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I. Beginn des menschlichen Lebens

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Das Strafgesetzbuch selbst bietet keinen vergleichbaren Anhaltspunkt für die Bestimmung des Zeitpunkts, ab welchem die Leibesfrucht als Mensch im Sinne der Tötungsdelikte anzusehen ist.[48] Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass das Leben des Menschen für das Gebiet des Strafrechts mit dem Einsetzen des Geburtsvorganges beginnt.[49] Bei regulärem Geburtsverlauf ist nach herrschender Auffassung auf den Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen abzustellen.[50] Damit schützen die Tötungstatbestände nach §§ 211–216 StGB nicht „menschliches Leben“ schlechthin, sondern das Leben des existierenden Menschen in Abgrenzung zu dem von §§ 218 ff. StGB geschützten Leben des menschlichen Embryos.[51] Um dem Schutz von §§ 211 ff. StGB zu unterstehen ist lediglich erforderlich, dass das Kind zum Zeitpunkt des Geburtsbeginns unabhängig vom Leben der Mutter tatsächlich gelebt hat, sei es auch nur für kurze Zeit.[52] Die Lebensgarantie gemäss Art. 2 Abs. 2 GG verbietet es, den strafrechtlichen Schutz von der physischen oder psychischen Konstitution, von der Lebenserwartung oder Lebensfähigkeit oder von der gesellschaftlichen Wertschätzung abhängig zu machen.[53]

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In diesem Zusammenhang ist auf das wenig geklärte Sonderproblem der Früheuthanasie, das Sterbenlassen von schwerstgeschädigten und unreifen Neugeborenen, Bezug zu nehmen. Eine gezielte aktive Tötung Neugeborener zur Erlösung von ihren Leiden wird analog zu sonstigen Fällen von Sterbehilfe für strafbar erachtet.[54] Eine lebensverkürzende Schmerzbehandlung (indirekte Sterbehilfe) ist demgegenüber zulässig.[55] In eng begrenzten und sorgfältig zu begründenden Sonderfällen soll zudem die passive Früheuthanasie unabhängig davon, ob der Tod des Neugeborenen unmittelbar oder erst geraume Zeit später bevorsteht, straflos bleiben.[56] Die Eltern des Neugeborenen sind rechtlich nicht befugt, über den lebensverkürzenden Behandlungsabbruch abschliessend wirksam zu entscheiden.[57] Es handelt sich somit bei der Therapieeinstellung um einen autoritativen Akt auf Basis einer qualitativen Bewertung des Lebens schwerst geschädigter Neugeborener.[58] Da das neugeborene Kind keinen Willen hat und auch ein mutmasslicher Wille nicht eruierbar ist, kann eine Behandlungseinstellung – faute de mieux[59] – lediglich über den rechtfertigenden Notstand zugelassen werden, wenn dadurch dem Kind schwerstes unabwendbares Leid erspart wird.[60] Bei der Notstandsabwägung sind ausschliesslich die eigenen Interessen des Rechtsgutträgers massgebend; Drittinteressen ökonomischer oder gesellschaftnützlich-eugenischer Art dürfen keine Rolle spielen.[61] Die Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung (2011) definieren: „Bei „Neugeborenen mit schwersten Beeinträchtigungen durch Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, kann nach hinreichender Diagnostik und im Einvernehmen mit den Eltern eine lebenserhaltende Behandlung, die ausgefallene oder ungenügende Vitalfunktionen ersetzen soll, unterlassen oder beendet werden. Gleiches gilt für extrem unreife Kinder, deren unausweichliches Sterben abzusehen ist, und für Neugeborene, die schwerste zerebrale Schädigungen erlitten haben.“[62] Ein Behandlungsabbruch erscheint somit gerechtfertigt, wenn dem Neugeborenen ein Leben in ausweglosen Qualen bevorstehen würde und darüber hinaus, unter Bezugnahme auf den Sinn des ärztlichen Heilauftrags, wenn ein Ausbleiben der Fähigkeit zu jeglicher Wahrnehmung und Kommunikation zu prognostizieren ist.[63] Der Bundesgerichtshof hat bei Entscheidungsunfähigen in gewissen Fällen eine objektiv ausgerichtete Güterabwägung von Lebens- und Sterbeinteressen anerkannt, woran im Bereich der Früheuthanasie zurückhaltend angeknüpft werden kann.[64]

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