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2. Würdigung

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Im Ergebnis verdient das Urteil Zustimmung bezüglich der Ableitung der Zulässigkeit der Sterbehilfe aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, womit die strafrechtliche Rechtsprechung Anschluss an die gesetzliche Entscheidung der §§ 1901a ff. BGB hält.[170] Ebenfalls zu begrüssen ist die Klarstellung, dass Sterbehilfe durch aktives Tun zulässig ist, ohne dass dazu das dogmatische Konstrukt eines Unterlassens durch Tun herangezogen werden muss.[171] Dies schenkt der Tatsache Beachtung, dass gemäss dem heutigen Stand der Medizin ein Behandlungsabbruch regelmässig in der Vornahme von verschiedenen Handlungen besteht und sich nicht in blosser Untätigkeit erschöpft.[172] Das Unterscheidungsmerkmal des Behandlungszusammenhangs erscheint als geeignetes Kriterium, um nicht nur eine gänzlich behandlungsfremde Massnahme, sondern auch eine vorsätzlich überdosierte Medikamentenabgabe als Tötungsdelikt auszuweisen.[173] Unglücklich erscheint indes die begründungslose Einbeziehung der indirekten Sterbehilfe[174], da die Lebensverkürzung durch Schmerzmittelgabe mit einem Behandlungsabbruch unmittelbar nichts zu tun hat.[175]

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Kritisiert wird zu Recht die Aufgabe der Unterscheidung der gesetzlich vorgegebenen Handlungsformen des Tuns und Unterlassens.[176] Eine Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen muss nur schon deshalb erfolgen, weil bei unechten Unterlassungsdelikten für die Strafbarkeit zusätzliche Voraussetzungen wie etwa das Erfordernis einer Garantenstellung bestehen und nur bei einer Begehung durch Unterlassung § 13 Abs. 2 StGB greift.[177] Betrachtet man das Urteil des BGH im entsprechenden Kontext wird jedoch deutlich, dass dem 2. Strafsenat allein an der Klarstellung daran gelegen war, dass die Rechtmässigkeit von Sterbehilfemassnahmen nicht davon abhängen darf, ob es sich beim entsprechenden Vorgehen strafrechtlich um ein Tun oder Unterlassen handelt; der Vorwurf, dass mit dem Grundsatzurteil des BGH eine Einebnung der Verhaltensformen des Tuns und Unterlassen stattgefunden habe, erweist sich somit als unbegründet.[178] Bereits vor dem „Fall Putz“ wurde die strafrechtliche Bewertung eines Behandlungsverzichts nicht von der Einordnung als Tun oder Unterlassen abhängig gemacht – die Lösung per se war somit nie umstritten.[179]

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Ebenfalls auf Ablehnung stösst die aus dem Grundsatzurteil herausgelesene Beschränkung der Vornahme eines zulässigen aktiven Behandlungsabbruchs auf Ärzte, Betreuer und Bevollmächtigte sowie deren Hilfspersonal.[180] Es bleibt indes fraglich, ob eine solche Beschränkung vom 2. Strafsenat tatsächlich beabsichtigt war; Rissing-van Saan hält dazu fest, dass die Frage, „ob und unter welchen Voraussetzungen ausserhalb der Behandlungssituation stehende Dritte, die dem Willen des Patienten zum Durchbruch verhelfen wollen, rechtmässig handeln, nicht zu entscheiden war“, und das Urteil vom 25. Juni 2010 dazu deshalb auch keine Aussage mache.[181]

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Problematisch erscheint zudem die Erstreckung der rechtfertigenden Einwilligung des Patienten in den Bereich des aktiven Behandlungsabbruchs. Eine Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs gemäss § 32 (Nothilfe) oder § 34 StGB (Notstand) lehnt der BGH ab.[182] Obwohl es auch der Intention des Gesetzgebers des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes entspricht, dass die Hilfe und Begleitung im Sterbeprozess sowie das Recht auf Ablehnung eines medizinisches Eingriffes von einer Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB zu unterscheiden ist,[183] besteht gemäss herrschender Lehrmeinung ein problematisches Spannungsverhältnis zwischen dem Behandlungsabbruch und dem in § 216 StGB statuierten Einwilligungsverbot in Tötungshandlungen.[184] Der BGH selbst führt dazu aus, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Grenze zur strafbaren Tötung auf Verlangen durch die §§ 1901a ff. BGB nicht verschoben werden sollte, diese aber „unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Handlungen berücksichtigt werden“ muss.[185] Walter schlägt in diesem Zusammenhang eine teleologische Reduktion von § 216 StGB vor:[186] Die Zwecke der Schutz- sowie Beweisfunktion von § 216 StGB nehmen in Fällen von Sterbehilfe gemäss den §§ 1901a ff. BGB keinen Schaden.[187] Der Zweck der Tabuisierung des Tötens anderer würde zwar durch eine teleologische Reduktion tangiert werden, jedoch ist den §§ 1901a ff. BGB zu entnehmen, dass sich die Verfolgung dieses Zwecks seit der Schöpfung von § 216 StGB stark gewandelt hat.[188] Selbst wenn der Gesetzgeber mit der Schaffung von §§ 1901a ff. BGB die Grenzen des § 216 StGB unberührt lassen wollte, geht aus den Materialien hervor, dass auch der tätige Behandlungsabbruch zulässig und straffrei bleiben soll.[189]

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Ein Teil der Lehre ist der Ansicht, dass ausgehend von der Patientenautonomie nicht der Abbruch, sondern bereits die Vornahme der Behandlung rechtfertigungsbedürftig sei.[190] Sobald nämlich eine tatsächliche oder mutmassliche Einwilligung in die Behandlung nicht mehr besteht, ist eine Weiterbehandlung rechtswidrig.[191] Unterlässt der Arzt die Weiterbehandlung, kann ihm der Todeserfolg mangels Garantenpflicht nicht zugerechnet werden, da ihm durch das Patientenveto eine Weiterbehandlung verwehrt ist.[192] Aber auch der (aktive) Abbruch der Behandlung bedarf nach dieser Ansicht somit gar keines eigenständigen Zustimmungsaktes, sondern seine Zulässigkeit ergibt sich schlicht aus dem Wegfall bzw. dem Widerruf der Einwilligung in die Durchführung der Behandlung.[193] Erfolgt dann kein Behandlungsabbruch, liegt eine eigenmächtige Heilbehandlung und tatbestandlich eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB vor.[194] Dogmatisch stellt diese Frage ein Problem der objektiven Zurechnung dar und müsste damit auf der Ebene des Tatbestands behandelt werden.[195] Aus der gleichen Überlegung erscheint es denn auch zweckmässig, nicht nur auf den Begriff der passiven Sterbehilfe, sondern auch auf den Begriff der Sterbehilfe in Konstellationen des Behandlungsabbruchs zu verzichten, da es sich dabei ausschliesslich um die Respektierung seines Rechts handelt, Eingriffe in die physische Integrität und Entscheidungsfreiheit zurückzuweisen, nicht hingegen um irgendeine „Hilfe“, welche dem Patienten geleistet wird.[196] Problematisch ist dieser aus der Patientenautonomie hergeleitete Ansatz in Bezug auf Sachverhalte, in denen nicht der behandelnde Arzt oder der bestellte Patientenvertreter, sondern eine Drittperson lebensverlängernde Massnahmen in Übereinstimmung mit dem (mutmasslichen) Willen des Patienten aktiv unterbindet.[197] Der unbeteiligte Dritte ist nicht in die medizinische Behandlung eines lebensbedrohlich erkrankten Menschen eingebunden und hat weder mit der Behandlungssituation verbundene rechtliche Pflichten noch die faktische Möglichkeit, lebensverlängernd tätig zu werden.[198] Handelt er in Kenntnis des die Behandlung ablehnenden Patientenwillens, kann er sich allenfalls auf Notwehr gemäss § 32 StGB oder einen rechtfertigenden Notstand gemäss § 34 StGB berufen.[199]

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In der Literatur strittig ist auch die Relevanz der betreuungsrechtlichen Vorschriften für die strafrechtliche Bewertung eines Behandlungsabbruchs. Im Beschluss vom 10. November 2010 – 2 StR 320/10 („Kölner Fall“) konkretisiert der 2. Strafsenat, dass die betreuungsrechtlichen Vorschriften bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Massnahmen für das Strafrecht Wirkung entfalten würden.[200] Ob diese Aussage dahingehend interpretiert werden soll, dass die Beachtung der prozeduralen Regeln der §§ 1901a und 1901b BGB Voraussetzung für eine strafrechtliche Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs darstellt, ist fraglich.[201] Unzweifelhaft dürfte hingegen sein, dass die Nichteinhaltung betreuungsrechtlicher Regelungen nicht per se den Vorwurf eines strafbaren Tötungsunrechts begründen kann.[202] Für eine strafrechtliche Ahndung der Nichteinhaltung der betreuungsrechtlichen Regelungen wäre ein entsprechender Straftatbestand analog § 218b StGB zu schaffen.[203] Trotzdem kann die bewusste Missachtung dieser Regeln ein Indiz für das Nichtvorliegen eines gerechtfertigten Behandlungsabbruchs sein, e contrario kann deren Einhaltung zwar in der Regel ein zuverlässiges Indiz, nicht aber ein zwingendes Kriterium für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen darstellen.[204]

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Trotz dieser Kritikpunkte ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Grundsatzurteil des BGH zur Klärung der vorher bestehenden rechtlichen Unsicherheiten insbesondere für Mediziner und Pflegepersonal beiträgt.[205] Es kann nicht angehen, dass aufgrund unklarer rechtlicher Vorgaben lieber der sichere Weg einer Weiterbehandlung statt passiver Sterbehilfe gewählt wird; die Kritik am Urteil des BGH verkennt denn auch, dass in Deutschland die Problematik nicht darin besteht, dass passive Sterbehilfe zu oft, sondern im Gegenteil zu selten geleistet wird.[206] Die Entscheidung des 2. Strafsenats leistet des Weiteren einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Patientenautonomie.[207] Trotzdem bleibt eine gesetzliche Regelung der passiven Sterbehilfe im Zusammenhang mit der Gleichstellung des Abbruchs lebenserhaltender Massnahmen mit deren Unterlassen wünschenswert.[208] Dasselbe gilt für die indirekte Sterbehilfe, in deren Zusammenhang klargestellt werden sollte, dass sie bei tödlich Kranken unabhängig von der zeitlichen Nähe des Todes infrage kommt.[209]

1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben§ 2 Sterbehilfe › D. Suizidbeihilfe

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