Читать книгу Hockstrecksprung - Josephine Händel - Страница 19
Оглавление10 Zugluft
Im Schlafwaggon ist es muffig, wie prophezeit. Es knallt im hinteren Teil des Zuges, ich zucke zusammen und beobachte mein Adrenalinlevel beim Hochschießen und Absinken. Wenn ich auf meiner Pritsche ein wenig hin und her rutsche, wabert ein Geruch von Panikschweiß wie eine Wolke an mir hoch. Mein Geruch.
Lecker Polyesterdecken. Schmandige Fenster, überquellende Müllhalter. Die Menschen in meinem Abteil stinken auch. Nicht mehr als ich, vermute ich. Das Schicksal hat mir ein Klischee von Mitreisenden zusammengestellt: Da ist der obligatorische Rucksackhippie über mir, der, gemessen an seinem ungepflegten Äußeren, schon drei Jahre sinnsucht. Dann ist da der Säufer ihm gegenüber, der bei jeder Bewegung stöhnt und ächzt, sowie die furzende Oma rechts von mir.
Janis wippt auf der Eisenstange, die mein Bett begrenzt. Den Vogel können Sie mitnehmen, aber nur gegen den Kinderpreis. Immer wenn sie sich zu Kindergröße aufplustert, schiebe ich ihr schnell ein paar Kekse rein, bevor sie »Kaaamon, Kaaamon!« durch das Abteil kreischt. Wenn man sie unter dem Schnabel krault, neigt sie den Kopf ein wenig zur Seite und schließt genüsslich die Augen. Auf ein Trillern landet sie in drei Viertel der Fälle auf meiner linken Schulter, in einem Viertel zeigt sie mir den Mittelfinger. Meine Finger tasten auf dem Old-school-MP3-Player in meiner Tasche herum. Auch ohne ihn einzuschalten, schießen mir Tausende unserer Gesprächsfetzen durch den Kopf, als würde er schon einmal panisch versuchen, sich stark zu machen für das, was in dem Plasteteil schlummert. Hella von und zu Klugscheißer. Mein Lieblingsname für sie. Wie sagte sie einst in einem Anflug von Selbstironie?
»Wenn man alles in kluge Worte packt, dann muss man nicht so viel fühlen. Das macht die eigene emotionale Welt zwar flacher, aber bedeutend leichter.« Ich streiche Janis über das Gefieder, verlagere mein Gewicht von einer Seite auf die andere und würde auch lieber im Sitzen schlafen, neben ihr auf der Stange. Ich mache mir keine Illusionen: Ich werde kein Auge zutun. Ein besonders sadistischer Teil von mir hat beschlossen, kein Gras mitzunehmen, um nicht bei nächstbester Gelegenheit an einem netten Ort zu versumpfen und die Mission zu gefährden. Jetzt hasse ich mich für diesen Beschluss. Als das Schnarchen unter mir unaushaltbar wird, stecke ich mir Kopfhörer ins Ohr und spüre, wie Neugier über Angst siegt.