Читать книгу Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online - Jürg Häusermann - Страница 35

3. Der Online-Auftritt

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Olivia geht mit ihrer Botschaft auch online. Sie hat ihren eigenen YouTube-Kanal und lädt fast jede Woche ein neues Video hoch. Sie ist sich im Online-Vortrag ihrer Sache zwar ebenso sicher wie im direkten Gespräch. Aber die Ausstrahlung ist weg. Die Lebendigkeit, die im Gespräch noch da war und im Vortrag hin und wieder durchblitzte, ist einer Monotonie gewichen, die das Zuhören mühsam macht.

»Raum: nicht genutzt. Sie hätte volle Freiheit in der Wahl des Ortes ihrer Rede, der Beleuchtung, des Hintergrundes, aber sie wählt die engen Verhältnisse an einem Pult, dicht hinter ihr steht das Bücherregal mit Fachliteratur. Das ergibt ein zweidimensionales Bild ohne Tiefe.

»Zeit: unstrukturiert: Der Vortrag plätschert vor sich hin. Zwar kann man sich im Video die Dauer anzeigen lassen; aber da nicht erkennbar ist, was man zu erwarten hat, kommt keine Spannung auf. Und in diesem Fall wird man von A bis Z von einem gleichmäßigen Redefluss ohne klare Gliederung eingeschläfert.

»Zielsetzung: unklar. Natürlich kann die Rednerin bei der Aufnahme ihr Publikum nicht sehen. Aber es ist immer möglich, es als mitdenkenden Partner anzusprechen. Stattdessen entsteht eine Predigt ohne klaren Anfang und mit guten Ratschlägen, die aber in dem unstrukturierten Wortfluss verschenkt sind.

»Sprachliche Gestaltung: ohne roten Faden. Sie fängt gleich an zu erzählen, allerdings ohne zu verraten, wohin die Reise gehen wird. Und ähnlich wie beim Präsenzvortrag stellt sie unvermittelt Fragen – zu viele Fragen –, auf die es schwierig ist, zu reagieren. Die Sprache ist einfach, aber es fehlen Verknüpfungen: in der Online-Präsentation ist das besonders problematisch, weil niemand da ist, der die Stirne runzelt oder Rückfragen stellt.

»Sprechweise: noch mehr Monotonie. Die Variation im Tempo und Rhythmus, die Pausensetzung, die beim Präsenzvortrag noch für etwas Abwechslung gesorgt haben, sind weiter reduziert. Der Tonfall ist gleichförmig, man bekommt den Eindruck einer unendlichen Folge von Sätzen. Man kann zu einem beliebigen Zeitpunkt aussteigen, ohne fürchten zu müssen, etwas verpasst zu haben.

»Körpersprache: keine Bewegung. Von Olivia ist nur ein Ausschnitt zu sehen: von den Schultern bis zum Haaransatz. Zwar blickt sie zum größten Teil direkt in die Kamera, simuliert also Blickkontakt mit dem User, ist aber so nah, dass sie ihm auf die Pelle rückt und eine vertraute Nähe nicht entstehen kann.

»Medieneinsatz: unkommentiert. Sie verzichtet auf die Unterstützung durch visuelle Hilfsmittel. Aber gegen den Schluss taucht kommentarlos als Insert der Umschlag ihres Lehrbuchs auf. Während sie weiterspricht, hat man zehn Sekunden Zeit, sich den Titel zu merken, dann ist die Werbeeinlage vorbei. Ähnlich wie schon im Präsenzvortrag ist es eher mediale Konkurrenz als mediale Unterstützung.

Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online

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