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Als Kolbe wieder im Institut eingetroffen war, hatte die Trauerfeier für Tanaka bereits begonnen. Der Hörsaal war brechend voll und Alexey Czarkov hielt die Trauerrede. Häufig musste er unterbrechen, um sich die Nase zu putzen oder Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen. Brettschneiders Sekretärin schluchzte so laut, dass einige Mitarbeiter sie mit einem leisen aber eindringlichen „Pssst“ zur Ruhe bringen wollten, aber erst, als eine Kollegin ihr tröstend den Arm um die Schultern legte, beruhigte sie sich.

Czarkov beendete seine Rede, verbeugte sich vor dem Bild Tanakas und alle standen für eine stille Gedenkminute auf. Danach leerte sich der Hörsaal rasch und Brettschneider steuerte mit Czarkov auf Kolbe zu.

„Frau Richter hat angerufen und mitgeteilt, dass die polizeiliche Sicherheitsabsperrung im Magazin aufgehoben ist und der Reinigungsdienst mit der fachgerechten Beseitigung des Blutes beginnen kann, weil in Tanakas Blut keine Rückstände von Drogen oder Medikamenten, geschweige denn Hepatitis- oder HIV-Viren gefunden wurden“, informierte er Kolbe.

„Ich möchte Sie bitten, dem Reinigungsdienst zu zeigen, wie sie mit der Gleitregalanlage umzugehen haben. Außerdem müssen sie entscheiden, ob die Bücher, die mit Blut bespritzt wurden, entsorgt oder gereinigt werden sollen.“

Kolbe wurde es ziemlich unwohl bei dem Gedanken, den Ort von Tanakas Tod so schnell wieder sehen zu müssen. Trotzdem machte er sich schweren Herzens sofort auf den Weg in das Magazin, wurde aber unterwegs von Dr. Fahlmann, der ihn auf leisen Sohlen überholt hatte, abgefangen

„Meine Güte, was will der denn jetzt von mir? Seine Sorgen möchte ich haben!“, schoss es Kolbe durch den Kopf, da legte Fahlmann auch schon los:

„Herr Kolbe, ich verstehe gut, dass Sie mir unter diesen Umständen das gesuchte Heft nicht besorgen können, aber ich möchte wissen, wann ich das Magazin selbst wieder benutzen kann?“

Kolbe war im Begriff, die Augen zu verdrehen, unterdrückte diese Mimik aber sofort, als er sah, dass Fahlmann auf seine Antwort lauerte wie der Geier auf das Aas. Kolbe wusste, dass Fahlmann, der sich so intensiv mit arbeitsmedizinischen Themen befasste, kein Blut sehen konnte. Also antwortete er lächelnd: „Ich bin gerade auf dem Weg ins Magazin, um das Blut beseitigen zu lassen. Kommen Sie ruhig mit, wenn Sie den Reinigungsdienst nicht stören, können Sie in aller Ruhe recherchieren.“

Fahlmann wurde blass bis unter die Haarspitzen und murmelte: „Ach, das hat keine Eile, vielleicht ein anderes Mal. Guten Tag noch, Herr Kolbe!“, und schon war er verschwunden.

Im Magazin teilte die Vorarbeiterin des Reinigungsdiensts Kolbe mit, dass sie bereits begonnen hatten, das Blut mit einem Spezialmittel zu binden und aufzunehmen.

„So einen Auftrag haben wir auch nicht alle Tage, soll ja ein ganz junger Mensch gewesen sein.“, bemerkte sie mitfühlend. „Es ist auch Blut unter die Regale zu beiden Seiten des Tatorts gelaufen, wir haben aber die Regale noch nicht bewegt, weil wir nichts falsch machen wollten.“

„Da gibt’s nichts falsch zu machen“, sagte Kolbe, „Sie drehen mit der Kurbel die Regale auseinander oder bewegen mit einer Drehung gleich mehrere Regale zusammen, sehen Sie, so.“ Kolbe verfuhr die Gleitregalanlage um eine Regalbreite, dann blieb das Ganze abrupt stehen.

„Manchmal verklemmt sich etwas in der Transportkette“, bemerkte Kolbe, und sofort kniete sich die Vorarbeiterin nieder, um unter das Regal zu spähen.

„Da steckt ein Stift in einem der Kettenglieder, bewegen Sie das Regal mal um ein paar Zentimeter zurück“, sagte die Vorarbeiterin, „ja genau so, jetzt ist der Stift heraus gefallen und liegt flach auf dem Boden. Sie können das Regal nun weiter drehen.“

Als sich das Regal bewegte, kam der blutbeschmierte Gegenstand zum Vorschein und Kolbe traute seinen Augen nicht: es handelte sich eindeutig um einen USB-Stick der neuesten Generation.

„Zeigen Sie bitte mal her“, forderte Kolbe die Vorarbeiterin auf und sie ließ den Gegenstand in seine Hand gleiten, wobei Kolbe scharf auf die Reaktion in ihrem Gesicht achtete, doch da war kein Zeichen des Erkennens oder der Überraschung zu sehen.

„So eine verdammte Nachlässigkeit“, begann Kolbe zu schimpfen, „vor kurzem ist die Gleitre-galanlage repariert worden und ich habe die Monteure ermahnt, jeden alten Metallbolzen aufzusammeln, damit sie nicht in der Kette hängen bleiben. Und nun das! Das werde ich der Firma unter die Nase reiben!“

„Aber erst, nachdem ich den Bolzen gereinigt habe, ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich nicht ordentlich gearbeitet habe!“, sagte die Vorarbeiterin erbost und wollte nach dem Stick in Kolbes Hand greifen, doch der ließ den Stick blitzschnell in seine Jackentasche gleiten.

„Schauen Sie mich an“, sagte Kolbe und setzte seinen Hundeblick auf, „sehe ich so aus, als würde ich Sie irgendwo anschwärzen wollen?“

„Nein, nein, Dr. Kolbe“, stotterte die Vorarbeiterin und die Röte schoss ihr ins Gesicht, „behalten Sie das Ding, so wie es ist. Und jetzt werden wir die Buchrücken vom Blut befreien. Sollte noch mal etwas Ungewöhnliches passieren, gebe ich Ihnen Bescheid.“

„Danke“, sagte Kolbe freundlich lächelnd und verließ erleichtert das Magazin.

Auf dem Gang zur Bibliothek meldete sich sein Institutshandy. Brettschneiders Sekretärin teilte ihm mit, daß der Chef ihn zu sprechen wünschte.

„Oh, das passt mir aber jetzt gar nicht“, gab Kolbe zurück, „ich wollte mich auf den Weg ins Krankenhaus zu Sophia Carrera machen.“

„Moment, ich verbinde mit Prof. Brettschneider“, erklärte die Sekretärin, es klickte kurz in der Leitung und Brettschneider meldete sich:

„Herr Kolbe, ich möchte Ihnen eine Woche bezahlten Sonderurlaub geben, damit Sie sich einerseits von den Aufregungen erholen können, aber andererseits mir zur Verfügung stehen, wenn ich zu Tanakas Tod weitere Informationen brauche.“

Kolbe staunte mehr über sich als über Brettschneiders Angebot, denn es überraschte ihn überhaupt nicht, es war so, als hätte er damit gerechnet.

„Vielen Dank, ich werde die Gelegenheit gleich nutzen und der traurigen Aufgabe nachkommen, Sophia Carrera über den Tod ihres Freundes zu informieren“, sagte Kolbe und Brettschneider beendete das Gespräch.

Kolbe schloss sich auf der Toilette ein und befreite den USB-Stick mit Toilettenpapier und Papierhandtüchern vom Blut, wobei er sich fragte, ob der Stick eigentlich noch funktionstüchtig war. Es juckte ihn mächtig in den Fingern, das sofort an seinem PC zu klären, aber er unterdrückte diesen Impuls, wusch sich sorgfältig die Hände und verstaute den USB-Stick sorgfältig in der Handy-Innentasche seines Jacketts.

Er entschloss sich, nach Hause zu fahren, um sich dort an seinem PC den Inhalt des USB-Sticks anzusehen. Paula, die eine eigene Wohnung besaß, war nicht da, er seufzte, weil er ihren Rat in dieser Angelegenheit dringend gebraucht hätte, weiß der Teufel, welche brisanten Dateien sich auf dem USB-Stick befanden.

Aber seine Neugier war so groß, daß er nicht länger warten konnte, er startete seinen PC und öffnete das Verzeichnis des Sticks. Nur eine Datei mit der Bezeichnung „Omics-Discussion.pdf“ war darauf vorhanden, es war die Diskussion von Tanakas Doktorarbeit, also der wichtigste Teil, der Tanakas Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit begründete. Kolbe wurde klar, daß der USB-Stick aus Tanakas Trainingshose gefallen sein musste, als dieser seinem Leben ein Ende setzte. Aber weshalb hatte er nur diese eine Datei bei sich und nicht die gesamte Doktorarbeit? Hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu und Kolbe wusste, dass er in seiner Wohnung nach einem idealen Versteck für den Stick suchen musste.Er dachte an Paula und wusste sofort, wo er den USB-Stick aufbewahren würde, nämlich in einem blaugrau salzglasierten Kännchen aus Steinzeug, das seine Freundin ihm geschenkt hatte, und das als Dekoration auf dem Küchenschrank stand.

Schnell fuhr er nach Hause, eilte in die Küche, ließ den Stick in das Kännchen gleiten und stellte es auf den Schrank zurück. Er schaute noch nach Post, dann verließ er seine Behausung und fuhr zum Krankenhaus, wobei er nach den richtigen Worten suchte, um Sophia so schonend wie möglich die schreckliche Wahrheit sagen zu können.

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