Читать книгу Ausweglos - Jürgen Block - Страница 14
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ОглавлениеBjörn Mager hatte ganze Arbeit geleistet: er war bei Sophia im Rettungswagen mitgefahren, erledigte im Krankenhaus die Formalitäten bei der Aufnahme, erkundigte sich, auf welcher Station Sophia nach der OP liegen würde und teilte der Stationsleitung mit, daß Sophia im Laufe des Tages von einem Dr. Kolbe Besuch bekommen würde. Deshalb war die diensthabende Schwester nicht überrascht, als Kolbe sich bei ihr meldete und die Ärztin, die Sophia behandelte, zu sprechen wünschte.
"Ich weiß, daß ich kein Verwandter von Frau Carrera bin", teilte er dieser mit, "und Sie mir im Grunde keine Angaben über ihren Gesundheitszustand machen müssten, aber ich habe Frau Carrera etwas sehr Trauriges mitzuteilen und wüsste natürlich gern, ob Frau Carreras Zustand so stabil ist, daß ich ihr das zumuten kann."
"Herr Kolbe, es ehrt sie, daß sie danach fragen und nicht einfach in das Krankenzimmer stolziert sind, um Frau Carrera diese Mitteilung zu machen", freute sich die Ärztin über Kolbes Mitgefühl, "aber um die Wirkung dieser Nachricht auf Frau Carrera beurteilen zu können, müsste ich schon wissen, um was es sich handelt."
Kolbe räusperte sich und sagte trocken: "Ich möchte ihr mitteilen, daß sich ihr Freund gestern umgebracht hat."
"Dann wird es wohl vernünftig sein", sagte die Ärztin alarmiert, "dass ich dabei bin, wenn sie ihr dies mitteilen. Frau Carrera hat die OP sehr gut überstanden, die Nase wird komplett verheilen und die Gehirnerschütterung ist ohne Folgen geblieben, soweit wir das jetzt sagen können. Also, kommen Sie, bringen Sie es hinter sich, ich sehe schon, dass nicht nur Frau Carrera erschüttert sein wird, Sie selbst sind es ja auch immer noch!“
Als die Ärztin und Kolbe Sophias Krankenzimmer betraten, richtete sich Sophia in ihrem Bett auf.
„Oh, Herr Kolbe, wie schön, daß Sie mich besuchen, aber ich hatte eigentlich mit Kotaros Besuch gerechnet“, lächelte sie ihm entgegen.
Kolbe schwieg, setzte sich auf einen Stuhl an ihrem Bett und schaute Sophia in die Augen. In seinem Gesicht mussten sich wohl Qual und Trauer widerspiegeln, denn Sophia sagte hastig: „Meine Güte, Herr Kolbe, wie sehen Sie denn aus? Was ist passiert?“
Kolbe schwieg immer noch, ergriff aber nun ihre linke Hand und schaute sie weiter unverwandt an. Doch dann nahm er seinen Mut zusammen und antwortete:
„Ja, es ist etwas passiert, und das ist das Wichtige, was ich Ihnen bereits in ihrer Wohnung zu sagen hatte.“ Er musste sich räuspern und dachte, warum kann ich diese Nachricht nicht durch Gedankenübertragung an Sophia weitergeben?
Sophia legte ihre Stirn in Falten und richtete sich vollständig auf: „Es betrifft Kotaro, stimmt's?“
Kolbe nickte stumm.
„Er kommt nicht, weil ihm etwas zugestoßen ist, richtig?“
Kolbe nickte wieder.
Sophias Augen füllten sich mit Tränen und Kolbe hörte sich sagen: „Er wird nie wieder zu Ihnen kommen können, weil er...“
Kolbe kam nicht weiter, denn Sophia hatte ihre Beine aus dem Bett geschwungen, saß direkt vor ihm und schüttelte seine Schultern mit beiden Armen:
„Oh, mein Gott, er ist tot, tot, tot!“ Mit einem Schrei fiel sie wieder in ihre Kissen zurück und dann durchschüttelte der Weinkrampf ihren ganzen Körper. Die Ärztin wollte ihr eine Beruhigungsspritze verabreichen, aber Sophia schlug ihr die Spritze aus der Hand.
„Ist es so, ja? Jetzt will ich die ganze Wahrheit wissen!“, schrie Sophia tränenüberströmt.
„Frau Carrera“, schaltete sich die Ärztin ein und schaute auf den Puls- und Blutdruckmonitor, „ihre Werte steigen besorgniserregend an, wir können gern pausieren.“
„Was, Kotaro ist tot, und ich soll mich schonen!“, brauste Sophia mit hochrotem Gesicht auf. „Herr Kolbe, sagen Sie endlich, was geschehen ist, ich bin auf alles vorbereitet.“ Sophia zwang sich zu äußerlicher Ruhe und trocknete sich die Tränen aus den Augen.
Kolbe schaute die Ärztin an und als diese nickte, fixierte er Sophia und sagte leise: „Er hat sich im Bibliotheksmagazin des Instituts durch Harakiri umgebracht.“
Sophias Pupillen weiteten sich und ihr fiel der Unterkiefer herunter, dann begann sie hysterisch zu lachen, und schließlich stieß sie hervor: „Das ist vollkommen unmöglich! Das hätte er niemals getan! Also ist er ermordet worden!“
Kolbe und die Ärztin zuckten zusammen, doch Kolbe fing sich schnell und fragte Sophia: „Was macht Sie da so sicher?“
Sophia lachte wieder kurz auf: „Wir wollten heiraten, sobald Kotaro seinen Doktortitel in der Tasche hatte!“
Als Kolbe ihr die verschiedensten Argumente gegen ihre Hypothese entgegenhalten wollte, schritt die Ärztin ein: „Herr Kolbe, ich muss sie bitten, jetzt zu gehen. Frau Carreras Werte werden schlechter. Ich werde dafür sorgen, dass sich ein Krankenhauspsychologe um Frau Carrera kümmert.“
Kolbe akzeptierte seinen Rauswurf und wandte sich noch einmal Sophia zu: „Wenn Sie wieder gesund sein werden, müssen wir beide uns lange unterhalten. Und ich möchte Ihnen meine Freundschaft anbieten, Kotaro ist nicht nur Ihnen, sondern auch mir sehr wichtig gewesen.“
Im Krankenhausflur sank Kolbe auf einer Sitzbank nieder und versuchte, Eins und Eins zusammen zu zählen:
„Also ist er ermordet worden!“, hatte Sophia gesagt. Der Schläger hatte ihre Wohnung durchsucht und bis jetzt war nur die Diskussion von Tanakas Dissertation gefunden worden. Verdammt noch mal, wenn Tanaka ermordet worden sein sollte, wo war das Motiv? Tanaka war allseits im Institut beliebt gewesen, und die japanische Yakuza hätte ihm nur einen Finger abgeschnitten, wenn er ein verräterisches Mitglied gewesen wäre und sie seiner habhaft geworden wären. Das Alles gab doch keinen Sinn! Was aber einen Sinn gab, war die Tatsache, dass eben der größte Teil von Tanakas Dissertation verschwunden war. Wann verschwinden Dinge? Wenn sie versteckt, gestohlen oder von schusseligen Menschen so weggelegt werden, dass sie nicht wieder gefunden werden können. Er dachte dabei an sich selbst.
Aber wer stiehlt schon eine Dissertation? Oder doch? Die Plagiatsaffären deutscher Politiker waren im Institut heiß diskutiert worden und manche Kolleginnen und Kollegen waren davon überzeugt, daß es auch in den Naturwissenschaften Plagiate gab. War jemand, der sich mit fremden Federn schmücken wollte, bereit, einen Mord zu begehen? Zog der Diebstahl der Dissertation konsequenterweise die Beseitigung des eigentlichen Autors nach sich? Hatte es solch einen Fall vielleicht schon einmal gegeben? Das musste unbedingt recherchiert werden! Verdammt, Sophia hatte ihm da einen Floh ins Ohr gesetzt, den er nun nicht mehr loswerden würde. Alle würden ihn auslachen, wenn er von diesem Verdacht erzählte. Paula nicht, mit ihr konnte er die verrücktesten Dinge vorurteilslos besprechen.
Kolbe beschloss, mit Paula über seinen Verdacht zu reden, aber zuerst hieß es, dem Internet die Informationen über „Dissertationsmord“ zu entlocken.
Leise stöhnend erhob er sich von der harten Sitzbank, meine Güte, diese Angelegenheit ließ ihn um Jahre altern!