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Der Paul Ryan Budgetplan
ОглавлениеAm Montag, dem 4. April stellt Paul Ryan seinen Budgetplan mit dem Titel „Der Weg zum Wohlstand“ vor, der in kleinen Stücken schon Tage zuvor an die Medien durchgesickert war. Kritiker bemängeln den Zeitpunkt der Veröffentlichung, da er ungünstiger Weise sehr kurz vor dem Ende des Nothaushaltes veröffentlicht wird und somit neue und auch radikale Forderungen in die Verhandlungen einbringt. Für Paul Ryan kommt der Veröffentlichungstermin einem Coup gleich, da er die größtmögliche Aufmerksamkeit der Medien, des Kongresses und des Weißen Hauses garantiert. Er stärkt damit wissentlich die Argumente der Republikaner, die er mit seinem drastischen Budgetplan teilweise übertrifft. Ryan, ein bekennender Anhänger eines strikten ausgeglichenen Haushaltes, lässt den Demokraten nur wenige Tage bis Stunden für Gegenvorschläge als Reaktionszeit übrig. Eine ausgiebige Überprüfung seiner Zahlen und Prognosen würde jedoch in der Haushaltsdebatte sachdienliche Gegenvorschläge seitens der Demokraten einbringen.
Ryan stellt sogleich drei Videos ins Internet, die seinen Budgetplan der Öffentlichkeit vorstellen sollen. Die gesamte Haushaltsvorlage von Ryan kann als Blaupause für die Republikanische Partei und deren Kürzungsinitiativen angesehen werden. Es ist ein enormer Angriff auf die Sozialleistungen des Staates und auf die Armen der USA und dürfte bei kompletter Umsetzung des Budgetvorschlages die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA weiter ausbauen.
Ryans markanteste Vorschläge sind die Reformen der Gesundheitsprogramme. Medicaid, ein Gesundheitsprogramm für Geringverdiener und Arme soll mit Blockzuschüssen an die einzelnen Bundesstaaten finanziert werden. Bisher sind die Leistungen an eine Bedürftigkeitsprüfung gemessen worden und die US-Regierung hat gemeinsam mit den Bundesstaaten die Finanzierungshoheit über das Programm. Nach Ansicht von Ryan sollen die Bundesstaaten selbst entscheiden können, wie sie die Gelder aus dem Bundesprogramm verteilen wollen. Somit können republikanisch geführte Bundesstaaten die Auszahlungen reduzieren oder umleiten und die Zahlungen an Ärzte minimieren. Damit würde sich ein Bundesstaat auf Kosten der Gesundheit und der Pflege der Ärmsten sanieren, da die Kosten mehrheitlich privatisiert werden würden. So könnten 700 Milliarden US-Dollar in den Bundesstaaten laut Ryan in den nächsten 10 Jahren eingespart werden.
Medicare, eine Krankenversicherung für Rentner und Pensionäre, soll größtenteils privatisiert werden. Aus einer gemeinsamen Liste von privaten Krankenversicherungen sollen die Senioren ihre Bedürfnisse auswählen können und würden vom Staat Gutscheine zur Teilabdeckung ihrer Behandlungskosten erhalten. Damit, so glaubt Ryan, soll der Wettbewerb der Krankenkassen um die Gunst der Patienten günstigere Behandlungsangebote entwickeln, als dass der Staat festgelegte Leistungen vorgeben kann. Ein Fallstrick findet sich in Ryans Budgetplan in den Obergrenzen der Sozialausgaben. Sind diese erreicht, würden keine Subventionen an Senioren oder Bedürftige mehr ausgezahlt werden. Auch die Social Security, die staatliche Rentenversicherung, soll laut Ryan reformiert werden. Das Eintrittsalter soll von 65 auf 67 Jahre angehoben werden. Für die meisten US-Amerikaner ist die Social Security die einzige Grundabsicherung im Alter, da oftmals keine zusätzlichen Altersbezüge bezogen werden.
Ryan will die Kosten der Rentenversicherung für die Zukunft drosseln. In den kommenden Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und die Ausgaben der schon heute unterfinanzierten Rentenfonds hochtreiben. Pro Tag gehen in den USA rund 10.000 Lohnempfänger der Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand. Schon heute muss die Rentenversicherung eine Deckungslücke zwischen den Beitragseinnahmen und Pensionszahlungen durch eigene Zuschüsse ausgleichen. Eine Reform, wie Ryan sie anstrebt, würde die Deckungslücke, die für 2045 bei rund 1 Billion US-Dollar liegen soll, stark mindern aber nicht amortisieren.
Die einschneidenden Ausgabenkürzungen des Ryan Budgetplans belasten die Bürger sehr ungleichmäßig und zeigen einen anhaltenden Trend von überwiegend weißen, christlich konservativen Wählerklientelen auf, die den US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat und seine schon in der Vergangenheit stark reduzierte Leistungspalette weiter radikal zusammenstreichen würden. Zwei Drittel der Kürzungen werden den ärmsten US-Amerikanern aufgebürdet, zu denen zumeist aus den rechten Kreisen der USA eine missbilligende, dem Wohlfahrtsstaat ausnutzende, ja auch kriminalisierende Wertschätzung entgegengebracht wird. Die Bedürftigkeit stellt sich in Ryans Berechnungen als ein Makel dar, der die sozialen Grundsätze beschädigt. Das „soziale Sicherheitsnetz“ ist laut Ryan beschädigt, „unser soziales Netz ist an den Nähten ausgefranst“. Ryans Meinung war bis vor Kurzem in der Politik eine Randerscheinung, nun ist sie anscheinend in der Mitte der Politik angekommen. Der Wandel der Republikanischen Partei nach der Wahl Obamas 2008 hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Progressiven haben die Gemäßigten in der Grand Old Party verdrängt. Eine baldige Umkehrung dieser Zusammensetzung ist nicht abzusehen.
Paul Ryan stellt sich mit seinem Budgetplan als Anti-Obama dar, der die Wahlversprechen des Präsidenten und seine teuren politischen Vorhaben konterkarieren will. Damit kommt Ryan bei den Republikanern gut an. Sie sprechen von einem notwendigen und zugleich „mutigen“ Schritt, schmerzhafte Einsparungen dem Volk zu verordnen. Dabei empören sich liberale und moderate Kommentatoren über den vermeintlichen Mut des Republikaners Paul Ryan, der die Schwächsten und Ärmsten der USA so „mutig“ drangsaliert und die Wohlhabenden verschont. Böse Zungen behaupten, dass sich die Republikaner bei den reichen Wahlkampfspendern revanchieren wollen, die den Einzug der Republikaner ins Repräsentantenhaus 2010 mitfinanziert haben.
Ryan stellt in seinem Budgetplan auch eine Steuerreform vor, die anstatt einer Erhöhung der staatlichen Einnahmen, die Körperschaftsteuern von 35 auf 25 Prozent senkt. Wohlhabende US-Amerikaner würden nach Ryans Plan 10 Prozent weniger Steuern zahlen, während die Sozialausgaben des Staates zu gleichen Anteilen sinken sollen. Eine weitere Steuersenkung erhielten Besserverdienende auf Kapitalerträge um 3,8 Prozent. Damit würden die ärmsten US-Amerikaner die Steuervergünstigungen der Reichen finanzieren. Ryan verkündet in den darauffolgenden Tagen in unzähligen Interviews von einem US-amerikanischen Wohlstand, der nicht nur für die eigenen Kinder, sondern für die Enkelkinder erhalten bleiben soll. Ryan und die Tea Party Aktivisten rechnen in Generationen und fordern ein striktes Umdenken in der US-amerikanischen Politik. Ryan erklärt in den Interviews anhand von Zahlenbeispielen die Bedeutung der Kürzungen und glänzt mit mathematischen Rechenbeispielen. Ruhig und gewissenhaft verkauft er seinen Budgetplan an das US-amerikanische Volk. Rund 6,2 Billionen US-Dollar soll der Bundeshaushalt in den nächsten 10 Jahren einsparen. Damit würden die Regierungsprogramme auf den Stand von 1949 gesenkt werden. Der Verteidigungshaushalt, ein Herzensthema der Republikaner, wird nur graduell beschnitten und auch oberhalb der von Präsident Obama geforderten Kürzungen. Neben den Kürzungen in Medicare und Medicaid werden die größten Einschnitte auch in der öffentlichen Bildung, im Transportwesen und Infrastruktur, Lebensmittelsicherheit und Sozialtransfer für Veteranen geplant.
Die Republikaner gehen bei einer vollständigen Umsetzung von Ryans Budgetplan für das Jahr 2012 von einer sinkenden Arbeitslosigkeit um 2,5 Prozent in den USA aus. Auch die sinkenden Immobilienpreise sollen nach Ansicht der Republikaner im nächsten Jahr stabile Werte erreichen und langfristig wieder wachsen. Und trotz der sinkenden Körperschaftsteuer soll die Regierung knapp 100 Milliarden US-Dollar an Mehreinnahmen einnehmen. Diese sehr optimistische Einschätzung teilen die Demokraten nicht. Nach ihren Prognosen wird das Gegenteil eintreten und die Arbeitslosigkeit auch durch die vielen entlassenen Bundesmitarbeiter hochschnellen. Allein durch den Stimulus einer Steuersenkung ist kein Wirtschaftswachstum zwingend vorausgesagt. Der private Konsum, der den Großteil des Bruttoinlandsproduktes der USA ausmacht, kann nicht die strukturellen Probleme des Landes ausgleichen. Auffallend in Ryans Budgetplan ist auch die Tatsache, dass trotz rigider Einschnitte in fast allen Regierungsprogrammen auch nach 10 Jahren ein großes Haushaltsdefizit bestehen würde. Paul Ryan selbst gibt zu, dass das Staatsdefizit allein mit Einsparungen nicht in den Griff zu bekommen sei, doch will er an den Steuersenkungen festhalten. Für das Geschäftsjahr 2012 würde Ryan einen Bundeshaushalt vorschlagen, der rund 3,5 Billionen US-Dollar groß wäre und ein Defizit von 1 Billion US-Dollar erzeugen würde. Das Defizit zwischen Ein- und Ausgaben des Staates würde zwar um 400 Milliarden US-Dollar reduziert, doch durch das Vorenthalten einer fairen Steueranpassung erzielt Ryan nur eine verlangsamte Defizitreduktion. Unter optimalen Bedingungen würden Ryans Ausgabenkürzungen gut 30 Jahre benötigen, um die Staatsschulden auf diese Weise zu tilgen. Für nächstes Jahr werden die Staatsschulden sogar auf insgesamt 16 Billionen US-Dollar anwachsen und werden im Jahr 2021 mit 23 Billionen US-Dollar ihren Höhepunkt erreichen. Erst nach 2021 können die Staatsschulden durch Ryans Budgetplan endlich gesenkt werden.
In den vergangenen 60 Jahren sind nur in fünf davon Überschüsse erzielt worden. In den anderen 55 Jahren wurden Schulden aufgenommen. Die Republikaner wollen nun dieses System des Schuldenmachens radikal beenden.
Paul Ryan selbst gesteht ein, dass er mit diesem Budgetplan ein hohes persönliches Risiko eingegangen ist. Seine Karriere kann davon abhängen. Sein Budgetplan wird 2011 nicht verabschiedet werden, dafür stellen die Demokraten und das Weiße Haus in der Mehrheit dagegen. Doch es wird die Debatte um die Defizitbekämpfung stark beeinflussen. Auch die vorherigen Budgetvorschläge, ausgearbeitet von Kommissionen und überparteilichen Arbeitsgruppen, verwirklichten sich nie. Ryans Budgetplan überragt mit weitaus extremeren Vorschlägen für Ausgabenkürzungen als alle anderen Kommissionsergebnisse zuvor und wird somit nominell keine Mehrheit im politischen Betrieb erhalten. Am Ende haben beide Parteien vor allzu schmerzhaften Kürzungen dann doch abgesehen.
Trotz der in den Medien vorab verbreiteten Teilinformationen über den Ryan Budgetplan, schlug die vollständige Veröffentlichung mit voller Wucht in den politischen Betrieb ein. Stritten sich die Kongresskammern vor wenigen Tagen „nur“ um 30 Milliarden US-Dollar, werden ab heute die Kämpfe um das Grundverständnis des Sozialstaates ausgefochten. Die gesamte republikanische, radikalkonservative Weltsicht eines schrumpfenden Staates und eines überwiegend auf sich selbst gestellten Souveräns werden in dieser einen Budgetvorlage wiedergegeben. Der Graben zwischen der republikanischen und der demokratischen Denkweise ist am Montag, dem 4. April sehr viel größer geworden. Die Staatsschulden haben „in tiefer Weise Schaden zugefügt“, so Paul Ryan und der Wohlstand wird durch die Reduktion von Billionen US-Dollar aus dem Haushalt gewahrt, die jedoch Millionen Senioren und Arme zu schultern haben werden. Nach seinen Worten müssen dann diese Millionen Bürger den „Wohlstand vorantreiben“.
Allen Abgeordneten und Senatoren und auch dem Weißen Haus ist klar, dass die Ausgaben des Staates angepasst werden müssen. Schon im Februar 2011 erklärte Obama sich bereit Medicaid, Medicare und die Social Security zu reformieren und Vorschläge zu unterbreiten. Die Republikaner halten Obama vor, mit seinem Budgetplan das Defizit um 9,5 Billionen US-Dollar in den nächsten 10 Jahren zusätzlich erhöhen zu wollen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Republikaner aus beiden Kongresshäusern Ryans Budgetplan begeistert aufgenommen haben.
Am selben Tag der Vorstellung von Ryans Budgetplan, gibt Präsident Obama seine Wiederwahlkampagne bekannt. Schon scheint es, dass der Wahlkampf um das Präsidentenamt begonnen hat. Obama und die Demokraten werden versuchen, die von ihnen vernachlässigten Wähler zurückzugewinnen. Die Chancen stehen gut. Denn mit dem Ryan Budgetplan müssen sie von den Republikanern große Einbußen in ihren Lebensstandard befürchten.
Am Dienstag, dem 5. April zeigt der Ryan Budgetplan seine erste Wirkung. Demokraten wie der Senator Charles E. Schumer wollen Medicaid und Medicare reformieren und die Kosten senken, ohne einen Kahlschlag in den Programmen auszulösen. Obama bittet am Dienstag die Kongressführer zu Haushaltsgesprächen ins Weiße Haus. Der Präsident will die Verhandlungen nun täglich mit den Verhandlungsführern im Weißen Haus leiten. „Ich, Joe Biden, mein Team - wir sind bereit, so lange wie möglich bis wir dies gelöst haben“, sagt Obama. Barack Obama sieht die kommende Gefahr eines Regierungsstillstandes, die sich durch den Ryan Budgetplan verstärkt haben dürfte. Die Forderungen der Republikaner beziehen sich nun auch auf Teile von Ryans Budgetplan. Aufgrund einer verschärften republikanischen Verhandlungsposition, bekennt sich Obama zu weiteren Ausgabenkürzungen bereit.
Nach einer 80-minütigen Sitzung am Dienstag sind beide Seiten noch um mehrere Milliarden US-Dollar voneinander entfernt. Boehner präsentiert einen neuen Vorschlag in der Verhandlung, der einen Teil der Kürzungen von 40 Milliarden US-Dollar sofort aus dem laufenden Haushalt vorsieht. Die restliche Summe soll nach einem Haushaltsbeschluss verhandelt werden. Obama wies diese Offerte umgehend zurück, da er die Höhe der Gesamtkürzungen weiterhin übertrieben findet.
Die Frustration der Republikaner steigt merklich an. Ihr Sprecher und Verhandlungsführer John Boehner muss vermehrt Kritik an seinem Verhandlungsstil aus seiner Partei erdulden. Er versucht seine Kritiker zu überzeugen, dass ein Regierungsstillstand mehr Schaden für die Republikaner einbringen würde als für die Demokraten. Er verweist auf die ähnliche Situation zwischen dem damaligen Präsidenten Bill Clinton und seinem Widersacher Newt Gingrich 1995. Der damalige Regierungsstillstand hatte katastrophale Umfragewerte der Republikaner nach sich gezogen, auch weil die Schuld hauptsächlich ihnen zugeschrieben wurde. In der heutigen Situation sehen viele Bürger die Republikaner wieder mit ihren überzogenen Forderungen als die Hauptschuldigen in der Haushaltskrise an.
John Boehner muss sich auch der Lüge bezichtigen lassen, da er laut den Demokraten schon Zugeständnisse in den Verhandlungen gemacht hatte, die er später öffentlich dementierte. Somit werden die Verhandlungen mit großem Argwohn und gegenseitigem Misstrauen geführt. In den Verhandlungen wird auch der Vorschlag eines weiteren Nothaushaltes für eine Woche eingebracht, um den Verhandlungsführern mehr Zeit zu geben. Erkauft werden soll die Überbrückungsfinanzierung für 12 Milliarden US-Dollar durch Ausgabenkürzungen in den Sozialprogrammen. Doch Demokraten wie Republikaner wollen einer Notfinanzierung der Bundesregierung nicht mehr zustimmen.
Währenddessen verkünden Demokraten aus dem Repräsentantenhaus ihren eigenen Budgetvorschlag ausarbeiten zu wollen und ihn als Gegenpol zum Ryan Budgetplan zu positionieren. In dieser Alternative sollen die Kürzungen fairer verteilt und die Härtefälle abgemildert werden. Weitere Budgetvorschläge sollen von konservativen republikanischen Gruppen entworfen werden, die ebenfalls als Gegenvorschlag zu Ryans Budgetvorschlag geplant sind. Ob sie am Ende in dem Verhandlungsprozess eine Rolle spielen werden, ist mehr als fraglich. Wie viele parteiliche und überparteiliche Gruppen, Kommissionen oder einzelne Kongressmitglieder an eigenen Budgetplänen arbeiten, ist selbst den Kongressmitgliedern nicht vollständig bekannt. Die Verhandlungen drohen ins Chaos zu stürzen.
Auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz im Weißen Haus am Dienstag hält sich Obama über die Verhandlungsergebnisse auffällig bedeckt. Er spricht jedoch über einen möglichen Kompromiss von 73 Milliarden US-Dollar, über die beide Seiten zu verhandeln versuchen. „Wir sind bereit auf 73 zu gehen“, so Obama. Nach Aussagen von Republikanern will und kann John Boehner nicht auf alle Stimmen seiner rechtskonservativen Parteimitglieder hoffen und wird daher von ihrer 100 Milliarden US-Dollar Forderung Abstand nehmen. Boehner hofft auf einen Großteil der 218 Republikaner aus dem Repräsentantenhaus, die sich letztendlich auf einen Deal mit den Demokraten einlassen würden. Obama gibt auf der Pressekonferenz bekannt, dass die Verhandlungen nun an jedem Tag im Weißen Haus stattfinden werden, bis es zu einer Lösung gekommen ist.
Am Mittwoch, dem 6. April 2011 gibt es kurz vor Fristende noch immer keine Einigung. Die einzelnen Bundesbehörden beginnen mit der Vorbereitung ihrer Abschaltung. Die Unsicherheit über einen unbezahlten Zwangsurlaub bedrückt hunderttausende Bundesmitarbeiter im ganzen Land. Sie erhalten über ihre Vorgesetzten erste Einschätzungen, ob sie zwangsfreigestellt werden oder unbezahlt zur Arbeit erscheinen müssen. Sollte der Government Shutdown schließlich verkündet werden, erhalten die betroffenen Mitarbeiter ein Schreiben zur ihrer Einteilung. Informationen erhalten die Staatsbediensteten heutzutage auch über Facebook und Twitter. Ein persönlicher Anruf, wie früher üblich, ist nicht mehr vorgesehen.
Kurz vor Fristende geht ein Teil der Republikaner aus dem Repräsentantenhaus gegen den demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Harry M. Reid, vor. Er solle, falls der Senat keinen Budgetvorschlag für eine Abstimmung ausarbeiten sollte, von seinem Amt zurücktreten. In dieser Initiative versammeln sich 92 Republikaner, die zumeist der Tea Party Bewegung nahestehen. Sie versuchen mit solchen Aktionen die Schuld an einem möglichen Scheitern der Verhandlungen dem Senat zuzuschieben, da dieser keinen eigenen Haushaltsentwurf ausgearbeitet und zur Abstimmung vorgelegt hat. Als Antwort auf diese Aktion antwortet Reid nüchtern, dass die Tea Party Aktivisten so laut schreien würden, „dass sie nicht hören können, was die überwiegende Mehrheit des Landes verlangt“.
Am Donnerstag, dem 7. April stellen die Republikaner eine weitere Forderung auf. Sie wollen die Bundesmittel für Planned Parenthood, dem größten Anbieter von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA, streichen. Damit, kurz vor dem Ende des Nothaushaltes in der Nacht zum 9. April, eröffnen die Republikaner eine weitere Front. Es geht den Republikanern offensichtlich nicht um Einsparmöglichkeiten von wenigen Millionen US-Dollar, sondern um die Möglichkeit Abtreibungen in den USA zu erschweren. In den erzkonservativen, christlich rechten Gruppierungen in den USA werden die Abtreibungskliniken als Tötungsmaschinen verteufelt. Nicht selten werden Demonstrationen von Abtreibungsgegnern werktags vor den Eingängen größerer Kliniken organisiert und Besucher bedrängt. Planned Parenthood wurde geschaffen, um finanzschwachen Bürgern eine angemessene Familienplanung zu ermöglichen. Hauptsächlich wird eine kostenlose Gesundheitsvorsorge für Frauen, wie das Brustkrebsscreening, Bluthochdruckkontrollen und Ernährungshinweise für Diabetespatienten, angeboten. Auch die Aufklärungskampagnen für Jugendliche und kostenlose Bluttests auf Infektionskrankheiten gelten als fortschrittlich und werden von den Betroffenen angenommen. Mit ihren rund 85 Niederlassungen im gesamten Land bieten sie kostenlos eine Familienplanung gerade für Teenager und junge Mütter an. Die geringe Zahl der Säuglingssterblichkeit in den USA soll auch auf die pränatale Diagnostik von Planned Parenthood zurückzuführen sein. Und dabei geben Studien wiederholt den Befürwortern staatlich geförderter Gesundheitszentren recht, die auf zehntausende Todesfälle in den USA hinweisen, die auf ein schwaches staatliches Gesundheitssystem mit eingeschränkten Grundleistungen zurückzuführen sind. Durch eine verbesserte Gesundheitsleistung könnten auch die Todesfälle von Kleinkindern in den USA deutlich gesenkt werden. Doch nicht das gesamte Geld für Familienplanung der US-Regierung geht an Planned Parenthood. Es werden weitere 800 Gesundheitszentren in den USA mit dem Schwerpunkt Familienplanung durch das Regierungsprogramm finanziert.
Die „Commonwealth Fund International Health Policy Survey“ legt regelmäßig Daten aus Umfragen über die Gesundheitsleistungen verschiedener Länder, darunter auch Deutschland, vor und vergleicht diese untereinander. Im Jahr 2013 werden 33.000 Todesfälle von Kindern vor dem ersten Geburtstag in den USA dokumentiert. Eine umfassendere kostenlose Gesundheitsvorsorge würde die Sterblichkeit von Kleinkindern aus ärmeren Familien in den USA laut dieser Studie reduzieren.
Die Spannung zwischen den Verhandlungsführern scheint stündlich zuzunehmen. Obama ist von den Forderungen der Republikaner, Abtreibungen in den USA zu begrenzen, mehr als erbost. Er sieht darin einen Akt der Beschränkung von Freiheits- und Frauenrechten. Aufgrund von unterschiedlichen Wertevorstellungen und religiösen Vorbehalten droht den USA ein Regierungsstillstand besonderer Art, da die Standpunkte der Parteien nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können.
Derweil gibt Obama Budgetkürzungen von 33 Milliarden US-Dollar als Angebot vor, die von Boehner Stunden später als „nicht genug“ zurückgewiesen werden. Boehner will von seinen Maximalforderungen nicht abweichen.
Die Radikalität der Tea Party Bewegung nimmt spürbar zu. In den vergangenen Wochen wurden wiederholt Demokraten und liberale Republikaner öffentlichkeitswirksam getadelt und ihnen die Schuld für einen möglichen Regierungsstillstand gegeben. Die Kongressmitglieder der Tea Party Fraktion starteten zugleich eine Informationskampagne in beiden Kammern, um einen möglichen Deal unterhalb ihrer Forderungen zu verhindern. Sie fordern lautstark, ihre Budgetkürzungen von 100 Milliarden US-Dollar ohne Abstriche zu beschließen. Auf Demonstrationen vor dem Capitol skandieren Tea Party Aktivisten nun regelmäßig „Shut it down!“ und sehnen einen Regierungsstillstand geradezu herbei. Ob jedoch alle Tea Party Mitglieder mit „Nein“ während einer Abstimmung votieren und einen Regierungsstillstand damit auslösen würden, ist am Ende dennoch ungewiss. Einige Kongressmitglieder lassen bereits erkennen, dass sie einen weiteren Nothaushalt mittragen würden. Trotz Gruppendynamik scheinen einige Tea Party Mitglieder am Ende selbst eine eigene Entscheidung treffen zu wollen.
Auch bei Obama liegen die Nerven blank. Er verkündet sein Veto notfalls aussprechen zu wollen, falls sich beide Parteien nur auf einen Minimalkonsens einigen können und abermals nur einen wöchentlichen Nothaushalt beschließen würden. „Das ist nicht der Weg, um eine Regierung zu führen“, sagt Obama. John Boehner gibt leicht amüsiert zu Wort, dass es den Republikanern nur um die Beseitigung des Staatsdefizits geht und ein teuer erkaufter Nothaushalt den Sparbemühungen der Republikaner entgegenkommt. Nach Ansicht Boehners, wollen die Republikaner den Regierungsstillstand jedoch auf keinen Fall. „Wie ich schon sagte, das Ziel der Republikaner ist, Ausgaben zu kürzen, zu helfen, ein besseres Umfeld für Arbeitsplätze zu schaffen – nicht das Herunterfahren der Regierung“, so Boehner.
Die wichtigsten Punkte für einen Deal scheinen beide Seiten aber schon geklärt zu haben. Zwar steht der Regierungsstillstand unmittelbar bevor, doch Demokraten und Republikaner scheinen sich wieder nähergekommen zu sein. Boehner und Reid sind seit Tagen in Verhandlungen und haben Stillschweigen über ihre Ergebnisse vereinbart. Die Verhandlungen sollen nun auch nachts fortgeführt werden.
Inzwischen sind die Vorbereitungen für einen Regierungsstillstand in den Bundesbehörden angelaufen. Die Sozialversicherung gibt bekannt, dass ihre 53 Millionen Pensionäre auch während eines Regierungsstillstandes ihre Zahlungen erhalten werden. Auch Medicare wird seine bedürftigen Senioren über einen eigens eingerichteten Treuhandfonds bedienen können. Andere klinische Tätigkeiten, die über bundesstaatliche Programme laufen, werden wie die Krebsforschung und klinische Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit jedoch ausgesetzt. In einigen Bundesbehörden werden die Mitarbeiter per E-Mail auf den bevorstehenden Regierungsstillstand und die damit verbundene Zwangsversetzung in den unbezahlten Urlaub informiert. Alle Mitarbeiter sind aufgefordert, eine ordnungsgemäße Stilllegung ihres Arbeitsplatzes zu gewährleisten. Alle Vorgänge sollen noch wenn möglich abgeschlossen und Termine verschoben werden.
Für eine weitere Verwirrung sorgt eine Abstimmung des Senats am Mittwoch. Ein Gesetzesentwurf republikanischer Senatoren zur Beschränkung der Befugnisse der Umweltschutzbehörde EPA erhält im Senat nicht die ausreichende Mehrheit. Darin sollte der Umweltbehörde unter anderem die Regulation von Treibhausgasemissionen aberkannt werden. Die Republikaner nehmen nun dieses abgelehnte Gesetz in die Verhandlungen zum Nothaushalt zusätzlich hinein. Derweil versuchen die republikanischen Abgeordneten des Unterhauses mit dem Energy Tax Prevention Act ebenfalls die Befugnisse der EPA zu beschränken.
Die Verhandlungen werden zunehmend durch ideologische Grabenkämpfe erschwert, da die eigentlichen Kürzungen nicht mehr im Vordergrund stehen. Die Verhandlungen drehen sich hauptsächlich um die Bundesmittel für Familienplanungen und um das Aufweichen von Umweltvorschriften. Harry M. Reid beklagt die enorme Schwierigkeit in den Budgetverhandlungen, große Themen, die das Land seit Jahrzehnten leidenschaftlich bewegen, nicht innerhalb von wenigen Stunden in einer Haushaltssitzung lösen zu können. Nach langen Wochen harter Verhandlungen resigniert Reid nach ausbleibenden Verhandlungsergebnissen: „Das ist ein trauriger Tag, denke ich.“
Um den Government Shutdown doch noch abzuwenden, bringt Boehner am Donnerstag die Möglichkeit eines weiteren Nothaushaltes ins Spiel, da auch er in den Verhandlungen keine Einigung mehr erwartet. Der Nothaushalt soll als Bedingung jedoch eine kleine Budgetkürzung beinhalten, um zumindest das als ein Ergebnis präsentieren zu können. Damit will Boehner die ideologisch ausgeartete Diskussion zur Sachlichkeit zurückführen. Über Finanzierungsmaßnahmen wie Planned Parenthood ließe sich laut Boehner noch zu gegebener Zeit reden. Das Repräsentantenhaus erarbeitet sogleich einen Nothaushalt, um ihn am Freitag beschließen zu können. Um einen Nothaushalt in beiden Kongresskammern verabschieden und unterzeichnen zu können, muss der Haushaltsbeschluss in den frühen Morgenstunden am Freitag erfolgen. Obama sagt eine Reise nach Indianapolis für den Freitag ab, wo er an einer Tagung für Hybrid-Technologie teilnehmen wollte. Trotz ursprünglicher Veto-Drohung des Präsidenten drehen sich die Verhandlungen um eine weitere Notlösung.
Die Anspannung der Verhandlungspartner war zunehmend angestiegen. Keiner der Verhandlungsführer will die persönliche Schuld eines Regierungs- und Verwaltungsstillstandes auf sich nehmen. Nach den Verhandlungen am Donnerstag sagt Reid über den angespannt wirkenden Vizepräsidenten Biden: „Joe Biden war nicht nervös aber er war verdammt verrückt.“