Читать книгу Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens - Страница 27

Freitagmorgen, München Haidhausen

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Punkt 10 Uhr klingelte Katharina bei ihrer Mutter. Neben ihr stand Svenja, ihren Elyas-M’Barek-Rucksack auf dem Rücken, die Elyas-M’Barek-Kappe auf dem Kopf und ein strahlendes Lächeln im Gesicht.

Die Tür ging auf und sofort sprang Svenja ihrer Oma an den Hals.

»Svenjalein, wie schön, dass du da bist. Und was für eine tolle Kappe du aufhast. Mensch, die hätte ich auch gern.«

Über Svenjas Kopf hinweg grinste Susanne Hartschmidt ihre Tochter an. »Katharinchen, magst du noch auf einen Kaffee reinkommen?« Mit Svenja auf dem Arm kam ihre Mutter auf Katharina zu und drückte ihr liebevoll einen Kuss auf die Wange.

»Nein, Mama, das ist lieb, aber ich muss los. Um 17 Uhr bin ich zurück.« Svenja zappelte auf Omis Arm, Susanne Hartschmidt konnte nur noch über die Schulter rufen: »18 Uhr kommt meine Qi-Gong-Gruppe, bis dahin habe ich alle Zeit der Welt für meine Enkeltochter. Du musst jetzt selbst stehen, Svenjalein, so leicht bist du nicht mehr.« Nach einem schmatzenden Kuss auf die Wange stellte sie Svenja auf den Boden. Katharina drückte ihre Tochter zum Abschied und fuhr los. Breitbrunn am Chiemsee, 124 Kilometer laut Navi.

Gedanklich war Katharina noch bei ihrer Mutter. Was für ein Glück sie mit ihr hatte. Sie führte ein erfülltes, für Katharinas Geschmack etwas zu esoterisches Leben und war vollkommen mit sich zufrieden. Kamen Katharina oder ihre Enkelin, war sie zu hundert Prozent Mama oder Oma. Fantastisch! Und keine Selbstverständlichkeit, wie Katharina von diversen Freundinnen mit mehr als schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen wusste.

Habe ich ihr das eigentlich jemals gesagt, fragte sie sich schuldbewusst – wahrscheinlich hat sie es bei einer ihrer Liebesmeditationen gespürt, beruhigte sie sich gleich selbst.

Eineinhalb Stunden später stand Katharina in Breitbrunn vor einer großen alten Kastanie – diesen kurzen Abstecher musste sie sich heute gönnen. Die Kastanie war »ihr« Baum, auf den sie sich früher oft zurückgezogen hatte, wenn Familie Langenfels sich ein Wochenende auf dem Stangerlhof gönnte.

Es gibt ihn noch, dachte sie und sah, wie leicht der Baum für sie als Erwachsene zu erklettern war. Die drei großen Stämme boten jeweils in der richtigen Höhe Einbuchtungen, die man als Stufen benutzen konnte.

30 Sekunden später war sie oben. Als Kind war die Besteigung ein kleines Abenteuer gewesen.

Von oben sah sie den vertrauten Ausblick auf den Chiemsee auf der linken Seite und die Straße Richtung Gstadt auf der rechten. Kam damals ein Auto vorbei, hatte Katharina Kennzeichen, Wagentyp und Auffälligkeiten der Insassen in ein imaginäres Walkie-Talkie geflüstert – dass sie später nicht Polizistin werden würde, hätte sie damals nie geglaubt.

Unzählige Seiten Tagebücher hatte sie hier oben vollgeschrieben – mit Liebeskummer, Ärger über Lehrer, Ungerechtigkeiten der Eltern. Einen ganzen Karfreitagnachmittag hatte sie beleidigt hier verbracht – und sich gefreut, als ihre Eltern unten nach ihr suchten und nicht auf die Idee kamen, nach oben zu schauen.

Den Grund wusste sie nicht mehr, nur wie ihre Mutter liebevoll die Arme ausgebreitet hatte, als sie wiederaufgetaucht war.

Während sie vom Baum stieg, überlegte Katharina, dass es vielleicht kein Zufall war, dass sie 20 Jahre später hierherkam, um zu recherchieren, wenn auch nicht als Polizistin. Immerhin war ein Toter im Spiel.

Oh, Frau Langenfels, ganz die spirituelle Mama, dachte Katharina lächelnd, stieg ins Auto und fuhr zum Seewirt nach Gstadt.

Fünf Minuten später stellte sie ihr Auto auf dem Parkplatz am See ab. Vor ihr lag Frauenchiemsee, rechts gab es noch den Wanderweg nach Breitbrunn. Eine Stunde Marsch hatte sie als Kind oft auf sich genommen, um von hier mit dem Dampfer auf die Fraueninsel rüberzufahren. Die Lebkuchen im Klosterladen der Benediktinerinnenabtei waren es ihr wert.

Frag dich nie mehr, woher Svenja ihre Vorliebe für Süßigkeiten hat, dachte sie.

Heute musste der Inselausflug ausfallen. Stattdessen stieg Katharina die Treppen zum Seewirt hoch.

Drin roch es ungewohnt. Schweinsbraten, Rotkraut, heißes Fett, das war normal. Was fehlte, war der Zigarettenrauch, der gehörte für sie zu dieser Wirtschaft wie das Kloster zur Fraueninsel. Ein deutliches Zeichen, wie die Zeiten sich geändert hatten. Die Männer saßen an der Theke vor ihrem Weißbier – ohne Kippe in der Hand.

Drei Tische waren besetzt. An einem hockte eine Touristenfamilie, deutlich zu erkennen am »Oberbayern«-Reiseführer auf dem Tisch und der Tatsache, dass sich die Eltern abmühten, mit Messer und Gabel die Haut von ihren Weißwürsten zu kriegen. Das Fleisch aus der Wurstpelle herauszuzuzeln, Katharinas Lieblingstechnik, war bei Touristen unbekannt.

Am zweiten Tisch saßen zwei junge Frauen vor ihrer Cola und warteten offenbar auf den Dampfer nach Prien – sie planten bereits, in welcher Reihenfolge welche Läden abgeklappert werden mussten.

Am dritten Tisch erkannte sie einen einzelnen Mann – vor sich Schweinsbraten mit Knödeln, Krautsalat in einer Schale daneben, und gerade bekam er das nächste Weißbier gebracht. »Alfred, dass der Schweinsbraten besser schwimmt, gell. Lass dir’s schmecken.«

Als die Bedienung sich umdrehte, sah sie Katharina, kam auf sie zu und fragte: »Grüß Gott, wolln Sie was essen? Tisch könnens sich aussuchen, ist nicht viel los heut’.« Mit einer ausladenden Geste, bei der sich der beeindruckende Busen im Dirndl hob und senkte, zeigte die bayerische Vorzeigekellnerin auf die freien Tische.

»Vielen Dank, ich möchte eigentlich zu Herrn Birnhuber.« Überrascht zog die Kellnerin die Augenbrauen hoch, schaute zu Alfred hinüber und rief durch das ganze Lokal: »Alfred, Besuch für dich, eine Frau …« Fragend musterte sie Katharina. Die beschloss, die neugierige Dirndlträgerin einfach zu ignorieren, und ging auf Birnhuber zu:

»Grüß Gott, ich bin Katharina Langenfels aus München. Man hat mir gesagt, dass Sie freitags um diese Zeit hier sind. Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?«

Alfred Birnhuber, der die ganze Zeit seinen Kopf nicht vom Schweinsbratenteller abgewendet hatte, schaute nun auf und sagte:

»Für schöne Fraun hab ich immer Zeit, setzn sich her.« Er klopfte auf den Holzstuhl neben sich und rief zu der Bedienung rüber: »Mari, bringst noch an Schweinsbraten und a Bier für die Schönheit aus München.«

»Wasser bitte, kein Bier«, rief Katharina hinterher und beschloss, die übergriffige Schweinsbratenbestellung zu ignorieren.

»Sie wolln von mir wissn, was mit dem Lukas los war«, konstatierte Birnhuber.

»Wenn Sie mit mir darüber reden wollen, gerne.«

Birnhuber nickte, häufte sich geschickt eine große Ladung Braten, um den herum er Knödel und Krautsalat drapierte, auf die Gabel und schob sich das Ganze in den Mund.

Während er kaute und nichts sagen konnte, kam das bedienende Dirndl-Dekolleté mit Katharinas Essen an den Tisch: »Ihr Schweinderl, gell. Kennen Sie sich? Alfred, des hast mir ja gar nicht gsagt, dass du eine Freundin in München hast.«

»Ge Mari, schleich di, des geht dich nix an.«

Beleidigt wogte der Busen mitsamt seiner Trägerin davon.

»Frau Obermann hat mir erzählt, dass Sie die Polizei verständigt haben an dem Tag, als Lukas Adelhofer gefunden wurde. Weil Sie wohl einen Verdacht hatten. Mich würde interessieren, warum Sie den hatten.«

Alfred Birnhuber kaute konzentriert weiter. Katharina begann zu essen und musterte dabei den Mann aus dem Augenwinkel. Er hatte gut geschnittenes, dunkelbraunes Haar, trug ein gebügeltes hellbraunes Polohemd, gepflegte Jeans und braune Halbschuhe. Sie schätzte ihn auf Mitte 40. Nachdem er sich mit der Serviette den Mund abgewischt hatte, legte er los:

»Wissens, ich bin an dem Tag nach München gfahrn auf die Pressekonferenz, weil mich der Lukas eingladen ghabt hat. Sie hab ich übrigens auch gsehn, wie Sie den Robert angschaut ham, als er Sie nach Ihrem Zusammenstoß mit der Blondine entdeckt hat. Liebe auf den ersten Blick ist anders.« Birnhuber grinste.

Schlaues Bürschchen, dachte Katharina und wischte mit dem letzten Stück Kartoffelknödel den Saucenrest vom Teller.

Laut sagte sie: »Herr Adelhofer hatte Sie auf diese Pressekonferenz eingeladen. Wann war das?«

»Zehn Tage vorher. Am Freitag simma hier gsessn, wie Sie und ich jetzt. Beim Schweinsbraten hat er zu mir gsagt, dass er mich als Unterstützung braucht. Wieso Unterstützung, hab ich ihn gfragt. Weil es sein könnt’, dass er danach jemanden braucht, der noch mit ihm redet, hat er gsagt. Ich hab gfragt, wieso, aber er hat mir keine Antwort gebn. Nur gschaut hat er, wie er noch nie gschaut hat, traurig, wütend, entschlossen, alles in einem.«

»Was, glauben Sie, hatte das zu bedeuten?«

»Der Lukas hat eine Bombe platzen lassen wollen. Den Robert bloßstellen, vor der ganzen Presse, vor allen.«

»Was für eine Bombe? Was gab’s Schlimmes, was er hätte erzählen können?«

»Viel. Der Robert hat den Lukas total kaltgestellt, als er aus seinem Bergwinter zurück war – hat sich selber in den Vordergrund drängt und den Bruder links liegen lassn. Dass er den Wedel als Manager gholt hat, des hat dem Lukas den Rest gebn. Weil er alles geregelt ghabt hat während dem Robert seinem Bergwinter und auch danach. Und dann hat der Robert ihm gsagt, ›dass man in der modernen Medienwelt einen Fachmann braucht‹. Da hat’s angfangen mit dem Lukas seinem Absturz.«

»Das wollte er in dieser Pressekonferenz erzählen?«

»Könnt’ ich mir vorstellen. Am Lack vom tadellosen Helden bissl kratzn, verstehns?«

»Warum hat er sich dann an dem Tag umgebracht, an dem er dazu die Chance gehabt hätte?«

»Des frag ich mich die ganze Zeit. Ich glaub, dass der so Angst vor dem Robert ghabt hat, dass er sich des doch nicht traut hat. Weil er genau gwusst hat, dass der Robert zusammen mit seinem grausligen Wedel ihm des Leben noch mehr zur Hölle machen würde, wenn er was gsagt hätt’. Der Robert hätt’ des bestimmt so hingedreht, dass alle ihm geglaubt hätten und ned dem versoffenen Bruder.«

»Und weil er nicht auf der Pressekonferenz war, haben Sie vermutet, dass er sich umgebracht hat, und zwar in der Adelhofer-Scheune?«

Birnhuber trank einen großen Schluck Weißbier und seufzte: »Mei, nicht direkt. Wenn er gar nimma konnt hat, isser halt meistens in die Scheune. ›Robertfreier Raum‹ hat er die gnannt. Und wie er nicht in München war und nicht an sein Handy gegangen is’, hab ich mir halt dacht, dass er in der Scheune is’. Befürchtet hab ich, dass was passiert is’, vielleicht auch vermutet.« Nachdenklich starrte Birnhuber auf die weiß-blau rautierte Tischdecke.

Das Dirndl-Dekolleté hatte einen Vorwand gefunden, an den Tisch zu kommen.

»Darf’s noch a Kaffeetscherl sein und an Apfelstrudl dazu?«

Katharina und Birnhuber bestellten beide einen Espresso.

»Freust dich, Alfred, dass du a nette Gesellschaft hast am Freitag? Wissns«, sagte Dirndl-Mari und schaute verschwörerisch zu Katharina, »seitdem, dass der Lukas tot ist, sitzt er halt allein da, der arme Alfred. Tröstens ihn halt a bissl.«

Lukas bedeutete Mari mit einer unmissverständlichen Geste, dass sie verschwinden solle, und sie wogte erneut beleidigt davon.

»Weiß Robert Adelhofer eigentlich, wie Sie über ihn denken, Herr Birnhuber?«

Augenblicklich erwachte der Bayer aus seiner Melancholie.

»Des könnens glauben, logisch! Gestern hat er mich angrufn und wollt mit mir reden. Ich hab ihm gsagt, dass er mich in Ruh lassn soll und dass er ein Mörder is’, und hab aufglegt.«

»Wieso haben Sie zu ihm gesagt, dass er ein Mörder ist?«

»Weil er den Lukas auf dem Gewissen hat. Auch wenn er ihn nicht umbracht hat.«

»Was glauben Sie, warum Robert Sie angerufen hat? Was wollte er von Ihnen?«

»Der wollt’ genau des wissen, was ich ihm gsagt hab. Wie ich zu ihm steh. Da hab ich jetzt einen richtigen Feind oder sogar zwei. Den Wedel und den Robert. Aber des halt ich aus, des Bürscherl, des verlogene, der soll mir bloß deppert kommen, wird schon sehn, was er davon hat.«

»Herr Birnhuber, was für ein Verhältnis hat Max Adelhofer zu seinen Söhnen?«

»Oh mei, der Max und seine Bubn. Wissns, ich glaub, dass er den Robert lieber gmocht hat als den Lukas. Weil er dacht hat, dass der Robert ein Macher is’, einer, der’s im Griff hat. Der Lukas is’ nie richtig zum Zug kommen. Der war zwar gradraus und ehrlich, aber immer im Schatten vom Robert. Des hat der Max ned gsehn, dass der Lukas sich untergeordnet hat. Und wie er abgstürzt is’, des war erst recht ned leicht für den Max. Weil psychische Probleme, des gibt’s im Max seiner Welt ned. Reden ist auch nicht sei Sach. Dann hat er den Lukas machen lassn und hat nix dazu gsagt. Ich glaub, dass ihm des jetzt leidtut. Des weiß er wahrscheinlich selber noch gar ned. Und der Robert hat halt a Geld auf den Adelhofer-Hof bracht mit den depperten Führungen und dem ganzen Schmarrn. Gfalln hat dem Max des ned, aber der Robert war halt sein Robert und des Geld brauchens, der Max und die Rosa. Landwirtschaft hams keine mehr und Fremdenzimmer vermietens auch nimmer – des war der Rosa irgendwann zu viel. Und da is’ die ›Geldquelle Robert‹ halt praktisch.«

»Ist Max Adelhofer deswegen in Roberts Sendung aufgetreten?«

Birnhuber schaute Katharina an: »Logisch. Der Max is’ garantiert ned freiwillig dahin. Niemals. Des war ein Deal zwischen dem Robert und dem Max. Da is’ bestimmt Geld gflossn. Oder auch nicht, wo er ja keinen Ton gsagt hat.« Birnhuber starrte vor sich hin. »Des wird der Max niemals zugeben, weil er genau weiß, dass dann der Geldhahn zugedreht wird.«

Eine Weile lang schwiegen beide und rührten in ihren Tassen, bis Katharina ihre letzte Frage stellte: »Warum haben Sie der Polizei nicht erzählt, dass Lukas Sie auf die Pressekonferenz eingeladen hat?«

»Hab ich. Nur, was er mir dazu gsagt hat, warum er mich eingladen hat, des hab ich nicht erzählt. Dass ich auf der Pressekonferenz war, hat die Frau Kommissarin ned so interessant gfunden. Also, Frau Langenfels, Sie haben echte Exklusivinformationen.«

Birnhuber lächelte melancholisch. »Vielleicht könnens damit dem Robert endgültig die Suppe versalzen.« Er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand: »Wenns noch was brauchen, müssens nicht herfahren, rufens mich einfach an. Dem Robert das Handwerk zu legen, bin ich jederzeit dabei.«

Nach dem Gespräch mit Birnhuber hatte Katharina noch reichlich Zeit, bis sie Svenja abholen musste, und beschloss spontan, auf dem Friedhof vorbeizufahren.

Ein paar Minuten später parkte sie neben einem Lieferwagen mit der Aufschrift »Floristik Angerer – Ihre Nummer eins für Chiemseeblumen«.

Tatsächlich war die Nummer eins gerade dabei, ein Blumenarrangement an Adelhofers Grab abzustellen.

Als Katharina näher kam, entdeckte sie Rosa Adelhofer. Sie stand wie bei der Beerdigung in Schwarz gekleidet neben dem Grab und weinte ohne Unterlass. Ihr rot kariertes Stofftaschentuch hob sich als fröhlicher Farbklecks von ihrer Trauerkleidung ab. Es war völlig durchnässt. Katharina trat auf sie zu und reichte ihr schweigend ein Papiertaschentuch. Rosa Adelhofer schaute kurz auf, nahm es und schnäuzte kräftig hinein.

»Frau Adelhofer, wollens nicht wiederkommen, wenn wir fertig sind? Sie müssen sich das doch nicht antun.« Der junge Mann in Arbeitshosen und sandiger Jacke, offensichtlich ein Angestellter von Floristik Angerer, war mit der Situation leicht überfordert. Mit einem zweiten Kollegen versuchte er, das Gesteck zu platzieren und dabei die vielen verwelkten Trauerkränze, die nach wie vor auf dem Grab lagen, unbeschadet zu lassen.

»Frau Adelhofer, der Mann hat vielleicht recht. Soll ich Sie heimbringen und Sie kommen heute Abend wieder? Dann schaut das hier bestimmt schön aus.« Rosa Adelhofer blickte auf das Grab, schnäuzte sich noch mal, nickte und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Katharina ging schweigend neben ihr her und merkte, wie Rosa sich langsam beruhigte.

»Ich schreibe eine Serie über den Robert, ich glaube, die Frau Obermann von der Polizei hat Ihnen von mir erzählt. Mögen Sie vielleicht ein bisschen mit mir über Ihre beiden Söhne sprechen? Ich hätte noch etwas Zeit, bis ich zurück muss nach München, um meine Tochter bei meiner Mutter abzuholen.«

Rosa Adelhofer nickte und sagte: »Die Frau Kommissarin hat gsagt, dass Sie a Gute san. A Tochter hams, schön, ich hätt gern noch a Tochter ghabt zu den beiden Buben. Aber der Max hat net wolln.« Gedankenverloren ging die alte Frau weiter, schaute dann Katharina an und fügte hinzu: »Eigentlich mag ich mit der Zeitung und dem Fernsehen nix zu tun ham, aber ich glaub des, dass Sie anders san. Hoffentlich täusch ich mich ned.«

Katharina drückte kurz Rosa Adelhofers Arm: »Ich verspreche Ihnen, nichts zu schreiben, womit Sie nicht einverstanden sind. Ist das in Ordnung?«

Rosa Adelhofer nickte. »Ich kann Ihnen bloß nix anbieten außer Kaffee und Wasser.«

Am Adelhofer-Hof angekommen nahm die Bäuerin Katharina die Jacke ab und hängte sie zusammen mit ihrem Lodenmantel an zwei Garderobenhaken.

»Ist Ihr Mann nicht zu Hause?«, fragte Katharina mit einem Blick auf die leere Garderobe.

»Ich weiß ned. Mir sehn uns fast nimma, zum Frühstück kommt er manchmal in d Küch’, was er sonst den ganzen Tag macht, weiß ich ned.«

»Er leidet wahrscheinlich wie Sie unter dem Tod Ihres Sohnes. Männer können das oft nicht gut ausdrücken«, versuchte Katharina irgendetwas Tröstliches zu sagen und kam sich im gleichen Moment ziemlich blöd vor mit ihrer Stammtischpsychologie.

Frau Adelhofer ging vor ihr in die Küche und deutete auf die Eckbank. Katharina setzte sich und schaute zu, wie die alte Frau den Kaffee zubereitete.

»Sie haben vom ganzen Haus einen wunderbaren Blick auf den See.« Katharina konnte bis zum Beginn von Herrenchiemsee schauen. Roberts Mutter nickte gedankenverloren. Sie schien nur noch aus Selbstbeherrschung zu bestehen, wie sie den gewohnten Alltagshandgriffen nachging. Plötzlich nahm sie den vorherigen Gesprächsfaden wieder auf:

»Mit dem Reden hat’s der Max noch nie ghabt, da hams scho’ recht. Aber seitdem dass der Bub nimmer is’, hab ich meinen Mann nimma. Vorher hat er zwar ned viel geredet, aber ich hab gwusst, dass er da is’.« Rosa Adelhofer stellte zwei große geblümte Kaffeetassen auf die Wachstuchtischdecke und setzte sich Katharina gegenüber.

»Und jetzt hab ich ihn nimmer, wie wenn er auch tot wär’.«

Die alte Frau starrte in ihre Tasse. Getrunken hatte sie bislang keinen Schluck.

»Hat Ihr Mann ein enges Verhältnis zu Lukas gehabt?«

Rosa Adelhofer sah weiter auf ihren kalt werdenden Kaffee: »Mei, wissns, vom Lukas hama gar nix mehr gwusst. Es ist ihm halt ned gut gegangen, und er war neidisch auf den Robert und hat dacht, dass wir den Robert lieber ham als ihn. Er hat nix mehr mit uns zu tun ham wolln. Mit mir auch ned. Aber ich bin doch seine Mama.« Verstohlen wischte sich Rosa Adelhofer Tränen aus dem Gesicht.

Katharina legte ihre Hand auf die faltige, raue Hand der Bäuerin.

»Entschuldigen Sie bitte meine Fragen, Frau Adelhofer. Das war dumm und unsensibel von mir.«

Rosa schaute auf. In ihrem Blick lag etwas Liebevolles: »Is’ scho’ gut, Madl. Ich bin froh, dass ich mit jemand reden kann, is’ doch sonst keiner mehr da. Wissns, was des Schlimmste war? Ich hab dem Lukas jeden Tag was zu essen vorbeibracht, weil ich gwusst hab, dass es ihm ned gut geht. Seine Leibspeisen hab i gmacht – Rahmschwammerl mit Semmelknödel, Backhendl, Dampfnudeln oder an Obazdn. Er hat mir die Tür aufgmacht, hat’s Essen gnommen und hat die Tür zugmacht. Aber beim letztn Mal …«, Rosa Adelhofer konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Katharina reichte ihr ein Taschentuch und streichelte hilflos ihre Hand.

»Beim letztn Mal hat er mir die Tür nicht aufgmacht. Geredet hat er eh nie was mit mir, aber an dem Tag hat er mich mit den Töpfen vor der Tür grad stehnlassn. Sei eigene Mutter.« Wieder liefen die Tränen. »Dabei hab ich gehört, dass er da war. Rumbrülln hab ich ihn hörn, ich weiß ned, mit wem ers ghabt hat. Er hat ja fast mit jedem irgendwann an Streit ghabt, der Lukas. Dann bin ich halt gegangen. Des gute Essn hab ich weggschmissn, des war wie vergift. Und am nächsten Tag war er tot.«

Mit rotunterlaufenen Augen starrte Rosa Adelhofer Katharina an. »Können Sie des verstehn? Was hab ich falsch gmacht, dass sich mein Bub umbringa tut?«

Die Bäuerin weinte und weinte, der Berg Taschentücher auf dem schweren Holztisch kam Katharina unpassend vor. So sollte das nicht sein in einer gemütlichen Bauernküche im Chiemgau, auf einer hundert Jahre alten Holzbank, an einem Tisch, an dem unzählige Hochzeiten und Taufen geplant worden waren, an dem gelacht und gegessen wurde. Es durfte Probleme geben, aber doch nicht solche. Keine Selbstmorde, keine Söhne, die der Mama solchen Kummer machten, dass sie von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Frau Adelhofer?«

Die alte Frau schnäuzte sich heftig. Danach wirkte sie gefasster. Entschlossenheit lag in ihrem Blick:

»Sagens mir, was passiert ist. Sagens mir, wieso sich der Lukas umbracht hat.«

In den eineinhalb Stunden Fahrt vom Chiemsee nach München philosophierte Katharina über Mütter. Die, die sie gerade näher kennengelernt hatte, ihre eigene, sich selbst. Rosa Adelhofer, die sich für ihre Kinder aufgeopfert hatte – dass es Söhne waren, tat bestimmt sein Übriges. Die stolze bayerische Mama dachte mit Sicherheit nicht an sich selbst, sondern nur an ihre Buben und den Mann. Ihre eigene Mutter war viel selbstständiger gewesen, hatte, auch als sie noch verheiratet war, ihr eigenes Leben gehabt, ihre Freundinnen, ihre leicht esoterischen Interessen, erinnerte sich Katharina schmunzelnd. Aber sie war früher wie heute eine liebevolle, verständnisvolle Mama. Wenn es eng wurde in Katharinas Leben, war ihre Mutter der Fels in der Brandung. Nie würde sie den Nachmittag vor fast acht Jahren vergessen, als sie weinend in der Küche gesessen hatte, schwanger und betrogen von Tobias, Svenjas Vater. Susanne Hartschmidt hatte gefühlt stundenlang Katharinas Kopf gestreichelt, Taschentücher gereicht, zugehört und nicht viel gesagt außer »das versteh ich«, »du Arme«, »komm her, meine Süße.«

Als Katharina gegen Abend gefragt hatte: »Mama, was mach ich denn jetzt?«, hatte ihre großartige Mutter geantwortet:

»Katharinchen, ein Kind ist das Tollste, was es im Leben gibt – egal, von wem es ist. Das schaffst du, ich weiß das. Mich gibt es ja auch noch und Oliver genauso … Es ist aber auch völlig in Ordnung, wenn du es nicht willst. Es ist ja noch früh. Du bist jung, kannst später noch Kinder kriegen. Jetzt gibt’s erst mal Hähnchen mit Pommes, dann schläfst du hier und danach schauen wir weiter. Was meinst du?«

Katharinas vegetarisch lebende Mutter hatte das Lieblingsessen ihrer Tochter zubereitet und offenbar nach dem verzweifelten Anruf sofort eingekauft. Das hatte die nächste Heulattacke ausgelöst, diesmal vor Rührung über diese bedingungslose Liebe. Katharina hatte tatsächlich bei ihrer Mutter übernachtet und sich am nächsten Morgen ein kleines Stückchen besser gefühlt. Im Laufe der nächsten Tage war bei ihr die Überzeugung gewachsen, dass sie das Kind haben wollte.

Was Svenja wohl später über ihre Mutter sagen würde? Sie war noch klein und Mama die Beste auf der Welt. Aber was wäre mit 20: »Du hattest nie Zeit, deine Scheißrecherchen waren wichtiger als ich, seit Jahren gehe ich zur Psychotherapie – wegen dir.« Katharina kannte diese Gedankenschleife, sie holte sie regelmäßig ein. Wie immer in diesen Situationen sagte sie sich, dass sie zwar nicht so viel Zeit hatte wie andere Mütter, aber genauso verständnis- und liebevoll war wie ihre eigene. Das erschien ihr besser, als eine unzufriedene Hausfrau zu sein, die wie eine Klette an ihren Kleinen klebte. Jedenfalls schaffte sie es, wie versprochen um kurz vor 17 Uhr bei ihrer Mutter in Obermenzing zu klingeln. Als die Tür aufging, blickte sie in zwei strahlende Gesichter. »Mama, komm, ich zeig dir, was ich gebaut habe.« Svenja zog Katharina in den Garten des kleinen Reihenhauses. Susanne Hartschmidt hatte gerade noch Zeit, ihrer Tochter eine Kusshand zuzuwerfen. Im Garten hatte Katharinas Mutter extra für Svenja einen Sandkasten eingerichtet. Und darin befand sich eine kleine Flusslandschaft. Von hübschen Steinen eingerahmt hatte Svenja einen Flusslauf gebaut, der in ein größeres Becken mündete. Das Wasser kam aus einem Gartenschlauch und lief an der höchsten Stelle in die Konstruktion hinein. Dass es in dem Becken einfach versickerte, war der ansonsten sehr ökologisch eingestellten Oma Hartschmidt offenbar egal. Noch mehr wunderte sich Katharina über den Einsatz der Steine: »Sind das deine Heilsteine, Mama?«

»Ach, Kind, Svenja hat so lieb gefragt, ich konnte nicht Nein sagen.« Susannes Augen strahlten. Die Heilsteine waren eigentlich verbotenes Terrain, eine falsche Berührung könnte die Heilkraft auslöschen, hatte ihre Mutter stets erklärt. Offenbar galt das nicht für Kinderhände und Gartenschlauchwasser. Katharina liebte ihre Mutter auch für ihre Inkonsequenz. Sie legte den Arm um sie. Gemeinsam beobachteten sie, wie Svenja das Wasser stärker aufdrehte. Ein paar Heilsteine hielten dem Druck nicht stand und die ganze Konstruktion begann, sich in eine wässrige Sandpampe ohne Regulierung zu verwandeln.

»Svenjalein, super. Jetzt dreh das Wasser aus, wir fahren langsam. Oma hat gleich ihren Kurs.«

»Okay, Mama, was essen wir heute Abend? Bei der Oma gab’s Fischstäbchen mit Pommes und Erbsen zu Mittag.« Auch für ihre Enkelin ignorierte Susanne ihre eigenen kulinarischen Vorlieben und kochte das, was Svenja sich bei einem Telefonat am Abend vor dem Omabesuch wünschte. Die merkwürdige Mischung aus Fischstäbchen und Erbsen war eine von Svenjas Leibspeisen.

»Mmh, wie wäre es mit Fleischpflanzl, Kartoffelbrei und Rotkraut?«

Svenja jauchzte begeistert: »Au ja, den Kartoffelbrei machen wir selber, ich zermatsch die Kartoffeln.« Katharina und Susanne grinsten sich an. Svenja war seit jeher eine Feindin von Fertigessen. Als Baby hatte sie Gläschen meist ausgespuckt, selbst gekochten Karotten- oder sonstigen Brei aber in großen Mengen in sich hineingeschaufelt.

»Wie war es am Chiemsee?«, fragte Susanne ihre Tochter, mit der sie weiter Arm in Arm dastand.

»Interessant, Mama, sehr interessant. Würde zu lang dauern, das zu erzählen. Es wird eine spannende Geschichte, die ich schreiben darf. Weißt du, was das Beste an dem Tag heute war?« Susanne schaute ihre Tochter interessiert an.

»Dass ich mal wieder gemerkt habe, was für eine großartige Mutter ich habe.«

»Und ich eine tolle Oma.« Svenja kam mit einer Tüte voller Heilsteine aus ihrem Schlammparadies. Ihre Beine und Arme starrten noch vor nassem Sand, Omas Steine hatte sie alle säuberlich abgespült und eingesammelt.

»Hier, damit deine Kranken alle gesund werden.« Stolz überreichte sie Susanne den Beutel, die ihn gerührt entgegennahm.

»Kinder, das ist mir zu viel Harmonie. Svenja, wasch dich, damit Mamas Auto nicht voller Sand wird, und ab mit euch.«

Nicht ganz so harmonisch verlief die Heimfahrt, Diskussionsthema: Schauen wir heute Abend das Finale von »Germany’s Next Top Model« an? Für Svenja klare Sache, Katharina versuchte noch, andere Köder auszuwerfen wie »DVD-Abend Pippi Langstrumpf« oder »Harry Potter«. Keine Chance.

»Alle in meiner Klasse dürfen, ich will das auch sehen. Und Mama«, Svenja schaute ernst zu Katharina rüber, die kurz den Blick von der Straße wendete und in die mitfühlenden Augen ihrer Tochter blickte. »Du musst dir echt keine Sorgen machen, dass ich Model werden will. Das ist mir viel zu langweilig. Und ich könnte nicht mehr so viel Kartoffelbrei essen, wie ich will.«

Katharina grinste ob der Weitsicht ihrer siebenjährigen Tochter. »Svenjalein, na gut, wir schauen das Finale an. Das heißt aber nicht, dass wir bei der nächsten Staffel bei jeder Folge dabei sind. Abgemacht?«

Svenja seufzte und nuschelte: »Okay.«

Nach einem kurzen Abstecher zum Supermarkt fand sich Katharina in der Küche wieder und formte Fleischpflanzl, während die Kartoffeln vor sich hin kochten und auf ihre Verwandlung in Brei warteten.

»Jippieee, der Papa kommt«, hörte sie plötzlich ihre Tochter. Katharina fuhr es in den Magen. Sie schaltete sofort auf »er ist der Vater deiner Tochter«, und fragte freundlich:

»Ist Tobias auf dem Anrufbeantworter? Wie schön!« Es war schließlich gut, dass er sich um Svenja kümmerte. Nur sie selbst hätte gern so wenig wie möglich mit ihm zu tun.

»Was will er mit dir machen?«

»Er holt mich morgen ab, wir gehen in den Tierpark, danach Burger essen und dann bringt er mich heim.«

»Aha, das heißt, er kommt mittags?«

»Das sollen wir mit ihm ausmachen, ich soll ihn anrufen.« Svenja strahlte und Katharina gelang es, sich mit ihr zu freuen. Auf keinen Fall beabsichtigte sie, ihr das Treffen mit ihrem Papa zu vermiesen. Sie hatte zwar Pläne für das Wochenende gehabt, aber immerhin wollte sich Tobias mit ihr abstimmen.

Dass ihre Beziehung wegen irgendeiner Tussi auseinandergegangen war, tat immer noch weh. Sie lebte mit Svenja ein glückliches Leben, aber die Erinnerung an damals kehrte regelmäßig zurück – meistens, wenn Tobias sich meldete. Seine jämmerliche Vorführung damals, als sie ihn gefragt hatte, für wen das schick verpackte Parfum in seinem Rucksack war. Sie hatte es gefunden, als sie das Fernsehprogramm herausholen wollte.

»Es ist nicht, wie du denkst«, war noch einer der harmloseren Sprüche gewesen. Dass er sich von der Schwangerschaft überfordert fühle – nachdem sie beide sich seit zwei Jahren ein Kind gewünscht hatten –, war schon härter. Dann kam noch: »Du hast doch nie Zeit für mich gehabt, ich finde, dass du auf 50 Prozent hättest reduzieren können. Mein Geld hätte für uns beide gereicht. Du hast mich quasi in die Arme einer anderen getrieben.« Da war es vorbei. Sie hatte ihn angeschrien, er solle gehen und nie wiederkommen. Als er sie überrascht angeschaut hatte und sitzen geblieben war, hatte sie ihm ein paar Sachen in eine Reisetasche gepackt und selbige mitsamt ihm vor die Tür gesetzt. Am nächsten Tag hatte sie das Schloss ihrer Wohnungstür ausgetauscht und vor Svenjas Geburt mit Tobias nur noch einmal gesprochen: als er kam, um seine restlichen Sachen abzuholen. Er hatte einen Versuch zur Versöhnung unternommen, wohl vor allem deshalb, weil seine neue Flamme ihn bereits verlassen hatte. Katharina hatte sich sein Gejammer äußerlich ungerührt angehört und ihn gebeten, zu packen und zu gehen. Anschließend hatte sie zwei Stunden lang Rotz und Wasser geheult. Getröstet hatte sie ein Telefonat mit ihrer Mutter, die ihr erklärte, was für eine starke Frau sie sei und wie großartig sie es finde, dass sie Tobias gegenüber hart geblieben war.

Als Svenja schließlich auf der Welt war, schickte Katharina Tobias eine Karte. Ein paar Tage nach der Geburt kam er mit einer Rassel und einem Blumenstrauß, hielt Svenja ein paar Minuten auf dem Arm, versprach, sich regelmäßig zu melden und natürlich seinen finanziellen Anteil zu leisten, und ging. Als sie ihm sachlich mitteilte, dass sie das alleinige Sorgerecht für Svenja beantragen würde, stimmte er etwas hilflos zu. Ob ihm das irgendwann leidgetan hatte, wusste Katharina nicht. Sie sprachen so gut wie nie miteinander, alle Entscheidungen, was Svenja betraf, traf sie allein. Rat holte sich Katharina bei ihrer Mutter, Birgit oder Oliver. Tobias zahlte aber genug für Svenja, meldete sich regelmäßig und machte seine Sache als Papa gut. Seine Eltern waren ebenso wie ihre Mutter liebevolle Großeltern. Anni und Bernhard Fissler trafen Svenja oft. Katharina hielt sich im Hintergrund, immerhin waren sie trotz allem die Eltern des Mannes, der sie so verletzt hatte. Dass sie Svenja ins Herz geschlossen hatten und sich um sie kümmerten, das rechnete sie ihnen dennoch hoch an.

»Mama?«

»Äh, Svenja, Entschuldigung, was hast du gesagt?«

»Ich will die Kartoffeln zermatschen, nach dem Essen telefonieren wir mit Papa und dann kommt Heidi Klum.«

»Ich sehe, du hast alles im Griff.«

Katharina schüttete die gekochten Kartoffeln in eine Schüssel und gab Svenja den Stampfer. Die stieg routiniert auf ihren Hocker und verarbeitete die Kartoffeln zu Brei.

Eine Stunde später – Svenja hatte drei Fleischpflanzl mit reichlich Kartoffelbrei und Rotkraut verdrückt – war die Küche gemacht, Chips und Limo standen vor dem Fernseher bereit und in einer halben Stunde würde Heidi Klum anfangen, über das Leben, die Figur und das Wesen junger Mädchen zu richten. Vorher gab es noch den Programmpunkt »Papa«. Katharina wählte Tobias’ Nummer und gab das Telefon direkt an Svenja weiter.

»Nein, hier ist nicht Katharina, ich bin’s, Svenja.« Die Kleine strahlte und hörte aufmerksam zu, was ihr Vater ihr zu sagen hatte. »Echt? Für Margarine? Iiih, Margarine mag ich nicht. Mama hat gesagt, du sollst um zwei kommen. Super, ich freu mich, in Hellabrunn gibt’s neue Elefantenbabys. Schauen wir die an? Und danach will ich einen doppelten Cheeseburger. Okay, klar, das verstehe ich. Bis morgen, Papa.«

»Klappt«, informierte Svenja ihre Mutter. »Er denkt sich gerade eine Werbung für Margarine aus, iiih.«

»Das muss es auch geben, Svenjalein«, sagte Katharina und erinnerte sich, wie sie früher abends im Bett gemeinsam mit Tobias Werbespots überlegt hatte – für Schokoladencreme, Glasreiniger, Handcreme – was gerade anfiel. Bei dem Auftrag für Kondomwerbung hatte sie ihn damals davon überzeugt, der richtige Spruch würde ihm gleich einfallen, sie müssten das Produkt nur testen. Falsche Gedanken, Katharinchen, sagte sie zu sich selbst und setzte sich mit einem Glas Rotwein zu Svenja aufs Sofa.

Tatort Oberbayern

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