Читать книгу Ausweglos - Jürgen Block - Страница 16
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ОглавлениеUm ihren Ausflug nach Sternburg, dem Städtchen mit dem mittelalterlichen Kern, so stressfrei wie möglich zu beginnen, fuhren Paula und Kolbe mit dem Zug dorthin. Gemächlich stiegen sie zur alten Burgruine empor, die von einem mächtigen Bergfried gekrönt wurde. Über Kopfsteinpflaster durchstreiften sie das liebevoll restaurierte Viertel, das Handwerker und Händler um die Burg herum aufgebaut hatten. Bewohner saßen unter üppigem Blumenschmuck vor ihren Häusern in den Gassen, die teilweise aus goldfarbenem Sandstein erbauten Häuser wechselten sich mit schiefen und verwinkelten Fachwerkhäusern ab. Eine bereits kräftige Frühjahrssonne ließ alle Farben strahlen und nährte bei beiden die Illusion, sich nicht in einem deutschen, sondern in einem provenzalischen Dorf zu befinden.
Alte Gaslaternen und Brunnen in schattigen Höfen machten diese Romantik so perfekt, daß sich Zeit und Raum auflösten. Eine steile von mächtigen Mauern begrenzte Gasse führte zum Fluss ins Tal hinunter. In der Mauer befanden sich Türen, die zu großzügigen Wohnungen mit gediegenem Ambiente führten. "Hier würde ich auch gerne wohnen", sagten beide fast wehmütig und mussten lachen, weil es häufig vorkam, daß beide das gleiche sagten oder dachten. Sie drehten noch eine Runde, schauten von einem Aussichtspunkt weit über das Land, fotografierten sich in den verrücktesten Posen und waren teilweise so albern wie Kinder.
Über die steile Gasse stiegen sie ins Tal herunter und ließen sich auf den Holzplanken einer Anlegestelle am Fluss nieder, und als ihre Füße im Wasser baumelten, fragte Paula Kolbe, ob er nun bereit sei, ihr die Geschehnisse des vergangenen Tages zu schildern. Kolbe bejahte, nahm Paula in den Arm und erzählte ihr Alles bis ins kleinste Detail.
Danach schwiegen beide eine Weile, schließlich schaute Kolbe Paula ratsuchend an und Paula brach das Schweigen: "Ich teile deine Meinung, daß Tanakas Tod kein Selbstmord gewesen sein kann. Er wird bereits vorher bedroht worden sein, anders kann ich mir nicht erklären, daß er solche Sorgfalt darauf verwendet hat, die Ergebnisse seiner Arbeit vor Unbefugten zu verbergen. Andererseits hast du dich intensiv mit ihm über seine Dissertation unterhalten und er hat dir nichts verheimlicht. Kannst du dich erinnern, wann ihr das letzte Mal über seine Arbeit diskutiert habt?"
Kolbe staunte über Paulas scharfsinnige Gedanken und wusste sofort, daß Tanaka und er vor acht Tagen über einige Aspekte der Diskussion gesprochen, aber danach nicht mehr zusammen gesessen hatten. Tanaka hatte sich im Lesesaal tagsüber rar gemacht und war anderen aus dem Weg gegangen. "Siehst du", sagte Paula, "es kann gut sein, daß er ab diesem Zeitpunkt bedroht oder unter Druck gesetzt wurde. Jemand hatte es auf seine Dissertation abgesehen, jemand, der schließlich auch vor einem Mord nicht zurückschreckte. Mal abgesehen von dieser scheußlichen Tatsache, stellt sich die Frage, wer ist denn nun im Besitz welcher Teile von Tanakas Dissertation? Du besitzt nur die Diskussion, die der Täter nicht in die Finger bekommen hat. Warte mal, haben Tanaka und du am Bildschirm über seine Arbeit diskutiert oder war es schon ausgedruckt?"
"Nein, wir haben am Monitor gesessen und Tanaka hat kleine Änderungen in der Orthographie oder Grammatik, die ich ihm vorgeschlagen hatte, direkt in den Computer getippt. Er wollte seine Arbeit unbedingt in Deutsch schreiben, trotz des englischen Titels. Aber bei unserem letzten gemeinsamen Gespräch hat er geäußert, daß es an der Zeit sei, Czarkov einen ersten Entwurf seiner Arbeit in gedruckter Form vorzulegen. Ich habe aber nicht erfahren, ob er das in die Tat umgesetzt hat. Wir müssen Czarkov fragen, ob er diesen Entwurf in die Hände bekommen hat!“
„Wenn er die Arbeit mit Ausnahme der Diskussion ausgedruckt hat, kann es sein, daß sich der Täter in den Besitz dieses Dokuments gebracht und in Sophias Wohnung nach der Diskussion gesucht hat. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat Tanaka in den letzten Wochen nur bei Sophia gelebt, in seiner eigenen Studentenbude ist er immer nur kurz gewesen, um Kleidung und ähnliches zu holen. Es scheint mir sinnvoll, Sophias Wohnung mit ihrer Erlaubnis noch einmal zu durchsuchen. Der Täter wird wohl auch versucht haben, in Tanakas Bude einzudringen, aber auf einer Etage im Studentenheim ist jeder Fremde unter ständiger neugieriger Beobachtung, die Türen sind stabil und besitzen gute Sicherheitsschlösser. Nichtsdestotrotz sollten wir erreichen, daß Tanakas Bude vom Hausmeister des Studentenheims geöffnet wird, auch, weil seine persönliche Habe herausgeholt werden muss.“
Paula war richtig in Fahrt gekommen und Kolbe wunderte sich, daß sie Dinge bedachte, an die weder er noch Brettschneider gedacht hatten.
"Genau", meinte Kolbe anerkennend, "und das wirft nun die Frage auf, wen wir nun eigentlich von unserem Verdacht in Kenntnis setzen."
"Das ist doch gar keine Frage", rügte Paula Kolbe, "natürlich muss Brettschneider zuerst informiert werden. Wir haben nur einen Verdacht, kein einziges Indiz für Mord, die Spurensicherung und Leichenschau hat Fremdverschulden ausgeschlossen. Was meinst du wohl, wie schwierig es werden würde, Gabriele Richter davon zu überzeugen, die Umstände von Tanakas Tod neu aufzurollen. Außerdem müsste die Kripo zugeben, daß sie nicht hundertprozentig exakt ermittelt haben. Ich glaube, daß dies der Richter sehr schwer fallen würde. Wenn Brettschneider unsere Meinung teilt, kann er kraft seiner Autorität als Institutsdirektor und seiner Beredsamkeit als Wissenschaftler dafür sorgen, daß Gabriele Richter überzeugt werden kann. Wenn ihm das nicht gelingt, ja, dann werden wir wohl auf eigene Faust versuchen müssen, Licht in das Dunkel zu bringen. Wofür bist du denn ein so guter Rechercheur? Dein Job ist dem eines Detektivs doch nicht unähnlich!
"Kolbe grinste breit, küsste Paula zärtlich auf das rechte Ohrläppchen und seufzte:
"Nun ist mir doch ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, der restliche Tag wäre mir verdorben gewesen, wenn ich das weiter mit mir herum getragen hätte. Vorhin habe ich eine schnuckelige Trattoria gesehen, und da möchte ich mit dir gleich richtig gut essen, und so unseren schönen mediterranen Tag ausklingen lassen, na ja, bis auf die Tatsache, daß uns zu Hause ein gemütliches Bett erwartet.“