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2.2 Psychopathologischer Befund

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Es ist zu empfehlen, sich an etablierten Deskriptionsmodellen mit operationalisierten Begriffen zu orientieren, am besten am AMDP-System. Die Abkürzung AMDP steht für Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie. Der Befund soll symptombezogen und deskriptiv dargestellt werden. Da es sich um einen Querschnitt, also eine Momentaufnahme handelt, ist das Präteritum das korrekte Tempus. Der Befund ist eine ähnliche Momentaufnahme wie eine Kernspintomographie oder ein Laborbefund. Eine psychiatrische Diagnose kann aufgrund des psychopathologischen Befundes (Querschnitt) und des Verlaufs (Längsschnitt) gestellt werden.

Es wäre ein eklatantes Missverständnis und ein gravierendes Monitum, sich im psychopathologischen Befund lediglich auf den Ausschluss einer psychotischen Symptomatik und die Verneinung von akuter Suizidalität zu beschränken. Die zentrale Aufgabe besteht darin, die vom Patienten in seinen Worten geschilderte Symptomatik in adäquater Fachsprache (AMDP-System) abstrahierend zu beschreiben und zu klassifizieren.

Den Inhalt des psychopathologischen Befundes legt der Therapeut fest. Der Patient muss damit nicht einverstanden sein, was bei wahnhafter Symptomatik und ego-dystonen Krankheitsphänomenen nicht selten der Fall ist. Einige Kollegen handeln die wesentlichen Punkte in der Reihenfolge des AMDP-Systems ab. Das ist zwar nicht falsch, da es dem Gutachter zeigt, dass der Therapeut systematisch vorgeht. Es ist aber nicht nötig und sogar überflüssig und ermüdend, den Befund bei jedem Patienten mit dem Satz zu beginnen: »Der Patient war wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten vollständig orientiert.« Das ist bei fast allen ambulanten Psychotherapie-Patienten der Fall. Es ist nicht erforderlich, alle psychopathologischen Symptome nach dem AMDP- System vollständig aufzuführen, wenn dies im konkreten Fall nicht relevant ist (Bender et al. 2018, S. 157).

Sinnvoll ist es, den psychopathologischen Befund im Antragsbericht auf die relevanten Positiva und Negativa zu beschränken. So muss der Befund bei einer Depression eingehen auf die Haupt- und Nebensymptome nach ICD-10. Bei der Diagnose F32 oder F33 muss der Befund Angaben zu den Kernsymptomen der Depression enthalten: depressive Stimmung, verminderte affektive Reagibilität, Verlust von Interesse oder Freude, Antriebslosigkeit (erhöhte Ermüdbarkeit, Energielosigkeit), Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, formale Denkstörungen (Grübeln, Denkverlangsamung, Denkhemmung), Anhedonie, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle, Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektive, Hoffnungslosigkeit, Wahn (hypochondrischer Wahn, Verarmungswahn, Schuldwahn, nihilistischer Wahn), psychomotorische Gehemmtheit oder Agitiertheit, passive Todeswünsche, Suizidgedanken, Suizidversuche, Schlafstörungen, gesteigerter oder verminderter Appetit, Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, Libidoverlust, sexuelle Funktionsstörungen, psychovegetative Symptome (Obstipation, Kopfschmerzen, Herzbeschwerden, Ohrgeräusche, Schwindel), circadiane Schwankungen (Morgentief).

Die folgenden Aspekte sollen grundsätzlich beschrieben werden: Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Intelligenz, formale und inhaltliche Denkstörungen, Affektivität, Ängste und Zwänge, Antrieb, Psychomotorik, Wahn, Wahrnehmungsstörungen, Ich-Störungen, psychovegetative Symptome, Körperschemastörungen, Suizidalität, Aggressivität, selbstverletzendes Verhalten, Suchtverhalten und Symptome einer Persönlichkeitsstörung.

Problematisch ist es, wenn die Diagnose in Punkt 5 nicht aus dem psychopathologischen Befund und der Krankheitsanamnese ableitbar ist. Psychopathologischer Befund und Diagnose müssen kompatibel sein (Dieckmann et al. 2018, S. 61).

Es ist zu empfehlen, sich als Psychotherapeut mit der Terminologie des AMDP-Systems intensiv vertraut zu machen, etwa durch Lektüre des Manuals oder durch entsprechende Seminare. Auf der Website der AMDP (amdp.de) gibt es einen kostenlosen Online-Test mit 50 Fragen. Hier können Sie sich selbst prüfen und entscheiden, ob Sie auf dem Gebiet der deskriptiven Psychopathologie noch fit genug sind oder von einem Auffrischungstraining oder der (erneuten) Lektüre des Manuals profitieren könnten. Selbstverständlich darf der Befund wie der gesamte Bericht keine abwertenden Äußerungen enthalten.

Ein häufiger Fehler in Antragsberichten ist, dass fälschlicherweise formale Denkstörungen als pathognomonisch für Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis angesehen werden. Nicht selten ist bei einer Depression im Befund zu lesen, dass sich keine Hinweise auf formale Denkstörungen ergeben hätten. Im nächsten Satz ist aber von Grübeln die Rede.

Grübeln (Rumination) gehört per definitionem zu den formalen Denkstörungen. Weitere formale Denkstörungen bei der Depression sind gehemmtes Denken, verlangsamtes Denken, eingeengtes Denken. Viele Patienten sind umständlich/weitschweifig; auch umständliches Denken gehört zu den formalen Denkstörungen.

Bei Depressionen ist es wichtig, auf die Symptome des somatischen Syndroms im psychopathologischen Befund einzugehen: Appetitverlust, Gewichtsabnahme, Früherwachen, Morgentief, Libidoverlust, psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit, Anhedonie, Interessenverlust, verminderte affektive Reagibilität. Selbstverständlich muss bei einer schweren Depression der Befund Angaben enthalten zum Vorhandensein oder zur Abwesenheit von synthymen oder parathymen psychotischen Symptomen. Synthyme Wahnthemen wären Schuldwahn, Verarmungswahn, hypochondrischer oder nihilistischer Wahn. Gerade bei schweren Depressionen ist die Abklärung von Suizidalität obligat: Lebensüberdruss, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, passive Todeswünsche, Suizidgedanken, vorausgegangene Suizidversuche.

Der Antrag in der Verhaltenstherapie

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