Читать книгу Hockstrecksprung - Josephine Händel - Страница 16

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7 Chromosomen und Aliens

Die nächsten Tage sind brutal. Wir mochten uns, mein Vater und ich. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er der einzige Mensch auf der Welt war, der wirklich wusste, was wann bei mir so lief. Sicherlich liegt das an unserer genetischen Ausstattung. Ich habe mir oft unseren Chromosomensatz vorgestellt. Wenn man ganz tief hineinzoomt, dann sieht man, dass die Vorliebe für Kirschkuchen, Kalimbas und Geschichten über Außerirdische auf dem elften kodiert ist. Verlust ist also nicht der richtige Ausdruck. Ich sei emotional eine Schildkröte im Tiefkühler und dazu übergegangen, alles abzuspalten, was sich nicht im Vorderhirn abspielt, sagt Hella, meine schon mal übende Therapeutenanfängerin. Kurz war sie drauf und dran nach Syrien zu gehen, um underground in einem Krankenhaus zu arbeiten, aber sie wurde von der Organisation wegen mangelnder Berufserfahrung nicht genommen.

Ich bin deine Berufserfahrung, habe ich gesagt. So richtige, hat sie geantwortet. Weil ich in der Familie trotz allem die Reflektierteste bin – unter den Blinden ist der Einäugige König, sagte Vati immer –, muss ich andauernd Psycho-Talk führen. Mit meinen Müttern, meiner Oma, ja, hin und wieder auch mit meinem Bruder, wenn er einen klaren Moment hat und nicht seinem Amotivationalen Syndrom erliegt, wie Hella es nennt, wenn keiner von uns mehr den Arsch hochkriegt, weil wir ständig zu breit sind. Aber wer in meiner Familie fragt eigentlich, wie es mir geht, weil mein Vater tot ist? Mein Kopf platzt und zerspringt in alle Richtungen. Wie ein zum Schrapnell gewordener Granitstein schlägt er dabei spitze Kerben in die Betonwände meines ursprünglichen Elternhauses.

Ein paar Tage noch hänge ich bei Ramona rum. Sie erwartet das, wegen der rumänischen Verwandtschaft. In der fame gallery an der Treppe nach oben ist ein neues Bild aufgetaucht: Rüdiger Borchert drückt mich auf der Beerdigung und ich strahle mein erlerntes Modelächeln. Meine langen braunen Haare kringeln sich perfekt über meinem roten Samtkleid. Das Gesicht: perfekt. Der Körper: perfekt. Die Plastefresse: perfekt. So schön. So tapfer.

Sie hat das hier hängen, um damit anzugeben.

Ich nehme das Bild von der Wand und schlurfe ins Arbeitszimmer nach oben. Auf der Nähmaschine liegt eine Staubschicht. Ich kann mich nicht erinnern, das jemals erlebt zu haben. Ich starre sie an, die Nähmaschine. Ich starre auch aus dem Fenster hinter der Nähmaschine. Die Rotbuche räkelt sich im Schatten. Mit den Augen fahre ich ihre Äste nach. Einmal, zweimal, dreimal. Es ist wichtig, das von oben nach unten und von unten nach oben zu machen. Würde die Rotbuche Gebrauchsspuren davon aufweisen, wäre sie so speckig wie mein rotes Sofa an meinem Lieblingsrückzugsort, Ramonas ehemaliges Büro unterm Dach in der Innenstadt. Dieses Haus hier, Ramonas Haus, gehörte bis zur Scheidung meinen Eltern, ich bin hier aufgewachsen. In die Stadt sind es mit dem Fahrrad dreißig Minuten.

In einer auswendig gelernten Bewegung löse ich mich aus meiner Erstarrung. Dissoziation ist eine Kompetenz, sagt Hella. Ich sehe innerlich vor mir, wie sie auf dem speckigen roten Sofa sitzt und aufspringt, um die Kamera neu einzustellen und mir dann eine weitere Psycholektion erteilt.

Ich nehme das Foto aus dem Rahmen und lege es unter den Nähmaschinenfuß. Dann nähe ich mir das Gesicht zu. Sehr sorgfältig rattere ich kreuz und quer über den Kopf, bis ein Stern entsteht. Ich schiebe das Bild in den Rahmen zurück und frage mich, was als Nächstes zu tun ist. In der Stofftruhe finde ich viel geblümten Jerseystoff und beginne, einen Schlüpfer zu nähen. Habe mal einen Workshop dazu gegeben und die Alternativen waren begeistert.

»Fleißiges Nählieschen«, hat Vati immer gesagt. Und dass ich ihm das auch beibringen müsse, wenn er Rentner sei. Dass er dann neue Herausforderungen brauche und sich umorientieren werde. Er war mit zwei Frauen verheiratet, die das Nähen perfekt beherrschten. Die hat er nie danach gefragt. Aber er wollte auch Wanderprediger in Ostasien werden. Und mal jemanden in der westlichen Welt treffen, der nicht von hinten bis vorne eine in sich schlüssige Gleichung mit achtunddreißig Parametern ergibt, sondern ihn noch überrascht. So als Mensch. »Und deine Peter Pans«, hat er immer gesagt, »das sind die Determiniertesten. Wenn ich’s in unserer westlichen Hemisphäre jemals mit jemandem zu tun habe, Friede, der mich wirklich verblüfft, der kein Produkt seiner Zeit, seiner Vorfahren und seiner Hirntumore ist, dann lade ich ihn zu einem Törn auf die Wildgans ein und koche Gwörl.«

Determination – sein Lieblingsthema. Peter Pans – mein Lieblingsthema. Von denen hatte ich nämlich einige, so zwei pro Jahr, vielleicht: Reisende, Schauspieler, Musiker, Gaukler, Ganoven, Piraten-Jungs, die sich nicht einfangen ließen und immer kindskopfmäßig konsequenzenlos dachten –, ich liebte sie alle und sie liebten mich, aber nur, weil ich so unwiderstehlich in Unterwäsche aussehe. David ist anders – der liebt mich wirklich, aber das halte ich kaum aus. Gwörl – Klöße vom Vortag, aufgeschnitten und angebraten mit Speck, Honig und Senfsauce. Mein Leibgericht! Mir gehen endlos viele Bilder durch den Kopf. Wie Vati und ich im hochalpinen Tiefschnee irgendwo jenseits der präparierten Piste am Abhang stehen, zum Beispiel, und er sagt: »Man braucht immer eine Prise Chili im Leben, Friedemarie!«

Dann navigierte er mich sanft und sicher zwischen den Fichten runter. Alles glitzerte in der frühmorgendlichen Sonne. Die Luft war so klar, dass meine Lungen glücklich rasselten. Meine Mutter hat einen Tobsuchtsanfall bekommen, ich hätte das nie erwähnen dürfen. Cut. Rotes Meer, bunte Fische, Vati, der mir bedeutet, ihm zu folgen. Wir gehen so tief runter, dass ich die Seeigel am Riff streichele und mein Vater versucht, mit ihnen zu jonglieren.

Als die Nadel sich im Stoff verfängt und wirre Fadenknäuel zusammenstottert, bekomme ich einen hysterischen Heulanfall. Niemand ist da, ihn zu bemerken. Ich hasse das. Wenn ich am Tiefpunkt angekommen bin und innerlich meinen Abgang plane, will ich Publikum – aber an Tagen wie diesen sind alle mit sich beschäftigt. Ich stelle mir kurz vor, wie der Rest meiner Familie an meinem Grab steht und bedauert, mich nie richtig gekannt zu haben. Dann schleppe ich mich ins Bad. Die Deckenlampe funktioniert seit Jahren nicht, ich schalte die kleine Stehlampe neben dem Waschbecken an. Es ist nicht so, dass der Deckenfluter wirklich kaputt wäre, doch niemand kam je auf die Idee, die Glühbirne zu wechseln. Ich wasche mir das verheulte Gesicht. Wie immer bricht sich das Funzellicht in dem Mosaik aus Spiegelscherben zu meiner Rechten. Eines dieser Mammutprojekte meines Vaters. Eine Zeit lang war er süchtig nach Do-it-yourself-Sendungen und ließ sich, so oft es seine freie Zeit erlaubte, von Tipps zur Wohnungsgestaltung von Margarethe Schreikamp berieseln. Gleichzeitig faszinierten ihn schon immer Kunstströmungen aus der Zeit kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende. Jahrelang hatten surrealistische Werke unseren Hausflur geziert. Zu Kindergeburtstagen schämte ich mich, meine Freunde an riesigen Bildern barbusiger Frauen mit Rattenköpfen vorbeizulotsen, die an Hochhäusern nagten oder Vulven, aus denen Eulen lugten. »Die Weisheit, Friedemarie«, sagte Vati, »haust im Schoße einer Frau. Denn hier entsteht das Leben. Was sonst soll in der Lage sein, Neues entstehen zu lassen, wenn nicht ein bis ins Letzte ausgeklügelter Plan?«

Das Resultat in diesem Badezimmer: eine Zweimal-zwei-Meter-Fläche aus Spiegelmosaik. Darüber ein Schriftzug aus klitzekleinen bunten Scherben: Du bist Kubismus. Niemand kann sich darin betrachten. Es ist lediglich ein nettes Spiel mit dem Licht. Ich trete an das Mosaik heran und suche eines meiner zwei Augen. Das andere finde ich in einer anderen Scherbe. Tausend kleine Teilchen, die je ein Stück meiner selbst zeigen, und keines passt zusammen mit einem anderen.

Ich gehe in mein altes Jugendzimmer.

»Oh Lord!«, brüllt es mir entgegen.

Und »Kaaamon! Kaaamon!«

Vati hatte Janis und Jimi von seinem Vater zur Jugendweihe bekommen, dabei hatte er sich Schallplatten aus dem Westen gewünscht. Aber Opa war Anthropologe und mit dem, was er so aus der Welt anschleppte, ist die zweite Generation nach ihm noch überfordert, es auf Flohmärkten zu verscherbeln. Angeblich hatte er Mitleid mit Janis gehabt. Nach einem Unfall mit einer Fensterscheibe hatte sie sich einen Flügel gebrochen und konnte nicht mehr besser fliegen als ein Hofhuhn. Das Gute war, dass sie deswegen ihre motorischen Hirnkapazitäten für das Sprechenlernen bündeln konnte. Das war wie bei Schülern in der Schule. Damit sie ihre kleinen grauen Zellen auf die Sinnlosigkeiten der Lehrfiguren richteten, entzog man ihnen einfach jedwede Möglichkeit, sich körperlich zu betätigen. Weil Graupapageien nicht allein leben können, musste Jimi mit, starb aber vor zwei Jahren im geschätzten Alter von über sechzig Jahren.

Früher krähte Janis außerdem »Won’t you buy me a Mercedes Benz«. Seit dem Tod meines Vaters ist nur ein klagendes »Oh Lord!« übriggeblieben.

Und »Kaaamon, Kaaamon«. Ich kraule Janis unterm Schnabel und seufze. »Kaaamon, Kaaamon!«, kräht sie und sieht ruppig aus. Take another little piece of my heart now, denke ich. Selbst das Rot ihrer sonst wunderschönen Schwanzfedern scheint ermattet. Das Grau ihres Gewands wirkt aschfahl.

»Nimm die verdammten Vögel mit!«, hatte Ramona während der Trennung gebrüllt.

»Nein, bitte nicht!«, hatte ich geheult, doch das war ihr so egal gewesen wie die Bundesligaergebnisse. Ein paar Tricks kann Janis noch. Den Ticktack-Trick. Und noch besser: das Orakel. Mein Vater hatte stets Probleme Entscheidungen zu treffen. Er schmiss dann eine Münze und ließ sie Janis wie eine Elster fangen, das Symbol oben galt. Angeblich hatte er auf diese Art und Weise mit sich ausgemacht, ob er das Haus kaufen, den Job antreten und später, ob er sich von Ramona trennen sollte.

Ich kenne solche Phasen auch. Sich nicht entscheiden zu können. Der Versuch, jede Option bis in die letzte Konsequenz zu durchleuchten und abzuwägen, dabei aber kein richtiges Gefühl zu einem Besser oder Schlechter zu haben und darüber zu verzweifeln, bis einem jemand die Entscheidung abnimmt, ist ein uralter Begleiter. Bis ein Vogel die Münze fängt.

Auf dem Schreibtisch türmt sich Kondolenzpost. Ich nehme den Stapel und schmeiße ihn in den Papierkorb. Dann fühle ich mich noch einsamer und sammele die Karten wieder heraus. Wahllos schlage ich einige auf, jemand – wahrscheinlich Ramona – hat das Geld herausgenommen und ich wette, von Sonia kam keine Widerrede.

Große Trauer – Tante Rowena. Tiefste Erschütterung bei Nachbar Gerd. Beileid von der Fakultät. Andächtige Worte von Anna Rittenlanz. Großes Mitgefühl von Tante Thea. Ich stocke. Gehe eine Karte zurück. Eine schlichte, graue Karte mit weißen Blumen drauf. Ein Satz: Auf dass eure Seelen Ruhe finden mögen, lieber Alf. Eure Seelen? Wessen denn noch? Ich drehe die Karte hin und her. Kein Absender, keine Adresse, nichts. Eine One-way-Konversation, auf die Frau Rittenlanz keine standardisierte Dankesnachricht zu erwarten scheint.

Auf dass eure Seelen Ruhe finden mögen. Anna Rittenlanz. Rittenlanz, Tittentanz. Rittenlanz, Tittenschwanz.

»Jetzt reicht’s, Friedemarie!«, rufe ich. Ruft mein Vater. Der Papagei gurrt erschrocken. Ich halte inne und habe dieses Gefühl, dass sich kleine Bewusstseinsteilchen flirrend gegenseitig anziehen, um ein Bild zu ergeben. Ich weiß noch nicht, welches. Aber mir dämmert irgendetwas. Was machst du denn schon hier?, schießt es mir in den Kopf und ich habe keine Ahnung, woher dieser Satz stammt. Entschuldigend schaue ich Janis an. Ich strenge mich an, mich zu konzentrieren, so gut wie es nur geht. Doch das Bild wird nicht schärfer oder stimmiger, in meinem Kopf herrscht diffuse Schwärze, die mit bedrohlichen Gefühlen aufgeladen ist. Nicht greifbar. Was machst du denn schon hier? Ich beobachte mich dabei, wie ich aufstehe und zu den Schränken hinübergehe, die Schranktür aufreiße und nach einem Karton im obersten Regal taste. Überall Staub, bei Second Mum hätte es das nicht gegeben, zu schlecht fürs Chi. Bücher verschiedener Größen und Zustände stapeln sich in dem Karton. Wahllos greife ich nach dem mit den Sonnenblumen und Totenschädeln. Überall steht Penis auf dem Cover und Kurt forever.

»Lieber Stanislav« mein Tagebuch hieß Stanislav – »war mit Daddy am Boot. Hat mich vollgequatscht, dass ich das mit Physik auf die Reihe kriegen muss, und wollte mir dieses Prinzip halber Weg, doppelte Kraft und die Spulen an seinen Seilen und die Rolldinger erklären. Habe mit einem Ohr versucht, interessiert zu tun, und Frithjof beobachtet, wie er die Reling nebenan weiter abgeschliffen hat.« Ich würde gerade alles dafür tun, mir von Vati Physik erklären zu lassen und erinnere mich gut an den Abend. Vati hatte Frithjof eingeladen und uns beide und sich selbst mit Kräuterschnaps abgefüllt. Das Boot war unser Refugium, Mums hatten nie einen Zutritt, das war Vati-Arne-Friede-Zone. Arne war zu klein, der war zu Hause, der hat nichts getrunken, sondern wahrscheinlich zeitgleich »Age of Empires« gezockt. Frithjof hat mir dieses Lied beigebracht, das mir manchmal noch im Kopf herumschwirrt. Ne wandernde Fremde auf ihrer Tippelei schaut in unserm Hause ein paar Tage vorbei. Stets freundlich charmant und natürlich hilfsbereit packt sie gerne an, denn sie hat ja die Zeit. Packt sie gerne an, denn sie hat ja die Zeit!

Irgendwann wurde Vati sehr sentimental. Er sprach davon, eine Frau auf einem Kongress wiedergetroffen zu haben, die ich kennen würde. Die wir aber schon sehr lange nicht mehr gesehen hätten. Als er von ihr sprach, war sein Blick vollkommen verschleiert, aber nicht besoffen-verschleiert, sondern verknallt-verklärt. Ich war damals natürlich geschockt und hatte Angst, dass das ganze Scheidungstheater schon wieder losginge. Ich glaube, ich wollte sie sogar ausfindig machen und vorher umbringen, bevor es so weit kommen konnte. Und irgendwo – ich blättere in dem Tagebuch herum und halte Ausschau nach einer kleinen versteckten Kritzelei in irgendeiner Ecke. Nichts zu finden. Vorsichtig löse ich einen Johnny-Depp-Sticker. Bingo. Wie vorhersehbar ich auch damals schon war. Ich muss über mich selbst lachen. Den Namen entziffere ich sofort: Anna Rittenlanz. Ein außergewöhnlicher Name für eine außergewöhnliche Frau, so in der Art waren seine Worte gewesen. Unser letztes Telefonat geht mir durch den Kopf. »Friede, ich habe jemanden auf dem Kongress in Bonn wiedergetroffen. Ich muss mit dir reden, aber nicht heute.«

Ich hatte dem keine Bedeutung beigemessen. Mein Vater verknallte sich einmal im Monat in irgendwen. Er dachte immer, niemand merke das, aber ich merkte es sofort. Vielleicht, weil wir uns, auch was das betrifft, ähnlich sind.

Ich schleife das Tagebuch mit ins Bett und brüte. Aber ich verliere immer wieder den Faden. Das frustriert mich. Ich kann mich nicht konzentrieren. Was würde Hella tun?

Hella ruft an. Manchmal liest sie meine Gedanken. Ich geh nicht ran. Ich bekomme eine SMS auf mein Handy, das so alt ist, dass die Beschriftung auf allen Tasten bis zur Unkenntlichkeit abgerubbelt ist. Und das noch Tasten hat. Obwohl das längst nicht mehr nötig ist, beschränkt Hella sich stets auf einhundertsechzig Zeichen. So als wäre es eine Art Sport. Hella war mal Leistungssportlerin, vielleicht steckt das noch so drin. In der SMS steht, dass ich rangehen soll oder sie sorgt dafür, dass in meinen nächsten Dönern Kranich steckt. Hella weiß, welche Knöpfe sie bei mir drücken muss. Ich mag Kraniche. Sie ruft noch mal an. Ich gehe ran.

»Ich habe dir doch von dem Typen erzählt, an den ich meine Unschuld verlor, oder?«, sage ich, ehe sie meckert, dass ich depressiv bin. Ich stelle das Telefon auf Lautsprecher und streiche über das Loch in meinem Bettbezug. Die Ränder fransen aus. Ich bohre mit meinem Finger darin herum.

»Ja, die Yacht von deinem Vater. Und dass du irgendwann spucken gegangen bist«, sagt Hella.

Ich seufze.

»Das war keine Yacht. Das war ein Kielschwerter. Der Typ wollte damals nach der Lehre auf Wanderschaft gehen. Weißt schon: Walz, Wanderschaft, die Schornsteinfeger, die man manchmal an Autobahnabfahrten rumlungern sieht.«

»Schornsteinfeger gehen nicht auf Wanderschaft. Du meinst Handwerker. Und? Ist er wieder da?«

»Der ist nie los«, sage ich. »Sein Vater ist am Suff krepiert und er hat den Betrieb übernommen.«

»Friede, ich glaube, du hast einen Todfilter an. Wie rosarote Brille, nur pechschwarz.«

»Nee, das ist Zufall, dass der auch tot ist. Du, ich geh die Frau suchen, in die mein Vater verliebt war«, sage ich. Anna Tittentanz. Fängt den Schwanz. Sieht uns ganz.

»Okay«, sagt Hella und stellt keine Nachfragen.

Ich popele in meiner Bettdecke herum und frage mich, warum sie nicht weiter nachhakt, damit gibt sie mich schließlich der Lächerlichkeit preis.

»Tu mir bitte einen Gefallen und schlaf erst einmal, in Ordnung?«, sagt sie stattdessen.

Ich öffne den Mund, um zu protestieren, wünsche stattdessen Hella eine gute Nacht und rolle mich mit klopfendem Herzen im Bett zusammen. Im Nachbarzimmer höre ich Janis trillern und unter mir lautes Gelächter, rumänisches Geplapper und Geklapper von Geschirr. Es ist schwer zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn einem im Dunkeln schwarz vor Augen wird. Aber das wird es immer wieder, wenn meine Gedanken um die letzten Stunden kreisen, bis ich mir einen dicken Dübel baue und bekifft wegnicke.

Hockstrecksprung

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