Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Andreas Popp, Jörg Eisele - Страница 74

b) Indirekte aktive Sterbehilfe

Оглавление

13

Indirekte Sterbehilfe liegt vor, wenn ein früherer Todeseintritt unvermeidliche, aber auch unbeabsichtigte Folge der Verabreichung schmerzlindernder Medikamente an einen Todkranken oder einen Sterbenden mit dessen (mutmasslicher) Einwilligung ist.[98] Es handelt sich dabei um einen Unterfall der aktiven Sterbehilfe.[99] Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung zur Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe ausgeführt, dass eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmasslichen Patientenwillen bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig wird, dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.[100] In ähnlicher Weise äussern sich auch die Grundsätze der Bundesärztekammer: „Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.“[101]

14

Nach dem Stand der heutigen Schmerztherapie wird eine Lebensverkürzung zwar nur noch selten gegeben sein, auszuschliessen ist sie jedoch im Einzelfall nicht.[102] Obwohl die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe in Deutschland seit langem anerkannt ist, besteht über deren Begründung sowie Reichweite nach wie vor Uneinigkeit.[103] Was die Reichweite betrifft, besteht die Straflosigkeit der indirekten aktiven Sterbehilfe nach h.M. auch dann, wenn der Arzt die lebensverkürzende Wirkung als sicher voraussieht, somit mit dolus directus zweiten Grades handelt.[104] Des Weiteren kann es nicht auf die Zeitspanne der Lebensverkürzung ankommen, weshalb kein Grund besteht, die Straflosigkeit auf die Fälle der Sterbehilfe im engeren Sinn zu begrenzen.[105] Die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe erstreckt sich somit auf alle mit unzumutbaren Schmerzen oder anderen unzumutbaren Leiden verbundenen „tödlichen Krankheiten“.[106]

15

Begründet wird die Straflosigkeit von Teilen des Schrifttums durch Tatbestandsausschluss, weil die indirekte aktive Sterbehilfe sozialadäquat sei und daher ihrem Sinngehalt nach den Bestimmungen einer strafbaren Tötung (§§ 212, 216 StGB) nicht unterliege.[107] Vereinzelt wird auch die Rechtsfigur des erlaubten Risikos herangezogen.[108] Nach der heute überwiegenden Meinung liegt zwar eine Tötung vor, diese ist jedoch wegen rechtfertigenden Notstandes straflos.[109] Die Annahme einer rechtfertigenden Einwilligung des Todkranken wird durch die Einwilligungssperre von § 216 StGB verunmöglicht.[110] Eine Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe aufgrund von § 34 StGB bedingt die Abwägung der Interessen des in die Behandlung (mutmasslich) einwilligenden Patienten und der entgegenstehenden Interessen an längstmöglicher Lebenserhaltung.[111] Es fliessen somit Einwilligungselemente in den Abwägungsvorgang im Rahmen der Notstandslösung mit ein.[112] Vereinzelt wird der Standpunkt vertreten, dass das Rechtsgut „Leben“ abwägungsresistent sei und deshalb eine Notstandssituation, welche eine solche Abwägung gerade voraussetzt, nicht vorliegen kann.[113] § 34 StGB stellt jedoch entscheidend auf eine Abwägung nicht der Rechtsgüter, sondern der konkreten Interessen ab, weshalb ein wesentliches Überwiegen des Schmerzlinderungsinteresses über das Interesse an einem (leidvollen) Weiterleben nicht an der Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben scheitern kann.[114] Einige Autoren sowie der Bundesgerichtshof begründen mit dem Recht des Patienten auf ein humanes Sterben in Würde ein Überwiegen des Schmerzlinderungsinteresses gegenüber der Lebensverkürzung, indem die Menschenwürde als verfassungsrechtlicher Höchstwert über dem Lebensrecht steht.[115] Zudem wird vorgebracht, dass § 34 StGB auf die Kollision der Rechtsgüter verschiedener Personen zugeschnitten sei; dagegen lässt sich einwenden, dass Wortlaut und Systematik eine Subsumtion von Sachverhalten, welchen Interessenkollisionen innerhalb der Sphäre ein und derselben Person zugrunde liegen, zulassen.[116] Eine analoge Anwendung auf Sachverhalte der indirekten Sterbehilfe ist zumindest möglich.[117] Die Diskussion verdeutlicht, dass die Trennung der strafbaren und straflosen Formen aktiver Sterbehilfe zweifelhaft und kriminalpolitisch zunehmend problematisch ist.[118]

Handbuch des Strafrechts

Подняться наверх