Читать книгу Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online - Jürg Häusermann - Страница 34

2. Der Vortrag vor Publikum

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Die Trainerin ist als Rednerin zu einer Veranstaltung eingeladen, zu der sich 250 motivierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeschrieben haben, die etwas über ihr Motivationstraining lernen möchten. „Du bist der Schlüssel zu deinem Erfolg “ wird ihre Botschaft sein, und da sie von vielen erfolgreichen Kundinnen und Kunden berichten kann, wird niemand ihre Kompetenz anzweifeln. Aber man spürt auch, dass etwas fehlt. Sie wirkt unpersönlicher, kühler. Ihre Stimme klingt eher eintönig, einige Effekte, die sie sich gut überlegt hat, verpuffen im Saal. Sie bezeichnet das Reden vor Publikum als „Performance“, und das ist auch zu spüren: Sie wirkt, als ob sie unter Erfolgsdruck stünde, als ob es nur um Siegen oder Scheitern ginge.

»Raum: suboptimale Einrichtung: Im Seminarraum ist Platz für 250 Personen. Die Rednerin hat eine sechs Meter breite und drei Meter tiefe Bühne zur Verfügung, die sie mit einem großen Bildschirm teilt. Quer zur Bühne verlaufen die Tische, an denen das Publikum sitzt. Ein großer Teil der Leute sitzt mit dem Rücken zur Bühne, sie müssen sich also umdrehen, um etwas zu sehen.

»Zeit: ohne Beteiligung des Publikums: Die Rednerin spricht zwar nicht besonders schnell, sie macht immer wieder kurze Pausen. Aber diese dienen nicht dazu, das Publikum einzubeziehen. Wenn sie z.B. Fragen stellt, lässt sie diese nicht wirken. So stellt sie in der Einstiegsphase gleich mehrere Fragen:

„Wie sehen Sie sich selbst? Wie sehen Sie Ihr Umfeld? Wie schätzen Sie Ihre Ausgangschancen ein? Welche Bilder steigen in Ihnen auf, wenn Sie an Ihre letzte große Aufgabe denken?“

Niemand kann so viele Fragen verdauen, ohne dafür Zeit zu haben. Zwar sollen sich die Anwesenden nicht sich laut dazu äußern. Aber Fragen bleiben Fragen. Sie lösen eine Antwort aus und benötigen dazu etwas Zeit. Olivia gibt ihnen jeweils nicht einmal eine Sekunde, um die Frage zu verstehen und für sich zu beantworten.

»Zielsetzung: unbeirrtes Festhalten. Mehrere Male wird deutlich, dass die Rednerin ein Programm hat, das sie ohne Rückversicherung beim Publikum durchziehen will. Ein besonders drastisches Beispiel: Kurz vor Schluss will sie ein Buch verschenken und fragt: „Wer von Ihnen hätte gerne dieses Buch?“ – Niemand reagiert. Sie macht eine Pause, muss nochmals fragen. Erst nach qualvollen 15 Sekunden meldet sich jemand und kommt zur Bühne, um es in Empfang zu nehmen. – Sie hat sich während des Vortrags nicht die Zeit genommen, die Reaktionsbereitschaft der Anwesenden zu testen (etwa mit ernst gemeinten Fragen, bei denen erkennbar würde, wie weit das Publikum zu gehen bereit ist). Sie hätte erkannt, ob die Bereitschaft mitzumachen da ist, oder ob sie auf die Geste verzichten sollte.

»Sprachliche Gestaltung: verständlich, aber ohne Verknüpfungen. Der Vortrag ist von seiner Sprache her durchaus verständlich: einfache Sätze, keine unbekannten Ausdrücke. Aber viele Effekte verpuffen. Sie sind nicht eingebettet. Dies hängt mit dem Fehlen moderierender Übergänge zusammen: Einleitungen und Verknüpfungen fehlen; viele Aussagen stehen isoliert da und lassen den Zusammenhang vermissen.

»Sprechweise: monoton. Alle Aussagesätze enden melodisch gleich, Fragesätze sind akustisch fast nicht als solche zu erkennen. Wenn sie sich nicht als plakative Verkünderin, sondern als Gesprächspartnerin sähe (und die Fragen, die sie immer wieder stellt, würden das ermöglichen), ergäbe sich automatisch eine größere melodische Bandbreite.

»Körpersprache: unstet. Der Blickkontakt gelingt; sie sieht ins Publikum, und zwar mal hierhin, mal dorthin. Aber sie steht unsicher da. Sie hat ihr Gewicht mal auf dem linken, mal auf dem rechten Bein. Bei der dauernden Gewichtsverlagerung kommt sie nie recht zur Ruhe. In der rechten Hand hält sie eine Fernbedienung, die linke hebt sie, um eine Aussage zu betonen. Das unterstreicht die Einförmigkeit der Sprechweise.

»Medieneinsatz: zu viel. Die Rednerin muss ihre Aufmerksamkeit mit dem Bildschirm teilen, auf dem zur Illustration Bilder, Grafiken und Texte aufleuchten. Oft bleiben diese stehen, während der Vortrag weitergeht. Manchmal unterstützt die Visualisierung, was sie sagt, oft aber wird sie zu Konkurrenz.

Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online

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