Читать книгу Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online - Jürg Häusermann - Страница 40

Marie Curie freundet sich mit dem Publikum an

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Marie Curie ist ein solches Beispiel. Noch als weltberühmte Physikerin und Chemikerin empfand sie großes Lampenfieber, auch wenn sie nur vor zwei Dutzend Studenten ihre Vorlesung halten sollte. Sie fühlte sich im privaten Gespräch wohl, wenn sie mit ihrem Gatten und Kollegen Pierre über ihre Themen sprach, die wohl anspruchsvoller waren als die Inhalte ihrer Vorlesung. Aber die Situation hatte sich verändert. Sie saß nicht mehr im Labor, sondern stand im Hörsaal; es war nicht mehr ein Austausch von Ideen, sondern eine Präsentation, die eine Stunde lang nicht unterbrochen wurde.

Eine Veränderung erfuhr sie erst mit 54 Jahren, als sie längst die berühmteste Wissenschaftlerin der Welt war – und noch immer zurückhaltend und unsicher, wenn sie vor anderen Menschen auftreten musste. Zur Schüchternheit kam noch, dass ihr als Frau in einer männerdominierten Wissenschaftswelt viele Kollegen feindlich gesinnt waren. 1921 reiste sie in die USA, um für ihre Forschung zu werben. Man hatte dort für sie Geld gesammelt, um ihre Arbeit zu unterstützen. Ziel war, dass sie Radium erstehen konnte – ein Gramm des Elements, das sie und Pierre Curie 1898 entdeckt hatten.

Marie Curie wurde in den USA stürmisch begrüßt und während der ganzen Zeit von einer Welle der Sympathie getragen. Und als sie von ihrer achtwöchigen Reise zurückkam, hatte sich ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit geändert. Sie nahm von da an mehr öffentliche Aufgaben wahr und bewies – zumindest in der Darstellung der Autorin Shelley Emling – ein weniger problematisches Verhältnis zu öffentlichen Auftritten. Laut Emlings biografischer Erzählung hatte sie in der Zeit erfahren, dass in ihrem Publikum nicht nur Skeptiker und Gegner saßen, sondern Menschen, die bereit waren, ihre Arbeit zu unterstützen.39

Zum einen hat dies einen sehr konkreten Hintergrund: In Europa war sie vielen Anfeindungen ausgesetzt, von denen in den USA weniger zu spüren war. Zum anderen lässt es auch ahnen, dass sich ihre Beziehung zu ihrem Publikum veränderte. Sie konzentrierte sich – so würde ich es interpretieren – weniger auf die mögliche Ablehnung, die ihr widerfahren konnte, und mehr auf das Gemeinsame, die Sympathie, die in jedem Auditorium vorhanden war. Eine Rede entsteht in der Zusammenarbeit von Rednerin und Publikum. Je zuversichtlicher man sich das sagt, desto leichter wird man es haben.

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