Читать книгу Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens - Страница 37
Dienstag Spätnachmittag,
München Haidhausen
Оглавление»Mama, ich habe Oliver angerufen, wir machen Burger, er kommt um sieben.« Svenja hing an Katharinas Hals, die es geschafft hatte, ihre Tochter pünktlich aus dem Hort abzuholen.
»Okay, Schätzchen, machen wir. Darf ich fragen, wie du Oliver angerufen hast?« Sie hatte sich bislang standhaft geweigert, ihrer Tochter ein Smartphone zu kaufen. Mit sieben war sie dafür noch zu jung, fand Katharina. Und helikoptermäßig permanent bei ihrer Tochter anrufen können, das wollte sie nicht.
»Frau Bachmann hat mich telefonieren lassen, ich habe gesagt, dass du bestimmt einverstanden bist.« Svenja strahlte ihre Mutter an und Katharina beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
»Na gut, Svenjamaus, ich sag nur noch schnell danke bei Frau Bachmann und dann gehen wir Hackfleisch kaufen.«
Svenja nahm die Hand ihrer Mutter und hörte interessiert zu, als Frau Bachmann beteuerte, dass es kein Problem gewesen sei, Svenja kurz telefonieren zu lassen. Zum Abschied strich sie dem Mädchen über die Haare und sagte: »Tschüss, wir sehen uns morgen.« Und in Richtung Katharina: »Ach Frau Langenfels, es freut mich übrigens, dass Sie Svenja in letzter Zeit pünktlich abholen. Das macht es uns leichter und für die Kleine ist es natürlich sowieso besser. Übrigens: Ihr Mann ist ein entzückender Vater. Toll, wie er mit Svenja umgeht.«
Die Erzieherin strahlte Katharina so begeistert an, dass sie es sich verkniff, darauf hinzuweisen, dass Oliver nicht der Vater war. Nur der konnte gemeint sein, Tobias hatte Svenja bislang höchst selten vom Hort abgeholt. Und von Oliver waren seit Svenjas Geburt sämtliche Betreuerinnen, egal ob Babykrippe, Kindergarten, Schule oder Hort, vollkommen begeistert gewesen.
Auf dem Heimweg schilderte ihre Tochter ohne Pause die Erlebnisse ihres Tages – die nicht alle unglaublich spannend waren. Daher genügte es, zuzuhören und ab und zu ein »echt?«, »ja, finde ich auch« oder »das hast du gut gemacht« einzuwerfen und ansonsten den Redefluss nicht zu unterbrechen. Katharina wusste, dass Svenja so ihren Tag verarbeitete und anschließend glücklich und entspannt Burger vertilgen würde.
Und genau so kam es. Katharina hatte Bio-Hackfleisch, Dinkelsemmeln, Bio-Salat, Gurken, Tomaten und Kartoffeln gekauft, um Oliver nicht in Stress zu bringen wegen möglicher Schadstoffbelastungen der herkömmlichen Lebensmittel. Der hatte zwei Burger und einen Riesenberg selbst gemachter Pommes verdrückt und den Hinweis Katharinas auf die hervorragende Qualität der Produkte nur mit einem »ach Gott, das wäre nicht nötig gewesen« kommentiert. Seine Therapie schien tatsächlich anzuschlagen, dachte Katharina, während sie sich dick Ketchup auf ihren Burger drückte und der Unterhaltung von Svenja und Oliver über die letzte Folge von »Shopping Queen« zuhörte. Oliver nahm sich die Sendung auf, um mit Svenja darüber sprechen zu können.
Wobei trotzdem meist nur Svenja redete: »Klar hat die mit dem schwarzen Kleid am besten ausgesehen, die andere war so ein Möchtegern It-Girl und den Rest hat man eh vergessen können.«
»Svenja, woher weißt du, was ein It-Girl ist?« Katharina steckte sich Pommes in den Mund und schaute amüsiert ihre Tochter an.
»Mensch, Mama, das weiß doch jeder. Die Paris Hilton ist zum Beispiel eins, blöde Tussen halt, die viel Geld haben und nichts arbeiten.«
Auf der anderen Seite des Tisches strengte sich Oliver an, so zu tun, als hätte er sich verschluckt, damit Svenja sein Kichern nicht bemerkte, ließ es sich aber nicht nehmen zu fragen: »Svenja, da du das Wort ›It-Girl‹ kennst, weißt du auch, was altklug bedeutet?«
Svenja grinste, streckte ihm die Zunge raus, die deutliche Pommes- und Senfspuren aufwies, und aß weiter. Das, dachte Katharina, war der Unterschied zwischen Müttern und angehimmelten Sozialvätern. Mit ihr hätte Svenja nach dieser Bemerkung einen Tag lang nicht mehr gesprochen, bei Oliver war es kein Problem.
Nach dem Essen machte Svenja sich fertig fürs Bett und Oliver und Katharina setzten sich mit ihrem Rotwein aufs Sofa. Katharina brachte Oliver auf den aktuellen Adelhofer-Stand. Er nickte zufrieden, als sie ihm berichtete, wie gut sein Tipp gewesen war, Rosa Adelhofer allein abzupassen.
»Birgit sitzt vermutlich zu Hause und versucht, die gelöschten Dateien herbeizuzaubern. Mal schauen, ob sie was geschickt hat.«
Katharina holte den Laptop von ihrem Schreibtisch und kam zurück aufs Sofa.
»Du hast eine Rotwein-Schnute«, murmelte sie in Olivers Richtung und reichte ihm ein Taschentuch.
»Wie ein altes Ehepaar«, raunte er zurück und wurde dann deutlich lebhafter: »Was ist das für eine Blondinen-Sammlung?«
Katharina hatte auf der Suche nach Neuigkeiten von Birgit den Ordner mit den Fotos der Adelhofer-Fans geöffnet.
»Da ist übrigens auch mein Trennungsgrund drauf. Habe ich neulich zufällig erfahren«, sagte Katharina trocken und erzählte Oliver von Tobias’ merkwürdiger Reaktion auf das Foto.
»Wie? Und das erzählst du mir jetzt erst? Gibt’s ja nicht. Wie sieht die aus? Zeig her. Interessiert dich das nicht?«
Katharina wurde klar, dass sie das Thema perfekt weggeschoben hatte. Sie wollte nicht noch mal leiden, wollte nicht durch neue Details alles aufwühlen. Wahrscheinlich deswegen hatte sie die Fotos nicht mehr angeschaut, seit Tobias aus ihrer Wohnung gerauscht war.
»Wenn es zu schwer für dich ist, lassen wir das. So wichtig ist es nicht«, flüsterte Oliver, der Gedanken lesen zu können schien.
Katharina schaute ihn dankbar an, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und öffnete das Foto.
»Oh je, die? Sieht noch total jung aus, kann aber natürlich täuschen. Jedenfalls so, wie sie aufgebrezelt ist, passt sie eher in die ›Bravo‹-Schminktipps als zu deinem Tobias. Dieser Fissler, nicht zu fassen. Na ja, wahrscheinlich hat er genau einmal in seinem Leben Geschmack bei Frauen bewiesen, und das war bei dir. Hallo, bist du noch dran? Ich habe dir gerade ein Kompliment gemacht.« Oliver schob Katharina ein Stück von sich weg und schaute sie an. Seine Freundin sah kein bisschen traurig aus, sondern fast euphorisch.
»Was ist los, Süße? Ich finde es auch super, dass sie dir nicht das Wasser reichen kann …«
»Der Rock, Oliver, schau dir den Rock an.«
»Diese Röcke kenne ja sogar ich, trägt halb München, und sie sind teuer, wenn es das Original ist. Scheint Kohle zu haben die Dame.«
Katharina strahlte Oliver an und sagte: »Sie muss nicht unbedingt Kohle haben, ich vermute nämlich, dass Lukas ihr diesen Rock gekauft hat. War wohl seine große Liebe laut Alfred Birnhuber. Ist wohl eine Weile her, trotzdem könnte es sich lohnen zu recherchieren, wer die Frau ist. Robert Adelhofer müsste sie auch kennen.«
Oliver schaute sie verständnislos an und lauschte gespannt, was Alfred Birnhuber Katharina erzählt hatte.
»Interessant. Da unten steht das Datum, das Foto ist von Juli 2015. Das heißt, es ist im Sommer nach Roberts Wiederauftauchen entstanden. Tja, mit der Dame zu sprechen, könnte spannend sein. Schaffst du das, Tobias danach zu fragen?«
Oliver schaute Katharina über sein Rotweinglas hinweg forschend an.
Die nickte. »Klar, ist ja was Berufliches. Ich will nur nicht mit ihm über unsere Vergangenheit reden. Morgen ruf ich ihn an. Danke, Olli. Jetzt mal zu dir. Wie geht’s? Wir haben heute Abend noch nicht über Krankheiten gesprochen.«
Oliver grinste. »Stimmt. Es ist wie ein neues Leben für mich. Ich mache seit ein paar Monaten ein Training, um das Gehirn anders zu programmieren – von Angst auf Lebensfreude. Das funktioniert tatsächlich, hätte ich nie gedacht. Die Hirnforschung hat festgestellt, dass das Gehirn veränderbar ist, dass Gehirnareale wachsen und schrumpfen können, je nachdem, womit man sie füttert. Wenn man sich weniger mit Angstthemen beschäftigt und mehr mit positiven Gedanken, und das jeden Tag, verändert sich das Gehirn und die Angst wird weniger. Ich habe dir das die ganze Zeit nicht erzählt, weil ich selbst nicht daran geglaubt habe, dass es funktioniert. Ich habe doch sonst schon alles ausprobiert.«
»Allerdings«, seufzte Katharina und dachte an die unzähligen Therapeuten, Homöopathen und Geistheiler, die Oliver aufgesucht hatte, meist mit dem Ergebnis, dass ihm verständnisvoll erklärt wurde, woher seine Angst kam.
»Und jetzt ist die Angst weg?«
»Nein, komplett weg ist sie nicht, aber sie ist viel weniger präsent und ich gebe ihr auch nicht mehr so viel Raum, weil ich häufiger an schöne Dinge denke, und das konsequent jeden Tag. Die Angst fährt jetzt auf dem Rücksitz mit und nicht mehr als Beifahrer, sagt mein Therapeut, und das trifft es.«
Katharina schaute ihren besten Freund gerührt an. »Mensch, Olli, das freut mich total. Darauf eine Tüte Chips?«
»Logo, scheiß auf die Kalorien und die verstopften Blutgefäße. Wir leben nur einmal.«
Katharina küsste in Gedanken Olivers Therapeuten und ging in die Küche, um Chips und eine zweite Flasche Rotwein zu holen.
Als beides leer war, beschloss Oliver, auf Katharinas Sofa zu nächtigen.