir zunehmend eine Sprache, eine Politik und ein Handeln für normal halten, das Orwell noch als Fiktion beschrieb.
2 Als die Leserschaft meines Buches stelle ich mir keine rechten US-Amerikanerinnen und -Amerikaner vor. Menschen aus dieser Welt dürfen zwar gern mal reinhorchen, aber ich schreibe dieses Buch für zwei andere Teilgruppen der amerikanischen Bevölkerung. Beide halte ich im Grunde für ›meine Leute‹, weswegen mich das, was gerade passiert, auch so mit Sorge erfüllt.Die eine Gruppe sind Menschen, die die New York Times lesen und öffentlich-rechtlichen Rundfunk hören, aber trotzdem recht naiv dem Eindruck verfallen sind, frömmelnde, nicht-empirische Tugendhaftigkeitssignale zum Thema Race seien eine Form von moralischer Aufklärung und politischem Aktivismus, weswegen sie Gefahr laufen, unfreiwillig selbst zu eingetragenen Rassistinnen und Rassisten zu werden. Im Buch werde ich diese Menschen häufig als ›Weiße‹ bezeichnen, aber sie können jede Hautfarbe haben, die meinige eingeschlossen. Ich bin Teil dieser Welt. Ich lese den New Yorker, ich habe zwei Kinder, und ich habe den Film Sideways gesehen. Mir haben sowohl The Wire als auch Parks and Recreation sehr gut gefallen.Die andere Gruppe sind Schwarze Menschen, die gutgläubig dem falschen Eindruck anheimgefallen sind, dass Schreie der Schwäche bei uns eine Art Stärke darstellen und dass das, was uns interessant und relevant macht, eine ausgedachte Figur ist: nämlich die für immer zum Opfer gemachte arme Seele, die bis in alle Ewigkeit die Erinnerungen und die unseren Leuten in den letzten vierhundert Jahren angetanen Verletzungen in sich trägt und von ihnen definiert wird – ewig ohne Anerkennung, ewig falsch verstanden, ewig in vielerlei Hinsicht unbezahlt.
3 Dies ist kein Buch, das sich hauptsächlich beklagt. Ich ziele nicht darauf ab, nebulöse Behauptungen aufzustellen, von wegen: Die hyper-woken Leute von heute verstehen einfach nicht, wie zentral die Meinungsvielfalt für eine gesunde Gesellschaft ist! Ihnen mit Zitaten von John Stuart Mill zu kommen, führt zu nichts. Unsere aktuellen Debatten sind eine enorme Energieverschwendung, weil niemand erkennt, wie vergeblich der sogenannte Dialog mit ihnen ist. Was glauben Sie: Wie viele von einhundert fundamentalistischen Christinnen und Christen lassen sich durch Argumente zum Atheismus bekehren? Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Zahl derer, denen man diese neue Religion einfach ausreden könnte, höher sein sollte.Von daher sollte unsere Sorge eher sein, wie wir trotz dieser Ideologie wahren Fortschritt vorantreiben können. Wie können wir sie umgehen, wie um sie herumarbeiten? Wie schützen wir Menschen mit guten Ideen vor der Wirkmacht rein liturgischer Belange? Wie halten wir sie davon ab, auf die Bildung unserer jungen Leute noch stärkeren Einfluss zu nehmen als sowieso schon geschehen? Wie lässt sich ein sozial großzügiges Leben inmitten der Notwendigkeit führen, sich mit ihrer religiösen Doktrin auseinanderzusetzen, die uns mit dem unnachgiebigen puritanischen Ernst eines Cotton Mather vermittelt wird, obwohl so gut wie niemand von ihnen tatsächlich begreift, dass hier mit religiösen und nicht mit säkularen Argumenten gearbeitet wird?Kurz: Die Frage, wie wir diese Leute erreichen können, interessiert mich nicht. Wir können sie nicht erreichen, zumindest nicht so viele von ihnen, dass es ins Gewicht fiele. Die Frage ist vielmehr, wie wir es schaffen, unter ihnen zu leben und uns trotzdem eine gewisse Zivilisiertheit zu bewahren. Denn wir wollen echten Wandel in der realen Welt. Das aber müssen wir fürs Erste tun, obwohl wir ständig auf Verkünderinnen und Verkünder einer Heilsbotschaft treffen, die nur darauf aus sind, Ketzer zu enttarnen, und die jederzeit bereitstehen, uns als Sittenstrolche an den Pranger zu stellen.
Ich schreibe dieses Buch vor dem Hintergrund, dass die fragliche Ideologie Weiße in die Lage versetzt, sich als Retterinnen und Retter Schwarzer Menschen zu bezeichnen und Schwarze gleichzeitig als die dümmsten, schwächsten, sich selbst am meisten bemitleidenden Menschen in der Geschichte unserer Art aussehen zu lassen. Schwarze Menschen wiederum lehrt sie, sich in diesem Status zu suhlen und ihn zu genießen, schließlich macht er uns zu etwas Besonderem. Die Vorstellung, dass diese Indoktrination auf das Selbstbild meiner Töchter abfärbt, finde ich ganz besonders grauenvoll. Ich kann ja nicht ständig in ihrer Nähe sein. Aber diese anti-humanistische Ideologie könnte bald in die Lehrpläne der Schulen einsickern. Dieser Gedanke lässt mich schaudern: Lehrerinnen und Lehrer, die leuchtende Augen bekommen bei der Aussicht darauf, ihren Antirassismus zur Schau stellen zu können, indem sie die Köpfe meiner Töchter mit Performance-Kunst füllen, die ihnen beibringt, keine Individuen, sondern Musterbeispiele zu sein. Mit seinem Buch Zwischen mir und der Welt wollte Ta-Nehisi Coates seinen Sohn lehren, dass ganz Amerika gegen ihn ist; ich möchte meinen Kindern lieber ihre Lebensrealität im 21. und nicht die im frühen bis mittleren 20. Jahrhundert vermitteln. Gott bewahre, dass meine Töchter dieses absolut traurige Selbstbild verinnerlichen, dass alles, was sie interessant macht, nur das ist, was andere über sie denken oder nicht denken.
Viele werden es trotzdem für Verrat halten, dass ich als Schwarze Person dieses Buch schreibe. Sie werden nicht verstehen, dass ich, indem ich es schreibe, glaube, meiner Race einen Dienst zu erweisen. Die besondere Tragik dieser pervertierten Gesellschaftspolitik (und wie sie uns denken oder eben nicht denken lässt) ist die Tatsache, dass sie bei mehr als nur ein paar Schwarzen Leserinnen und Lesern die Erkenntnis verhindern wird, dass dieses Buch ein Aufruf dazu ist, sich mit echtem Respekt behandeln zu lassen. Wie auch immer. Sie und alle anderen sollten wissen: Mir ist durchaus bewusst, dass weiße Leserinnen und Leser eher bereit sind, sich Ansichten wie die meinigen anzuhören, wenn sie von einer Schwarzen Person aufgeschrieben werden. Deswegen erachte ich es für nichts weniger als meine Pflicht, dieses Buch zu schreiben.
Wäre dieses Buch von einer weißen Autorin oder einem weißen Autor geschrieben, würde es ungeniert als rassistisch verurteilt. Ich hingegen werde von einer gewissen Gruppe zu hören bekommen, ich sei von Selbsthass zerfressen. Aber ganz ehrlich: Das wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Und alle, die dieses Buch bis zum Ende lesen, werden feststellen, dass Selbsthass oder Scham über mein Schwarzsein nicht zu meinen Eigenschaften gehören. So, und jetzt weiter.