Читать книгу Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online - Jürg Häusermann - Страница 41
Verschwindet jetzt das Lampenfieber?
ОглавлениеDieses Buch zeigt, wie man mit den Bedingungen des Redens fertig wird, obwohl die Aufgabe nicht mehr ein ungezwungenes Gespräch, sondern eine Präsenz- oder Online-Rede ist. Es zeigt, dass dies leichter fällt, wenn man die Aufgabe als Teamwork, als Dialog mit dem Publikum auffasst. Und dies gelingt auch dann, wenn man die Menschen nicht leibhaftig vor sich hat, sondern nur über das Medium anspricht. Denn es ist die dialogische Einstellung, die einen dazu führt, auch über die Kamera und das Mikrofon Kontakt aufzunehmen und Kontakt zu halten.
Dass dies zu ganz anderen Resultaten führt als zu einer brillanten Darbietung in der Art eines amerikanischen Politikers, sollte damit klar sein. Es geht nicht darum, sich selbst in Pose zu setzen. Es geht nicht darum, sich zu „verkaufen“. Es geht darum, dem Publikum zu zeigen, dass man es ernst nimmt, und es dadurch dazu zu motivieren, mitzudenken und mitzugehen. Aber verschwindet dann auch das Lampenfieber?
Lampenfieber und Redeangst bestimmen viele Berichte über das öffentliche Reden. Fast alle berühmten Schauspielerinnen, Musiker, Akrobatinnen, Clowns – die meisten Menschen, die auf irgendeine Weise vor Publikum aufgetreten sind, können vom Lampenfieber erzählen. Das Gleiche gilt für Rednerinnen und Redner in unterschiedlichsten Situationen. Unter dem Titel „Menschen, denen das Reden schwerfiel“ habe ich dazu Geschichten gesammelt, in denen Berühmtheiten wie Thomas Jefferson, Greta Thunberg, Konrad Lorenz vorkommen.40 Sie illustrieren eine alte Erkenntnis: Sogar Menschen, die die Angst zu einem gewissen Grad überwunden haben, beteuern, dass Respekt für die Aufgabe immer dazu gehört und dass es normal ist, wenn sich dies in Nervosität ausdrückt. Sie zeigen aber auch, dass man damit fertig wird, indem man seine Rolle relativiert.
In all den Berichten über Lampenfieber wird wenig beachtet, dass wir in den allermeisten Redesituationen davon frei sind: beim Reden im Gespräch von Gleich zu Gleich. „Im Gespräch mit ihm fühle ich mich wohl“, heißt es oft. Und in den meisten Fällen denkt man nicht einmal darüber nach. Klar, denn im Alltagsgespräch braucht man keine Sorge zu haben, ob das Gesagte „gut“ oder „korrekt“ formuliert ist. Die anderen werden nicht als Publikum verstanden, sondern als Gesprächspartner. Sie helfen bei Bedarf auch aus, vervollständigen einen Satz oder Gedanken und nehmen dadurch der Situation den Druck, den man allenfalls empfinden könnte. Es ist ein dialogisches Sprechen, ein Miteinander.