Читать книгу Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens - Страница 38
Mittwochmorgen,
München Haidhausen
ОглавлениеAngespornt von Frau Bachmanns Lob vom Vortag, stand Katharina am nächsten Morgen trotz Brummschädel pünktlich um 6.15 Uhr auf, weckte Svenja, machte ihr ein gesundes Frühstück – »bitte mit bissl ungesund drin, Mama« – mit diesen Worten kippte Svenja irgendwelche pappsüßen Flakes über ihr zuckerloses Müsli mit frischen Früchten und schaufelte die Mischung in sich hinein.
Oliver war inzwischen ebenfalls wach, hatte sich zwei Aspirin aufgelöst und erst die und anschließend einen doppelten Espresso zu sich genommen – Katharina staunte erneut, dass weder die Nebenwirkungen von Aspirin noch der Koffeinschock Oliver irgendwie zu stören schienen. Er warf sich in seine Klamotten vom Vortag und teilte Katharina mit, dass er Svenja in die Schule bringen würde, damit sie in Ruhe telefonieren könne. »Ui, Olli fährt mich in die Schule«, jauchzte Svenja und ging, um sich in Rekordgeschwindigkeit anzuziehen.
Katharina durfte ohne Diskussion ihre Wuschelhaare zu zwei Zöpfen flechten und ihr ein gesundes Pausenbrot mitgeben. »Mit Auberginencreme drauf, echt jetzt, Mama? Na gut.«
»Schau, ich nehme auch das gesunde Pausenbrot mit, das ist lecker«, sagte Oliver und steckte sich das Brot in seine Aktentasche.
»Cool! Wir machen eine Zeit aus und essen es gleichzeitig«, schlug Svenja begeistert vor.
»Einverstanden, Svenjalein.« Oliver schob sie zur Tür, machte ein Victoryzeichen Richtung Katharina und war verschwunden. Ob das Zeichen dem unkomplizierten Morgen galt oder als Daumendrücken für Katharinas Anruf bei Tobias gemeint war, wusste sie nicht – spielte aber auch keine Rolle. Oliver war einfach ein Schatz und seit Neuestem ein weitestgehend neurosefreier.
Als die beiden gegangen waren, setzte sich Katharina mit ihrem Roibuschtee auf die Eckbank in ihrer Küche und sprach sich Mut zu. Dann zog sie sich an – neue Jeans mit Knopfleiste, Shirt eines spanischen Designers in Magenta, ihrer Lieblingsfarbe, und einen schicken Blazer in Dunkelblau. Sie musste sich schön fühlen, um ruhig zu bleiben vor und während des Telefonats.
Danach rief sie in der Redaktion an und gab Bescheid, dass sie einen Auswärtstermin habe und erst gegen zehn im Büro sein würde. Nach nochmaligem Rückzug auf die Eckbank und einer zweiten Tasse Roibuschtee war es 8.45 Uhr, eine Zeit, zu der sie Tobias anrufen konnte und er vermutlich noch zu Hause war.
Sie wählte die Festnetznummer, Handy erschien ihr zu dringlich und daher unpassend.
Nach zweimaligem Klingeln hörte sie: »Hallo, liebe Svenja, bist du nicht in der Schule? Bist du krank?«
»Hallo, Tobias, hier ist Katharina … Doch, Svenja ist in der Schule, deswegen rufe ich jetzt an, weil ich etwas Berufliches mit dir besprechen wollte.« Innerlich gab Katharina einen Stoßseufzer von sich. Der Anfang war geschafft.
»Äh, okay, worum geht es?«, kam es überrascht von ihrem Ex.
»Ich recherchiere zurzeit für eine Serie bei ›Fakten‹ über Robert Adelhofer, den Bergwintertyp, du hast bestimmt von ihm gehört.«
»Hm, der mit der ätzenden Sendung«, ergänzte Tobias.
»Genau der. Sein Bruder hat sich vor Kurzem umgebracht und seine Mutter hat mich gebeten herauszufinden, warum er das getan hat. Ich war bei ihr am Chiemsee und habe dort auch einen Freund von Lukas getroffen, der mir von einer Freundin erzählt hat, die Lukas vor einigen Jahren wohl hatte.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Tobias, bitte hör mir noch kurz in Ruhe zu. Das Foto, das du neulich auf meinem Laptop gesehen hast, das war nicht drauf, weil ich dir hinterherspioniere, sondern weil unsere Archivarin für mich im Internet recherchiert hat, was es an Fotos von Robert Adelhofer gibt. Und es ist reiner Zufall, dass du die Frau kennst, mit der Lukas Adelhofer zu sehen ist.«
Tobias schwieg, was Katharina für ein gutes Zeichen hielt. Er schien ihr zu glauben.
»Der Hammer ist, dass diese Frau genau die sein könnte, die damals mit Lukas zusammen war. Dafür gibt es einige Hinweise. Drum wollte ich dich fragen, ob du mir sagen könntest, wer diese Frau ist. Ich versichere dir, dass es mir nur um meine Recherche geht. Dass die unser Trennungsgrund war, ist mir nach all der Zeit wirklich egal.« Katharina schwieg und merkte, dass das tatsächlich stimmte, was sie eben gesagt hatte. Es war Tobias gewesen, der sie hintergangen hatte, nicht diese Frau.
»Und du versprichst mir, dass du die ganze andere Geschichte raushalten wirst? Ich habe keine Lust, dass Jana mich deswegen noch mal kontaktiert. Ich will mit ihr nichts mehr zu tun haben. Jetzt weißt du es ja schon, sie heißt Jana, Jana Waldemat, und kommt genau wie ich aus Wolfersdorf. Sie ist als kleines Mädchen mit ihrer Mutter aus Hoyerswerda dahingezogen. Ich kannte sie jedenfalls schon ewig. Wir haben uns damals auf einer Party in München wiedergetroffen und dann … na ja, das ist ja nicht das Thema«, unterbrach sich Tobias selbst.
Wolfersdorf. Den kleinen Ort bei Freising hatte Katharina manchmal mit Tobias besucht, als sie noch zusammen waren. Es waren schöne Wochenenden gewesen bei seinen Eltern. Inzwischen fuhr Svenja hin und wieder dorthin zu ihren Großeltern. Vielleicht war ihr die Dame schon über den Weg gelaufen.
»Alles klar, Katharina, sonst noch was?«
Katharina versuchte, die düsteren Gedanken wegzuschieben. »Weißt du, was sie aktuell macht? Und wo sie lebt?«
Schweigen in der Leitung. Katharina legte nach: »Tobias, ehrlich, ich habe dich sieben Jahre nicht nach dieser Frau gefragt, warum sollte ich es jetzt tun? Es geht nur um diese Geschichte. Sie weiß vielleicht Dinge, die dabei helfen können herauszufinden, warum Lukas Adelhofer sich umgebracht hat. Ich hab Lukas’ Mutter versprochen, das zu klären. Bitte hilf mir.«
»Klar, du machst es aus reiner Menschenfreundlichkeit, die Mutter Katharina der Entrechteten. Dass du damit noch berühmter wirst und nebenbei noch der Ex deines Ex an den Karren fahren kannst, spielt natürlich überhaupt keine Rolle.«
Katharina holte tief Luft. Sie kannte das Spiel nur zu gut. Tobias, der eifersüchtig auf ihren Job war und auf ihren Erfolg. Und dies nie zugegeben hatte und nie zugeben würde. Stattdessen hatte er sich damals irgendeine Tussi aufgerissen. Wahrscheinlich hatte sie ihn bedingungslos angehimmelt.
Falsches Thema, das musste ihr egal sein, sie wollte nur die Informationen aus ihm herausbekommen.
»Tobias, ja, ich habe den Auftrag, einen Artikel beziehungsweise mehrere zu schreiben. Damit verdiene ich mein Geld. Es kann gut sein, dass ich nicht selbst mit dieser Frau sprechen werde, sondern dass Birgit das macht. Du siehst, es geht mir wirklich nur um die Recherche, nicht darum, uralte Geschichten aufzuwärmen. Da du den Kontakt gekappt hast, weißt du wahrscheinlich sowieso nichts über sie. Okay, danke, Tobias, trotzdem.«
»Sie lebt meines Wissens in München. Was sie macht, keine Ahnung. Männer sammeln vielleicht. Das ist glaube ich ihre Lieblingsbeschäftigung. Als ich damals Schluss gemacht habe, ist sie komplett ausgerastet, hat mich mit SMS bombardiert, mir in einem Moment mit Selbstmord gedroht und im nächsten geschworen, sie habe noch nie jemanden so geliebt wie mich. Es dauerte eine Woche, bis sie geschnallt hatte, dass es mir ernst ist. Danach hat sie sich nie mehr bei mir gemeldet. Ich weiß, dass sie zwei Wochen drauf den Nächsten an der Angel hatte. Übrigens immer Männer in Beziehungen. Scheint ihr irgendwie Spaß zu machen, Dinge zu zerstören.« Verächtliches Lachen kam aus dem Hörer.
»Danke, Tobias, das ist wirklich nett von dir, dass du mir das erzählt hast. Und ich verspreche dir, dass du keinen Schaden dadurch haben wirst. Zeugenschutz, du verstehst.«
»Ach, weißt du, Katharina«, sie meinte, an seiner Stimme zu hören, dass er schmunzelte, »diese Frau ist unerträglich. Wenn sie irgendwie eins ausgewischt bekommt, hätte ich eigentlich nichts dagegen.«
Katharina schwieg einen Moment, schließlich traute sie sich zu fragen: »Tobias, warum?«
»Warum ich das damals getan habe? Gute Frage. Es war der größte Fehler meines Lebens. Ich will nicht ihr allein die Schuld geben, ich war ja nicht abgeneigt. Sie hat es mir allerdings echt leicht gemacht. Am Anfang hat sie sich öfter gemeldet nach dem Motto ›alte Freunde‹, hat sich interessiert nach dir erkundigt und wie es mit der Schwangerschaft läuft und ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.« Tobias unterbrach sich: »Katharina, willst du das wirklich wissen?«
Katharina spürte, wie ihr Herz raste, und gleichzeitig war ihr klar, dass sie es wissen musste, um endlich mit diesem Kapitel abschließen zu können. »Ja, ich bin froh, dass du es mir erzählst.«
»Sag einfach, wenn es dir zu viel wird. Na ja, ich habe gemerkt, dass ich mich in sie verliebt habe. Es war damals echt schwierig für mich mit deiner Schwangerschaft, ich ohne richtigen Job und mit schlechtem Gewissen. Mit Jana gab es plötzlich Leichtigkeit. Wir haben auf einer Fete rumgeknutscht und sie hat mir gesagt, dass sie sich auch in mich verliebt hat. Ich habe sie gebremst, habe ihr gesagt, dass das nicht geht, dass ich Vater werde. Sie hat das verstanden, habe ich damals zumindest gedacht. Nur lockergelassen hat sie nicht, hat mir ständig SMS geschrieben, kleine Aufmerksamkeiten in die Arbeit geschickt und wir haben uns wiedergetroffen. Irgendwann wollte sie mit mir schlafen. Das habe ich abgelehnt, ich habe gesagt, ich will das nicht und ich will meine Familie nicht verlieren. Sie wurde plötzlich aggressiv und drohte mir, dir alles zu erzählen. ›Wenn du nicht mit mir schläfst, wirst du deine Familie in jedem Fall verlieren. Wenn du es tust, gibt es eine gute Chance, dass du sie behältst und mich gratis noch dazubekommst.‹ Das hat sie wörtlich gesagt, ich werde es nie vergessen.«
Katharina schluckte und konnte die Tränen kaum noch unterdrücken. Am anderen Ende hörte sie ein kurzes Schniefen.
»Tobias, wir müssen nicht …«
»Ich bin fast fertig, jetzt erzähle ich es zu Ende, zum allerersten Mal übrigens. Ich habe mich so geschämt, dass ich nie mit jemandem darüber gesprochen habe.
Ich habe an diesem Tag mit ihr geschlafen. Wie das ging, frage ich mich bis heute. Aber es ging. Und es ging auch die nächsten Male. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Dann hast du es sowieso rausgefunden und ich habe danach direkt mit Jana Schluss gemacht. Ich war nur noch mit ihr zusammen, damit sie dir nichts sagt. Am Ende des Tages hatte ich eine schwangere Freundin und eine Geliebte weniger. Was Jana betrifft, war es die beste Entscheidung meines Lebens.«
»Was mich betrifft, anscheinend nicht«, dachte Katharina und freute sich ein kleines bisschen.
Beide schwiegen lange, ohne aufzulegen. Irgendwann berappelte sich Katharina und sagte:
»Danke, Tobias. Möchtest du wissen, was wir über Jana herausfinden?«
»Ja, würde mich interessieren. Meld dich.«
Katharina legte nachdenklich den Hörer auf und fühlte sich erleichtert.
Sie beschloss, noch kurz zu Hause zu bleiben und sich den Ordner »Lukas privat« vorzuknöpfen, den sie vom Adelhofer-Hof mitgebracht hatte.
Als Erstes ging sie in die Küche, machte sich eine dritte Tasse Roibusch mit echter Vanille und nahm den leckeren Duft aus der Tasse wahr. Vor dem Telefonat war ihr der nicht aufgefallen. Der Ordner erschien zunächst wenig spannend. Er enthielt die üblichen Einlegeblätter wie »Bank« und »Versicherung«. Interessanter fand sie den Bereich »Freunde«: Das war offenbar das Telefonverzeichnis von Lukas’ Bekanntenkreis. Viele Namen waren durchgestrichen, offenbar gab es nur noch wenige Menschen, die es nach Lukas’ Meinung wert waren, hier aufzutauchen. Am Ende des Ordners kam das Kapitel »Fotos«: zwei Seiten mit alten Kinderfotos der Adelhofer-Brüder und sechs Seiten mit Fotos unterschiedlicher Frauen, mit Lukas und ohne. Alle schienen Exfreundinnen zu sein – sie lächelten glücklich den Fotografen an oder waren in trauter Zweisamkeit mit Lukas zu sehen.
Von Jana Waldemat gab es in dem ganzen Ordner keine Spur.
Er hatte sie offenbar komplett aus seinem Leben gelöscht.