Читать книгу Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens - Страница 25
Mittwochvormittag,
»Monaco TV«, München
Оглавление»Die ganz links ist Rebekka Waldus mit dem toten Baby. Daneben sitzt Hubert Sauter, dessen Frau sich umgebracht hat. Und zwischen ihm und deinem Vater, das ist Christoph Lachstein, dessen Freundin ermordet wurde.«
Es war 11 Uhr, Robert Adelhofer stand im Studio von »Krise« hinter der Deko und bekam von der Chefin vom Dienst die Gäste vorgestellt.
Die saßen in schwarzen Ledersesseln rund um einen ovalen Glastisch, auf dem Wassergläser standen und eine Vase mit weißen Calla.
Robert überblickte die Szenerie zufrieden und sagte:
»Gute Arbeit, Requisite, Redaktion, Regie. In der kurzen Zeit die Sendung dem Anlass gemäß hinzubekommen – Kompliment. Übrigens haben wir heute hohen Besuch. Darf ich vorstellen, Katharina Langenfels von »Fakten«. Sie wird dabei sein, weil sie eine große Story über mich, äh, über uns schreibt. Drum, höflicher Ton bitte, Ronnie, kein Gebrülle aus der Regie. Nicht durchs Bild laufen mit einer Flasche Wasser, Tanja. Und nicht schlafen an der Kamera, Bernd!« Den Gesichtern der Angesprochenen war deutlich anzusehen, was sie von Adelhofers Einlassungen hielten. Der selbst schien es allerdings nicht zu bemerken. Er nahm Katharina am Arm und führte sie weg von seiner Studiomannschaft.
»Frau Langenfels, es freut mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, bei meiner Sendung zuzusehen.«
»Na, das ist wohl das Mindeste, wenn man über Robert Adelhofer schreibt. Außerdem ist es eine besondere Sendung heute. Ich hoffe, ich bin keine zu große Belastung für Sie. Sie haben ja keine leichte Aufgabe vor sich.« Dezent befreite sie sich aus Roberts Griff, der weiter ihren Arm festhielt.
Robert schien das nicht wahrzunehmen. Er schaute sie ernst an: »In keinem Fall sind Sie eine Belastung für mich. Eher das Gegenteil. Ich freue mich sehr, dass wir uns so schnell wiedersehen. Kommen Sie nach der Aufzeichnung in meine Garderobe. Vielleicht tauchen noch Fragen auf. Die beantworte ich Ihnen gerne.«
»Mal sehen, Herr Adelhofer, danke. Ist sicher für Ihren Vater nicht leicht, heute hierherzukommen, oder?« Einen kurzen Moment glaubte Katharina, ein verunsichertes Flackern in seinen Augen wahrzunehmen.
»Das habe ich natürlich auch gedacht. Ich hätte das niemals von meinem Vater verlangt. Er wollte unbedingt in die Sendung. Ich habe noch versucht, es ihm auszureden, aber keine Chance. Ich glaube, das ist für ihn Teil der Verarbeitung.«
Katharina nickte und nahm sich vor, am Freitag Alfred Birnhuber nach dem alten Adelhofer und dem Verhältnis zu seinen Söhnen zu fragen.
Sie ging in den Zuschauerbereich. Die üblichen weiblichen Adelhofer-Fans waren natürlich reichlich anwesend, die Zahl der Schönheitsoperierten im Raum überstieg deutlich den Gesamtschnitt in der Bevölkerung, davon war Katharina überzeugt. Sie sah viele enorme Körbchengrößen, die in großzügig dekolletierten Oberteilen zur Schau gestellt wurden, viele auffällig geschminkte Gesichter und toupierte Frisuren – irgendwie musste frau es ja schaffen, beautiful Robert aufzufallen. Und es gab biedere Mittfünfziger- und -sechzigerinnen, die wohl eher mitleiden wollten mit den Schicksalen wildfremder Menschen. Bei der einen oder anderen Dame lagen die Taschentücher bereit. Am Rand einer Stuhlreihe sah Katharina ein Transparent mit der Aufschrift »Robert und Max, wir trauern mit euch«. Sie selbst hatte man in der ersten Reihe platziert, wo sie sich hinsetzte und nun das bizarre Publikum im Rücken hatte.
Robert Adelhofer legte eine routinierte Probe hin, erklärte den Gästen, dass er die Fragen an sie erst in der Sendung stellen würde, damit sie nicht zweimal durch diese schwierige Situation durchmüssten. Er ergriff kurz die Hand der Mutter, die ihr Kind verloren hatte, strich dem Witwer über den Arm, vermied aber jegliches Gespräch.
Tränen will er natürlich erst in der Sendung sehen, dachte Katharina.
Max Adelhofer war noch nicht da, zumindest das hatte ihm sein Sohn wohl erspart. Nach einer halben Stunde war die Probe vorbei und das Studio so ausgeleuchtet, dass später jede Gefühlsregung bestmöglich und in Großaufnahme gezeigt werden konnte. Robert Adelhofer verschwand hinter den Kulissen, sein Vater wurde hereingeführt. Er setzte sich mechanisch auf den noch freien Sessel und schaute vor sich hin. Die übrigen Gäste wurden noch mal im Gesicht abgepudert – Max Adelhofer hatte dies offenbar bereits hinter sich –, dann begann die Aufzeichnung. Katharina vermutete, dass die Verantwortlichen sich nicht trauten, »Krise« live zu senden. So konnten zu heftige Passagen rausgeschnitten oder bei zu wenig Tränen ein Gespräch noch mal rührseliger wiederholt werden. Heute würde dies vermutlich nicht nötig sein.
Robert Adelhofer betrat – dem Anlass entsprechend begleitet von getragener Musik – das Studio.
Er trug einen schwarzen Anzug und ging mit ernster Miene auf den freien Sessel neben seinem Vater zu, streichelte ihm kurz über den Arm und setzte sich.
Max Adelhofer saß mit versteinerter Miene neben seinem Sohn. Die drei anderen Gäste wirkten nervös.
»Herzlich willkommen zu ›Krise‹, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Dass dies keine normale Sendung für mich ist, wissen Sie. Der Mann neben mir ist mein Vater und der Vater meines verstorbenen Bruders Lukas. An ihn wollen wir heute voller Trauer erinnern, ebenso wie an die lieben Verstorbenen meiner anderen Gäste. Und wir wollen heute auch an die guten Zeiten denken, an die schönen Dinge, die wir mit unseren Lieben erlebt haben.«
Robert zog einen Zettel aus der Tasche:
»Um meinen Bruder zu ehren, möchte ich Ihnen eine kleine Botschaft vorlesen, die er mir vor meinem Bergwinter zukommen ließ.«
Raunen im Zuschauerraum, selbst die bestinformierten Adelhofer-Fans schienen von der Existenz einer solchen Nachricht nichts zu wissen:
»Robert, ich pass auf dich auf.«
Adelhofers Augen wurden feucht, als er den Zettel wegsteckte.
»Dieser Satz war der Leitsatz meiner Kindheit. Sobald der kleine Bruder in Schwierigkeiten geriet, und das tat er oft, gell Papa«, lächelnder Blick zu Max Adelhofer, der nach wie vor nicht aus seiner Erstarrung erwachte. »Ja, äh, also, wenn ich Probleme hatte, hat mein großer Bruder genau das zu mir gesagt. Und es hat gestimmt. Er hat mich jedes Mal rausgehauen, egal ob es eine sechs in Mathe war und er zu meinem Lehrer gegangen ist oder er die Bäckerin beschwichtigt hat, der ich eine Brezn stibitzt hatte, das war mein großer Bruder Lukas. Ich hoffe, er passt von oben auf mich auf.«
Ein kräftiger Schnäuzer ins Taschentuch und weiter ging es.
Nun erzählten die Gäste rührende Geschichten über die Verstorbenen. Rebekka Waldus konnte nicht mehr aufhören zu weinen, nachdem sie stockend berichtet hatte, dass ihr Baby sie an dem Nachmittag, als es starb, zum ersten Mal angelächelt hatte.
Max Adelhofer zeigte weiterhin keine Regung. Er saß stocksteif da und starrte vor sich hin.
Robert sprach ihn direkt an: »Papa, was möchtest du gern vom Lukas in Erinnerung behalten?«
Der alte Adelhofer hob den Kopf und schaute seinen Sohn an.
Angespannte Stille im Studio. Robert Adelhofer legte seinem Vater die Hand auf den Arm und fragte: »Magst uns was erzählen vom Lukas, Papa?«
Der alte Adelhofer schüttelte nur den Kopf.
Raunen im Zuschauerraum. Robert schien sich zu sammeln.
Die Hand auf dem Arm seines Vaters erklärte er:
»Mein Vater wollte Lukas zuliebe heute hierherkommen, damit die Öffentlichkeit erfährt, was für ein wertvoller Mensch sein Sohn war. Wir alle, und Sie sicher auch, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, haben natürlich Verständnis dafür, dass er das nun doch nicht fertigbringt. Niemand muss reden in meiner Sendung. Es ist völlig in Ordnung, nur dabei zu sein und die Anteilnahme der anderen zu spüren. Die tut allen meinen heutigen Gästen, auch meinem Vater und mir, sehr gut in dieser für uns so schwierigen Zeit.«
Es folgte eine letzte Gesprächsrunde zum Thema Trauerbewältigung, bei der Robert seinen Vater vorsichtshalber gar nicht erst ansprach. Danach Abspann, Ende.
Die Zuschauer applaudierten verhalten, Robert verabschiedete sich. Zumindest ließ er sich heute nicht wie sonst feiern, wenn vor der Show Einheizer mit dem Publikum trainierten, wann und wie lange zu klatschen war. Das hatte Katharina in einer Reportage über »Krise« gelesen.
Robert Adelhofer verließ das Studio mit gesenktem Kopf und hob nur einmal die Hand in Richtung der Zuschauer. Direkt nach ihm stand sein Vater auf und ging mechanisch und ohne aufzublicken.
Nachdem Gäste und Moderator sich zurückgezogen hatten, standen die Zuschauer auf und Katharina hörte beim Hinausgehen Kommentare wie: »Gut gemacht«, »der arme Vater«, »hat er sich wohl überschätzt, wahrscheinlich ist er nur Robert zuliebe gekommen«, »bestimmt ist die ganze Familie kaputt«. Niemand sprach über die anderen Gäste. Viele Zuschauerinnen verließen mit verweinten Augen erschüttert das Studio.
Katharina beschloss nach dieser seltsamen Sendung, Adelhofers Angebot anzunehmen, und machte sich auf den Weg hinter die Kulissen. Diesmal wusste Achim Wedel Bescheid und geleitete sie zuvorkommend zu den Garderoben. Die Tür mit dem Namensschild »Max Adelhofer« stand offen und Katharina sah, dass der Raum leer war. Robert Adelhofer nebenan war allein und begrüßte sie freundlich.
»Ist Ihr Vater gleich abgefahren?«
Adelhofers Miene wurde ernst. »Ja, ich hätte es doch verhindern sollen, dass er kommt. Aber er wollte es unbedingt. Ich dachte, das ist wichtig für ihn, ich gebe ihm die Möglichkeit. Jetzt weiß ich, dass es ein Fehler war, ein großer Fehler.«
Er schaute betrübt vor sich hin. Katharina sagte nichts.
Nach einer Weile räusperte Adelhofer sich. »Noch mal wegen der Fotos aus den Bergen, Frau Langenfels. Es ist mir etwas peinlich, aber ich will ehrlich zu Ihnen sein. Ich habe geflunkert in der Sendung damals. Ich wollte verhindern, dass die Leute alle auf meine Lieblingsberge rennen in der Hoffnung, mich zu treffen. Im Prinzip der gleiche Grund, warum ich nicht genau sage, wo ich war in meinem Bergwinter. Das wissen Sie sicher.« Katharina nickte.
»Ich habe damals völlig unterschätzt, wie bekannt ich schon war. Auf der Kampenwand war ich dann sofort umringt von Fans, die Fotos haben Sie wohl gemeint.« Adelhofer schaute Katharina erwartungsvoll an. Sie reagierte nicht.
Er räusperte sich und fuhr fort. »Na ja, wie auch immer, diese Fotos gibt es jedenfalls und mehr nicht. Hat sich tatsächlich nicht gut angefühlt, in den Bergen zu sein, das wollte ich testen.«
Katharina nickte.
»Gut, danke für Ihre Offenheit. Ich werde das vorerst nicht veröffentlichen, dies nur als Info. Morgen erscheint mein zweiter Artikel über Sie, ich werde mich auf die Beerdigung, unser Gespräch danach, die heutige Sendung und den Auftritt Ihres Vaters konzentrieren.«
»Wunderbar, Frau Langenfels, wunderbar. Und Sie können ruhig schreiben, dass ich einen Riesenfehler gemacht habe, dass ich meinen Vater hätte abhalten sollen zu kommen.«
»Mal sehen. Dazu bräuchte ich ein Statement Ihres Vaters, damit will ich ihn derzeit aber nicht belästigen. Ich denke, ich werde einfach bei dem bleiben, was ich mit eigenen Augen gesehen habe.«
»Wie Sie meinen. Entschuldigen Sie mich bitte, ich würde mich gern abschminken.« Katharina verließ einen leicht unterkühlten Robert Adelhofer.
Währenddessen ging eine der anderen Zuschauerinnen bestens gelaunt zum Parkplatz. Im Auto, das sie abseits gestellt hatte, nahm sie die dunkle Perücke ab. Dunkelbraune Locken, die ihre Frisur plattdrückten. Sie hatte ein echtes Opfer gebracht. In diesem Fall war es ihr das wert. Diese Show wollte sie sich nicht entgehen lassen. Der alte Adelhofer hatte ihr fast ein bisschen leidgetan. Aber nur ein bisschen. Irgendwie waren sie alle selbst schuld. Der trauernde Bruder und der trauernde Vater – das hätten sie sich vielleicht früher überlegen müssen. Ihr Plan schien jedenfalls aufzugehen. Das war das Wichtigste. Jetzt erst mal notdürftig die Frisur richten, in diesem Zustand konnte sie nicht losfahren. Sie nahm Haarspray und einen Kamm aus einer Tasche vom Beifahrersitz und richtete im Rückspiegel die blonde Welle. Normalerweise brauchte sie morgens eine Stunde, bis das Haar perfekt saß – schön nach außen geföhnt und mit Haarspray zum festen Stand gebracht –, hier musste ausnahmsweise die schnelle Variante reichen. Als sie fertig war, folgte der übliche Sicherheitsblick in den Spiegel – für die begrenzten Möglichkeiten hier im Auto nicht schlecht. Ihre Frisur war ihr Kapital, ihr Erfolg bei Männern hatte nicht nur mit ihren inneren Werten zu tun. Lächelnd griff sie in ihre Handtasche. Sie brauchte etwas Süßes, ihre Belohnung, wenn sie besonders stolz auf sich war. Sie biss in ihren Lieblingsschokoriegel, grinste ihr Spiegelbild im Rückspiegel an und dachte an ihr nächstes Opfer. Der wusste noch nichts von seinem Glück. Das würde sich bald ändern. Und seine kleine Ehefrau konnte mit ihren zwei lieben Kinderlein die Sachen packen und Leine ziehen. Sie, Jana, würde ihn glücklich machen.
Summend startete sie ihren kleinen Flitzer. Ein rotes Peugeot Cabrio, ihr Traumauto. Der kleine Deal hatte es möglich gemacht.
Sie trat aufs Gas und düste Richtung Heimat.
Plötzlich im Auto vor ihr: Lukas, er starrte sie im Rückspiegel an. Erschrocken verriss sie das Lenkrad und schlitterte kurz auf die Gegenfahrbahn. Hupen, quietschende Bremsen, erschrockene Gesichter in entgegenkommenden Autos. Sie lenkte schnell – zu schnell – zurück auf ihre Spur und schlingerte auf den Seitenstreifen. Kurz vor den Leitplanken kam sie zum Stehen. Der Fahrer im Wagen vor ihr hatte angehalten. Er schaute kopfschüttelnd zu ihr, als er weiterfuhr. War nicht Lukas, nur auch ein Blonder.
»Janalein, nicht die Nerven verlieren, keep cool, läuft alles nach Plan.« Mit zittrigen Knien startete sie erneut ihren Flitzer und brauste Richtung München.
Noch früh am Tag, stellte Katharina fest, als sie um 14.30 Uhr das Fernsehstudio verließ. Um Birgits kleine Missstimmung endgültig auszuräumen, beschloss sie, mit ihr als Erster die Erlebnisse zu teilen.
Svenja musste sie erst um 17 Uhr abholen, sie hatte ausnahmsweise Zeit.
Als sie an Birgits Bürotür klopfte, kam von drin ein ungewohnt lustloses »herein«. Katharina öffnete und sah ihre Freundin in sich zusammengesunken am Fenster stehen. Das einzig Lebensfrohe war ihre Kleidung: ein pinkfarbenes knallenges Strickkleid mit beeindruckendem Rückendekolleté. Es ermöglichte den Blick auf zwei lila BH-Träger mit Spitzenbesatz. Dazu trug Birgit High Heels in Rot. Katharina würde es eine gewagte Kombi nennen, Birgit pflegte zu sagen: »Heutzutage kann man alles mit allem kombinieren, Katharina, trau dich was. Kreiere deinen eigenen Style.«
»Birgit, was ist los?«
»Ach, ich habe Daten vom Adelhofer in einer Cloud entdeckt. Aber die sind verschlüsselt und ich komme nicht rein. Das nervt mich. Themawechsel. Warum bist du überhaupt hier? Ich dachte, du bist bei Roberts Sendung?«
»Schon vorbei.« Katharina ließ sich in den knallbunten Ohrensessel fallen, mit dem Birgit ihr Büro aus privaten Beständen aufgehübscht hatte.
»Und danach wollte Robert nicht noch einen kleinen Plausch mit seiner Lieblingsjournalistin halten?« Birgit setzte sich Katharina gegenüber auf ihren Bürostuhl, der pinkfarbene Strick rutschte nach oben, sodass eine orangerote Strumpfhose besser zur Geltung kam.
»Doch. Papa Adelhofer hat keinen Ton gesagt in der Sendung, ich glaube nicht, dass Robert das recht war. Jedenfalls wirkten beide sehr eigenartig. Vorher und nachher hat Robert mir versichert, sein Vater sei absolut freiwillig gekommen, wolle damit den Tod von Lukas verarbeiten.«
Katharina schilderte ihrer Freundin Adelhofers Statement zu den Kampenwand-Fotos und ihre Einschätzung dazu. »Vielleicht stimmt das sogar, dass er seine Bekanntheit unterschätzt hat. Ich glaube aber eher, er ist so scharf auf Publicity, dass er bewusst auf die Kampenwand gerannt ist, um erkannt zu werden. Und an seine erste Sendung und die Story vom Bergtrauma hat er nicht mehr gedacht.«
Birgit seufzte: »Weißt du, ein bisschen schade finde ich es schon, dass langsam mein schönes Bild vom Gutmensch Robert Adelhofer in die Binsen geht.«
»Tja, in diesem Fall kann ich nicht mal sagen, dass es mir leidtut. Vielleicht gibt’s noch was, was dein Adelhofer-Bild endgültig zum Einsturz bringt: Oliver hat mich gestern gefragt, ob es eigentlich Beweise gibt, dass Robert diesen Bergwinter wirklich so durchgestanden hat, wie er behauptet. Klar, er hat das tausendmal erzählt und erklärt. Das kann man sich theoretisch aber auch alles anlesen. Drum folgende Idee: Du recherchierst, ob das so gewesen sein kann, wie Robert Adelhofer es schildert, sprichst mit Experten, findest raus, was man wissen und können muss, um einen Winter in den Bergen zu überleben. Wir schauen …«
Birgits Gesicht leuchtete: »Geil! RG musst aber du überzeugen.«
»Mache ich gerne. Kann nur sein, dass ich zu unkonventionellen Mitteln greifen muss. Okay?«
Katharina kannte die Antwort bereits. »Du weißt, ›unkonventionelle Mittel‹ ist mein zweiter Vorname. Mach und ich bin dabei!«
»Super, Birgit, nur noch zwei Kleinigkeiten.«
Birgit stöhnte: »Ich spare mir die Recherche verschlüsselter Daten – vorerst. Ich muss dir sowieso erst noch die Ergebnisse meiner sonstigen Recherchen schicken. Und ja, ich ziehe mich anständig an, wenn ich mit seriösen Menschen spreche.«
Katharina grinste.
»Frau Langenfels, ich habe Ihnen zugesagt, dass Frau Wachtelmaier für die Recherchen in der Adelhofer-Sache frei ist von anderen Verpflichtungen. Aber Außentermine? Quasi als verdeckte Ermittlerin? Das geht zu weit. Darf man fragen, was Frau Wachtelmaier tun soll?«
Katharinas Chef klopfte mit den Fingern genervt auf seinen Schreibtisch.
»Herr Riesche-Geppenhorst, ich möchte prüfen, ob die Angaben zu Adelhofers Bergwinter wirklich alle wasserdicht sind. Dafür müssten wir mit verschiedenen Experten sprechen. Da ich zu bekannt bin, würde es schnell die Runde machen, wenn ich anfange, mich in diesem Bereich umzuhören. Frau Wachtelmaier kennt niemand, sie wäre mit anderer Identität unterwegs. Sie ist die Einzige, die in der Redaktion Bescheid weiß und die das sehr gut recherchieren könnte.«
Riesche-Geppenhorst hob die Arme und verschränkte sie hinter dem Kopf – ein Zeichen, dass er nachdachte.
»Frau Wachtelmaier ist Archivarin und keine Kriminalkommissarin. Daher sage ich: Nein. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass Adelhofer lügt? Der halbe bayerische Landtag hat ihm damals gratuliert, die sind doch nicht alle auf der Brennsuppn dahergeschwommen.«
Katharinas Chef nahm die Arme wieder herunter und klopfte auf den Schreibtisch. Diesmal mit dem Kugelschreiber.
»Herr Riesche-Geppenhorst, Sie haben natürlich recht. Allerdings hat beispielsweise auch die rechte AP Adelhofer gratuliert. Für mich nicht unbedingt eine verlässliche Quelle. Ich würde der Sache gern nachgehen. Aber Frau Wachtelmaier und ich können verstehen, dass Sie sie nicht einfach für diese Außenrecherche freistellen können.«
Riesche-Geppenhorst hob überrascht die Augenbrauen.
Katharina nahm ein Blatt Papier aus ihren Unterlagen.
»Daher haben wir bereits einen Plan B überlegt.«
Sie schob ihrem Chef den Urlaubsantrag von Birgit über den Schreibtisch. Der las und schaute Katharina amüsiert an. »Na, wenn Frau Wachtelmaier für solche Recherchen Urlaub nehmen will, von mir aus. Das wäre geklärt.«
Um Katharina zu bedeuten, dass er ihren Besuch als beendet betrachtete, begann er, sich seinem Computer zuzuwenden.
»Gut. Danke, dass Sie den Urlaub so kurzfristig genehmigen.«
Riesche-Geppenhorst grinste geschmeichelt.
Katharina stand auf. An der Tür drehte sie sich noch mal um:
»Nur eins noch. Wenn Frau Wachtelmaier während ihres Urlaubs an wichtige Informationen im Fall Adelhofer kommt, ist sie natürlich nicht verpflichtet, sie ›Fakten‹ zur Verfügung zu stellen. Das wissen Sie ja. Vielleicht verkauft sie ihre Recherchen exklusiv an uns. Das hängt dann eben vom Preis ab.«
Wie zu erwarten, blickte sie in das entgeisterte Gesicht ihres Chefs.
»Wie, ich verkaufe die Nachricht exklusiv an euch? Ich kriege noch Kohle für den Spaß?« Begeistert starrte Birgit Katharina an, die kleinen Plastik-Auberginen, die sie heute als Ohrschmuck gewählt hatte, baumelten hin und her.
»Vorschlag: Du arbeitest heute noch normal und ab morgen von zu Hause, so lange wie nötig. Jetzt müssen wir uns nur noch deine Legende überlegen.«
»Meine was?« Die Auberginen vibrierten.
»Na, deine neue Identität, Legende heißt das in Geheimdienstkreisen.«
Birgits Augen leuchteten. »Habe ich mir schon überlegt. Ich heiße Andrea Moosbacher, Mutter des 16-jährigen Kevin Moosbacher. Der will Robert nacheifern und einen Bergwinter überleben und ich als besorgte Mutter frage naiv bei den Fachleuten nach, ob das funktionieren kann. Dass es Kevin nicht gibt, weiß niemand, weil die Mama das natürlich heimlich recherchiert. Kevin würde sie ja umbringen, wenn er das wüsste.«
Katharina grinste: »Klingt gut. Eine besorgte Mutter, da kommt niemand auf komische Gedanken und Roberts Geschichte ist gleich mit im Spiel.«
Dann setzte sie hinzu:
»Und wie gesagt, Frau Moosbacher, Sie sind ein Mauerblümchen! Keine Auberginenohrringe, kein Dekolleté, keine High Heels, sondern Gesundheitssandalen, graue Polyesterhosen, braune Twin Sets – wir verstehen uns?«
Birgit grinste: »Wir verstehen uns, kein Problem. Muss ich wohl modisch zurück in die Zeit mit Arnulf. Finanzbeamtengattin, du verstehst?« Birgit lachte hämisch. »Den ganzen Biederkram habe ich in zwei Koffern auf dem Speicher, ist immerhin noch mal für was gut. Ab morgen von neun bis fünf graue Maus.«
Birgit kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus.
Katharina war froh, dass ihre Freundin die notwendige modische Verwandlung mit Humor nahm. »Ach, und eins noch: Ich glaube nicht, dass du Urlaub nehmen musst.«
Birgit zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Ich bin sicher, dass Riesche-Geppenhorst bereits mehrmals bei mir angerufen hat. Um mir zu sagen, dass es verboten ist, dass Mitarbeiterinnen von ›Fakten‹ in ihrem Urlaub frei arbeiten und er deswegen aus reiner Großzügigkeit erlaubt, dass du den Job während deiner Arbeitszeit machst.«
»Das können wir uns von hier auch anhören.«
Birgit drückte einige Tasten an ihrem Computer, schaltete den Lautsprecher ein und Katharina hörte ihre eigene Stimme auf der Mailbox ihres Bürotelefons. Danach die wenig überraschende Nachricht von Riesche-Geppenhorst, fast wörtlich, wie Katharina es vorhergesehen hatte. Sie versuchte zu verdrängen, was Birgit sich in der Vergangenheit alles hätte anhören können, nachdem sie sich mit solcher Leichtigkeit in ihr Telefon einklinkte.
Birgit war schon einen Schritt weiter und nahm ein Handy aus ihrer Schreibtischschublade. »Bevor ich ab morgen ins seriöse Fach wechsle, will ich dir noch kurz meine sonstigen Rechercheergebnisse vorspielen.« Birgit grinste ihre Freundin an, Katharina konnte Birgits Freude nicht völlig unbeschwert erwidern.
»Was hast du gemacht?«
»Ich habe mich in Roberts Handy umgeschaut.« Katharinas entsetzten Blick konterte sie souverän: »Robert hat bei der Beerdigung sein Handy im Auto liegenlassen, ohne Sperre drin, und das Auto war offen. Ich habe ihm schnell eine Mail mit einem Link geschickt, bin hin, habe die Mail geöffnet und zack, kann die liebe Birgit dem süßen Robert ein bisschen über die Schulter schauen. Selbst schuld, wenn er so schlecht auf seinen Kram aufpasst.«
»Ich möchte dich nie zur Feindin haben, Birgit.« Mehr fiel Katharina nicht ein. Robert Adelhofer war im Fadenkreuz von Birgit Wachtelmaiers digitaler Welt aufgetaucht und daraus würde sie ihn nicht entlassen, bevor sie auch sein letztes Geheimnis entdeckt hatte.
Wie zum Beweis verkündete ihre Freundin:
»Drei gewählte Nummern, ein angenommener Anruf.« Ein paar Tasten später: »Angerufen hat ihn der Wedel und er selbst hat telefoniert mit seinen Eltern, und schau dir das an.« Birgit winkte Katharina zu sich: »Kennst du die Nummer?« Es war Katharinas Handynummer.
»Mich hat er angerufen? Habe ich noch gar nicht gecheckt«, sagte Katharina überrascht.
»Kannst du auch nicht, beautiful Robert lässt seine Rufnummer unterdrücken. Machen viele Prominente, das allein ist noch nichts Besonderes. Spannender wäre natürlich zu wissen, was er von dir wollte. Und er hat den Birnhuber Alfred angerufen. Mit dem hat er gesprochen.«
»Woher weißt du, dass diese Handynummer von Birnhuber ist?«
»Ich habe natürlich die Nummern aus dem gesamten Umfeld Adelhofers recherchiert und in mein Wundermaschinchen eingegeben, damit wir schneller vorankommen.«
Schon ertönte Adelhofers Stimme: »Servus Alfred, ich bin’s, der Robert. Wie geht’s?«
»Robert, dass du dich noch anrufen traust!«, empörte sich eine tiefe, rauchige Stimme. Im Hintergrund hörte man Gesprächsfetzen, untermalt von Gläsergeklirr. Kneipenatmosphäre.
»Wie meinst des, Alfred?«
»Robert, des weißt du genau, du Mörder. Ruf mich nie mehr an, des sag ich dir. Nie mehr, verstehst, wir sind fertig mitanand.«
42 Sekunden Gesprächsdauer zeigte das Display an.
»Birgit, als seriöse Journalistin muss ich dich für deine gesetzlosen Recherchemethoden tadeln. Ansonsten: danke. Da weiß ich deutlich mehr, bevor ich den Birnhuber übermorgen treffe.«
Birgit blickte kurz von ihrem Schreibtisch auf, zwinkerte und sagte: »Gut, Frau Langenfels, ich suche Ihnen bis heute Abend alle Artikel aus der Chiemseezeitung raus für den Besuch bei Birnhuber übermorgen. Gehen in Kopie an Riesche-Geppenhorst, Arbeitsnachweis, Sie verstehen.«
Katharina warf ihrer Freundin eine Kusshand zu und ging.
In der Zeit, bis sie Svenja abholte, entstand der zweite Artikel der Adelhofer-Reihe. Sie blieb bei den Fakten, ließ aber für die Freunde des Klatschs ihren engen Kontakt zu Adelhofer durchblicken.