Читать книгу Ausweglos - Jürgen Block - Страница 15
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ОглавлениеZurück an seinem Arbeitsplatz-PC in der Bibliothek achtete Kolbe nicht auf eingegangene Emails, sondern begann sofort mit der Stichwortsuche bei Google. Mit dem Stichworten „Dissertationsmord“ bzw. „Mord wegen Doktorarbeit“ gab es keine Treffer, er versuchte es mit „Selbstmord in der Bibliothek“ und Google fand Informationen über einen Carl-Hans Graf von Hardenberg, der im Widerstand gegen Hitler gearbeitet und versucht hatte, sich bei der seiner Verhaftung durch die Gestapo in der Bibliothek des Schlosses Neuhardenberg das Leben zu nehmen.
Beim Stichwort „Suicide in the library“ erfuhr er unter anderem über den Fall der beiden US-amerikanischen Jugendlichen Eric Harris und Dylan Klebold, die Neunzehnhundertneunundneunzig beim so genannten Columbine High School Massaker dreizehn Menschen getötet und sich dann selbst in der Bibliothek der Schule hingerichtet hatten.
Gab es denn im Internet keinen Report über einen Mord, der wegen einer Doktorarbeit begangen worden war? Kolbe seufzte und versuchte es mit dem Stichwort „Murder because of PhD thesis“, aber er landete wieder keinen Treffer.
Sicherlich war Kolbes Suche nicht erschöpfend gewesen, er wusste, dass er auch in anderen Datenbanken hätte suchen müssen, aber er merkte, daß er entsetzlich müde wurde.
Dennoch startete er einen zweiten Versuch, wandte sich von der in Google nachgewiesenen Realität ab und der belletristischen Kriminalliteratur zu. Der oberste Treffer bei der Suche mit dem Stichwort „murder PhD thesis“ war der Roman „Death by Dissertation“ von Dean James, der in der Schwulenszene einer texanischen Universität spielte. Die Buchrezension gab allerdings keine Auskunft, ob die dort beschriebenen Morde wegen des Diebstahls einer Dissertation begangen wurden.
Kolbe beschloss, sich das Buch zu besorgen und schaute sich die nächsten Treffer an. Die meisten waren abwegig, aber da gab es eine Webseite der „Encyclopaedia Britannica“, die etliche Romane zum Thema „Murder in the Library“ auflistete, wobei der Autor dieses Beitrags genüsslich feststellte, dass Mord in der Bibliothek eine eigentümliche Faszination auf viele Leser, insbesondere Bibliothekare, ausübte.
Einige Handlungen rankten sich um seltene, kostbare Bücher herum, aber die meisten spielten in bekannten akademischen Bibliotheken. Kolbe vertiefte sich in die Beschreibungen dieser Romane und nahm von seiner Umwelt keine Notiz mehr. Doch schon bald wurde ihm klar, daß ein Fall, der so ähnlich gelagert war wie der von Tanaka, wohl keinen Niederschlag in der Literatur gefunden hatte. Also brach er die Recherche ab, gähnte und streckte sich, bis die Knochen wieder knackten.
Nachdem Kolbe seinen Arbeitsplatz-PC herunter gefahren hatte, blieb er eine Weile unschlüssig an seinem Schreibtisch sitzen. Eigentlich war es nicht so dramatisch, dass die Google-Suche derart missglückt war und sein Ärger darüber begann schnell zu verfliegen. Die Realität war jedenfalls viel aufregender als der beste Kriminalroman. Er griff zum Telefon und rief Björn Mager an.
"Gut, das Du Dich endlich meldest", sagte dieser vorwurfsvoll, "ich wusste nicht, daß Du wieder im Institut bist. Weil ich die Schlüssel zu Sophias Wohnung behalten habe - mit Sophias Einverständnis -, habe ich die Kripo in die Wohnung gelassen. Sie haben den ganzen Hergang genau protokolliert und die Wohnung inspiziert. Sophia soll nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus notieren, ob und welche Gegenstände verschwunden sind. Das sei dann aber eine Sache für die Versicherung. Sie haben auch Fingerabdrücke von verschiedenen Dingen genommen und geflucht, dass es wohl keine DNA-Spuren vom Täter geben wird. Ich habe nur eine ungenaue Beschreibung des Täters geben können, bis auf die Tatsache, daß er blaue Turnschuhe, eine normale Jeans und einen dicken Norweger-Pullover trug, habe ich mehr von ihm nicht sehen können, er war ja leider maskiert. Außerdem sind Du und ich für unsere schnelle Hilfe belobigt worden."
"Klasse, Björn", antwortete Kolbe, "hatte ich Dir schon gesagt, daß Brettschneider mir Sonderurlaub gegeben hat, unter der Voraussetzung, daß ich ihm helfe, die mysteriösen Dinge um Tanakas Tod zu lösen? Nein, okay, deshalb werde ich genau das jetzt tun und morgen einen Tag ausspannen, “
„Mann, ich wünsche dir, daß dir dass auch gelingt, ich weiß genau, daß die Sache dich verfolgt oder sollte ich besser sagen, daß du die Sache verfolgst?“
Kolbe stellte sich vor, wie sich Magers Gesicht zu einem schiefen Grinsen verzog, das ihn aber sehr sympathisch aussehen ließ.
„Ja, du hast in beiden Fällen Recht. Damit ich meine Ruhe habe, werde ich mich gleich vergewissern, dass Brettschneider meiner Dienste morgen nicht bedarf. Mach's gut, bis übermorgen.“
„Geht in Ordnung“, Mager legte auf und Kolbe wählte Brettschneiders Büro an. Schniefend meldete sich seine Sekretärin.
„Meine Güte“, sagte Kolbe erstaunt, „ist es denn wirklich so schlimm?“
„Ach, Herr Kolbe, wissen Sie, wie weh unerwiderte Liebe tut?“
Kolbe wusste es, aber er war nicht bereit, zu diesem Thema Einblick in sein lange zurückliegendes Privatleben zu geben.
„Es hört sich vielleicht blöd an, aber die Zeit heilt alle Wunden.“, hörte er sich sagen und dachte danach sofort, daß er ein großer Idiot sei, doch zu seiner Überraschung antwortete die Sekretärin mit klarer Stimme:
„Glücklicherweise bin ich ja noch jung und komme darüber bald hinweg, nur im Augenblick ist es sehr hart. Prof. Brettschneider ist auf dem Weg zu Ihnen.“
Kolbe konnte gerade noch Danke sagen, da stand Brettschneider auch schon an der Tür zu seinem Büro.
„Wie hat Tanakas Freundin die Nachricht von seinem Tod verdaut?“, wollte Brettschneider sofort wissen.
„Es war ziemlich dramatisch und es hat nicht nur Frau Carrera, sondern auch mich sehr mitgenommen.“
„Stimmt, Sie sehen überhaupt nicht gut aus. Gehen Sie nach Hause und ich verspreche Ihnen, dass ich Sie morgen nicht behelligen werde.“
Gemeinsam verließen sie das Büro und Kolbe dachte, wie gut es war, daß seine Freundin Paula jetzt bei ihm zu Hause war. Der Gedanke an sie vertrieb seine trüben Gedanken und schnell begab er sich auf den Heimweg.
Paula hatte sofort gesehen, in welchem Zustand Kolbe sich befand, auch wenn er glücklich lächelte, als sie ihn in die Arme nahm.
„Liebling, heute Abend möchte ich dir nichts über die Ereignisse des Tages erzählen“, sprach er leise in ihr Ohr, „sondern ich werde mich in die Küche stellen, es steht bereits alles für eine Quiche Lorraine vorbereitet im Kühlschrank. Nach dem Essen möchte ich nur noch weinselig in Löffelchenstellung ganz nah an deinem warmen, weichen Körper einschlafen.“
„Mannomann, mit dir ist aber auch gar nichts los“, neckte sie ihn, „aber was wir heute im Bett versäumen, wird schnellstens nachgeholt, da gibt es kein Pardon!“
„Dein Wunsch ist mir Befehl, wie gnädig du doch mit mir bist!“, versuchte Kolbe grinsend zu kontern, „aber ich habe noch eine Überraschung für dich. Morgen gehe ich nicht ins Institut und wir können unseren lange geplanten Ausflug in das mittelalterliche Städtchen in unserer Nähe machen.“
„Sehr schön“, freute sich Paula, „aber jetzt husch in die Küche mit dir, ich habe einen Riesenhunger.“
Nach dem gelungenen Essen und einigen Gläsern Wein wäre Kolbe fast am Tisch eingeschlafen, deshalb ließen sie den Abwasch stehen, schlüpften ins Bett und Kolbe schlief sofort in der gewünschten Stellung ein. Paula löste sich behutsam aus seinem Arm, sobald sie merkte, dass seine Atemzüge ruhig und regelmäßig gingen. Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn lange an. Er lächelte im Schlaf und Paula freute sich, nach Jahren der Einsamkeit in Kolbe einen Mann gefunden zu haben, mit dem sie lachen und weinen, feiern und tanzen, Lustiges und Ernstes reden, essen und trinken und guten Sex haben konnte. Auf der anderen Seite war er aber auch sehr anstrengend mit seiner Schusseligkeit, da konnte sie manchmal auf die Palme gehen. Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn, drehte sich erneut um und drückte sich fest an ihn, bis die Wärme seines Körpers sich auf sie übertrug und ihr die Augen zufielen.