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b) Technischer Behandlungsabbruch als Unterlassen

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Die Frage, ob bei aktivem Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung, etwa durch Abschalten des Reanimators, von einem Unterlassen oder einem positiven Tun auszugehen ist, ist umstritten.[148] Nach der h.M. wird der sog. technische Behandlungsabbruch ebenfalls als Unterlassen beurteilt (Unterlassen durch Tun), wobei dies mit der Verwendung eines „normativen Begriffs des Unterlassens“, welcher auf den sozialen Sinngehalt als Unterlassen der Weiterbehandlung abstellt, begründet wird.[149] Diese Auffassung gründet auf der von der ständigen Rechtsprechung angewandten Schwerpunkttheorie.[150] Die Handlung des Abschaltens wird damit in den Kontext des Gesamtgeschehens eingeordnet, womit der Behandlungsabbruch insgesamt als Nichtfortsetzung unerwünschter Rettungsbemühungen betrachtet wird.[151] Im Ergebnis muss – unabhängig von der Einordnung des technischen Behandlungsabbruchs in ein Tun oder Unterlassen – richtigerweise dort, wo ein medikamentös-therapeutischer Behandlungsabbruch zulässig wäre, auch der technische Behandlungsabbruch legitimiert werden.[152] Sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, kann es zudem keinen Unterschied machen, ob der Behandlungsabbruch durch einen Arzt, eine Krankenschwester oder einen sonstigen Dritten herbeigeführt wird.[153] Zumindest hindert auch die Beurteilung der Beendigung einer lebensverlängernden Behandlung durch einen Dritten auf Wunsch des Patienten als aktiven Eingriff in einen rettenden Kausalverlauf und damit als Tun die Straflosigkeit nach herrschender Ansicht nicht, indem die Fortsetzung einer intensivmedizinischen Behandlung gegen den Willen des Kranken eine gegenwärtige Gefahr für dessen Selbstbestimmung darstellt, weshalb eine Rechtfertigung nach § 34 StGB besteht.[154]

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Zu Recht beurteilen Teile des Schrifttums den technischen Behandlungsabbruch durch Abschalten von Geräten als aktives Tun und das „Unterlassen durch Tun“ als dogmatischen Kunstgriff, um die Straflosigkeit auch aktiven Tötungshandelns zu erreichen.[155] Der dogmatische Kunstgriff wird besonders deutlich, wenn man in die Strafprozessordnung blickt. Bei der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen geht es um die Einordnung eines sozialen Sachverhalts (beweisbare Tatsache) und nicht um eine normative Reduktion des Tatbestandes. Gemäß § 244 Abs. 2 StPO gilt der Ermittlungsgrundsatz, nach welchem das wirkliche Geschehen, d.h. die materielle Wahrheit, zu erforschen ist. Die Staatsanwaltschaft wird kaum Beweise dafür vorlegen, dass nichts getan wurde. Der BGH stimmt mit seinem Grundsatzurteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 dieser Sichtweise zu, indem er festhält, dass eine solche normativ wertende Umdeutung aktiven Tuns in ein Unterlassen den auftretenden Problemen nicht gerecht werden könne.[156] Sowohl aktive als auch passive Formen der Beendigung medizinischer Massnahmen fasst er unter dem Begriff des „Behandlungsabbruchs“ zusammen, wobei eine Rechtfertigung durch die Einwilligung des Patienten erfolgt.[157] Diese Lösung ist insofern zutreffend, als die Straflosigkeit des technischen Behandlungsabbruchs auf Erbeten des Kranken nicht von der Einordnung von Zufälligkeiten des Behandlungsablaufs abhängen kann, sondern dass materielle Faktoren wie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten dafür massgebend sein müssen.[158]

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