Читать книгу Der Antrag in der Verhaltenstherapie - Jürgen Brunner - Страница 10

1.2.2 Qualitätssicherung und Erfüllung der Dokumentationspflicht

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Ein weiterer positiver Aspekt des Gutachterverfahrens ist die Qualitätssicherung. Die qualitätssichernde Funktion des Gutachterverfahrens (Dieckmann et al. 2018, S. 79) gilt sowohl für die Verhaltenstherapie (Sulz 2015) als auch für psychodynamische Verfahren (Rudolf 2011, S. 116 ff.). Der Verfasser des Berichts an den Gutachter, also der Therapeut, muss sich Gedanken zur Fallkonzeption machen und diese verschriftlichen. Das Verfassen des Berichts an den Gutachter ist eine gute Möglichkeit zur Reflexion und gedanklichen Durchdringung der Fallkonzeption. Hierzu ist es nötig, den aktuellen Stand der publizierten Literatur zu berücksichtigen, um dem geforderten fachlichen Qualitätsstandard zu entsprechen. Hautzinger (2013, S. 43) bezeichnet zutreffend eine Psychotherapie ohne empirische Evidenz und ohne Bezug zu den wissenschaftlichen Grundlagen als »Scharlatanerie«. Auch wenn die Nichtbefürwortungsquote nur 3–4 % beträgt, kommt dem Gutachterverfahren eine qualitätssichernde Funktion zu, da der Antragsbericht ein Anlass zu Reflexion und zur Erarbeitung einer Fallkonzeption ist. Bei einer Teilbefürwortung hat der Therapeut die Gelegenheit, das Störungsmodell und den Behandlungsplan gründlich zu überarbeiten. Gutachter haben die Möglichkeit der Nachforderung. Das Peer-Review-Verfahren dient daher der Qualitätssicherung – auch bei einer relativ geringen Nichtbefürwortungsquote.

Das Erarbeiten eines individuellen Störungsmodells mit prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen ist die Voraussetzung für eine hypothesengeleitete und individualisierte Therapieplanung, wie sie in der Psychotherapie-Richtlinie gefordert wird. Durch das Verfassen des Antragsberichts sollte dem Therapeuten und dem Gutachter klarwerden, worauf es bei diesem Patienten ankommt. Aus der Verhaltensanalyse ergeben sich die Foki der Therapie. Die konkreten Therapieziele müssen aus der Verhaltensanalyse abgeleitet werden. Es muss ein roter Faden erkennbar sein zwischen der lern- und lebensgeschichtlichen Entwicklung des Patienten, der Krankheitsanamnese, dem Befund, der Verhaltensanalyse, den Therapiezielen und dem individualisierten Behandlungskonzept. Der Antragsbericht ermöglicht dem Therapeuten eine gedankliche Fokussierung und die Konzentration auf die wesentlichen ätiologischen Bedingungen des aktuellen Krankheitsgeschehens. Die Qualitätssicherung ist gewährleistet durch die Einschaltung des Gutachters. Das Gutachtersystem stellt eine Art Peer-Review dar. Ein wesentlicher positiver Effekt des Gutachterverfahrens ist die inhaltliche Begleitung der Therapie von der Fallkonzeption über die Durchführung bis zur Beendigung. Inhaltliche Begleitung bedeutet, dass der Gutachter durch Rückfragen und Hinweise Anregungen geben und auf Risiken sowie auf weiteren Klärungsbedarf aufmerksam machen kann. Dazu dient die vertrauliche Stellungnahme an den Therapeuten. Der Gutachter kann aber auch Unterlagen schriftlich nachfordern oder mit dem Therapeuten telefonisch Kontakt aufnehmen. Rudolf (2011, S. 117) betrachtet die mit dem Gutachterverfahren einhergehende »Triangulierung« als eine bedeutsame qualitätssichernde Maßnahme des Gutachterverfahrens, da systematisch eine zweite Meinung des Gutachters zusätzlich zu der des Behandlers eingeholt wird. Allerdings bezieht sich der Auftrag des Gutachters ausdrücklich nicht auf Supervision. Das gilt auch für den Fall, dass sich ein Therapeut eine solche Unterstützung für die Fallkonzeption und Behandlungsplanung ausdrücklich wünscht (Dieckmann et al. 2018, S. 83).

Um als Gutachter von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bestellt zu werden, müssen Voraussetzungen erfüllt sein, die in der Psychotherapie-Richtlinie (§ 36) und in der Psychotherapie-Vereinbarung (§ 12) definiert sind. Dazu gehört der Nachweis einer mindestens dreijährigen und aktuell andauernden Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung auf dem Gebiet des jeweiligen Psychotherapieverfahrens. Außerdem wird eine mehrjährige Tätigkeit als Dozent und als Supervisor gefordert. Durch das Gutachterverfahren ist ein Vier-Augen-Prinzip gewährleistet, das sich in anderen Berufen bewährt hat. Natürlich sollten Gutachter diese Funktion der externen Kontrolle und der Qualitätssicherung ernstnehmen. Hilfreich sind konstruktiv-kritische Kommentare und Anregungen zur Verbesserung der Therapie. Um der qualitätssichernden Funktion des Gutachterverfahrens Rechnung zu tragen, sollten die Stellungnahmen der Gutachter individualisiert ausfallen und ausreichend ausführlich sowie nachvollziehbar sein, insbesondere bei Teil- und Nichtbefürwortungen.

Das Gutachterverfahren ist bei gesetzlicher Krankenversicherung standardisiert und qualitativ besser geregelt als in der privaten Krankenversicherung. Anders als bei privaten Krankenkassen, wo lediglich allgemein auf einen »Beratungsarzt« verwiesen wird, der in der Anonymität schemenhaft bleibt, werden in der gesetzlichen Krankenversicherung im Gutachterverfahren Ross und Reiter genannt. In der privaten Krankenversicherung wird nicht transparent gemacht, welche Qualifikation der Beratungsarzt hat und über welche psychotherapeutische Kompetenz er verfügt. Die Möglichkeit eines Zweitgutachtens gibt es hier nicht. Auch ein standardisiertes Widerspruchsverfahren gibt es bei privaten Versicherungen nicht, abgesehen von einer Beschwerde des Patienten bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit ungewissem Ergebnis. Es bliebe dem Patienten dann noch der mühsame, langwierige und kostspielige Klageweg mit offenem Ausgang. In der gesetzlichen Krankenversicherung wird der Gutachter namentlich benannt. Die Gutachter können nicht willkürlich oder nach Privatkriterien entscheiden. Ihr Ermessensspielraum wird eng begrenzt durch die Psychotherapie-Richtlinie und die Psychotherapie-Vereinbarung. Gutachter sind gehalten, in ihren Stellungnahmen und Begründungen sich auf die Psychotherapie-Richtlinie zu beziehen (Dieckmann et al. 2018, S. 80).

Die wesentliche Aufgabe des Gutachters ist die fachliche Beurteilung, ob die geplante Verhaltenstherapie notwendig, indiziert, zweckmäßig, wirtschaftlich und prognostisch ausreichend ist. Die Stellungnahmen sollen sachlich und neutral verfasst sein. Bei der gutachterlichen Entscheidung ist immer auch das Wohl des Patienten zu berücksichtigen (Best 2001). Durch die hohen qualitativen Anforderungen an die Gutachter hinsichtlich langjähriger Berufserfahrung als Therapeut, Dozent und Supervisor sind fachliche Standards gewährleistet. Der Therapeut kann Kontakt mit dem Gutachter aufnehmen. Auch hat der Patient die Möglichkeit, bei einer Nichtbefürwortung durch den Erstgutachter und einer Nichtbewilligung durch die Krankenkasse Widerspruch einzulegen und ein Zweitgutachten zu beantragen. Dadurch existiert eine finale Begutachtungsinstanz vor einem Sozialgerichtsverfahren.

Durch das Verfassen des Antragsberichts erfüllt der Therapeut wesentliche Aufgaben seiner Dokumentationspflicht, die im Patientenrechtegesetz geregelt ist. Zu dokumentieren sind insbesondere Anamnese, Befunde, Untersuchungsergebnisse, durchgeführte Therapiemaßnahmen und ihre Wirkungen sowie Aufklärungen und Einwilligungen (§ 630 f BGB Abs. 2). Die wesentlichen Anforderungen an eine Dokumentation nach dem Patientenrechtegesetz sind durch die Einhaltung der Gliederung nach dem PTV 3 erfüllt ( Tab. 1.3). Zu ergänzen wäre noch, dass die Therapieziele transparent und mit dem Patienten gemeinsam reflektiert werden müssen. Auch diese Forderung ist durch das Antrags- und Gutachterverfahren erfüllt.

Tab. 1.3: Erfüllung zentraler Anforderungen an die Dokumentationspflicht nach dem Patientenrechtegesetz durch den Antragsbericht an den Gutachter.



Anforderungen an eine professionelle Dokumentation nach dem Patientenrechtegesetz (§ 630 f BGB Abs. 2)Gliederungspunkte des Leitfadens zum Erstellen des Berichts an den Gutachter (PTV 3)

Der Antrag in der Verhaltenstherapie

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