Читать книгу Silvia - Folge 1 - Jürgen Bruno Greulich - Страница 2
ОглавлениеEheleben
Wie so oft kam Wolfgang später als erwartet nach Hause. Es war schon nach neunzehn Uhr, zwei Stunden nach seinem Feierab end, und schon längst war das warm gestellte Essen halb verwelkt. Natürlich durfte sie ihm nicht gram sein, wusste sie doch sehr gut, dass für einen Manager der höheren Führungsebene eines Chemiekonzerns betriebliche Belange schwerer wogen als private Interessen. Sein fürstliches Gehalt musste hart erarbeitet werden, so lautete seine Erwiderung auf ihre Klagen, die sie sich inzwischen abgewöhnt hatte. Trotzdem könnte er jetzt allmählich kommen.
Den Nachmittag hatte sie lesend im Schaukelstuhl verbracht und es dabei wohlig gespürt, das leise Kribbeln, das sich manchmal während des Tages regte, wenn sie mit der Zeit nicht viel anzufangen wusste und ihre Fantasie anregende Bilder malte. Sie liebte diese Stunden alleine, noch schöner aber wäre es, wenn die Träume Wirklichkeit würden. Sie hatte sich für Wolfgang reizvoll zurechtgemacht, trug unter dem seidig schwarzen Morgenmantel nur einen winzigen String, einen spitzenbesetzten BH und ein durchsichtiges Hemdchen mit verspielten Rüschen, alles in kobaltblau, dazu hauchzarte schwarze Strümpfe. Dieser Anblick, so hoffte sie, würde ihn aus der sexuellen Lethargie reißen, die sich seit Wochen (oder waren es gar schon Monate?) in ihre Ehe eingeschlichen hatte.
Seit drei Jahren waren sie erst verheiratet und schon schwand der Kitzel wie Wärme aus schlecht isoliertem Mauerwerk, sie hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen könnte. Vielleicht hätte sie doch nicht so früh heiraten sollen und dann auch noch einen Mann, der fast fünfzehn Jahre älter war, in diesem Jahr noch wurde er vierzig. Doch gab es keinen Grund zur Klage. Im Frühjahr war sie mit ihrem Kunststudium fertig geworden, Kontakte waren geknüpft, die Bewerbungsunterlagen soweit gerichtet, im Herbst konnte sie damit anfangen, nach einer Anstellung zu suchen.
Der Schlüssel wurde draußen im Schloss gedreht und die Haustür geöffnet. Wolfgang! Sie trat in die Diele und begrüßte ihn mit einem verheißungsvollen Lächeln.
Abgespannt ruhte sein Blick auf ihr, müde klangen seine Worte. „Hallo, mein Schatz. Hast du schon gewartet?“ In seinem dunklen Anzug, dem weißen Hemd und der modischen Krawatte sah er so seriös und erfolgreich aus, wie er es tatsächlich auch war. Braun getönt war sein glattes, doch markantes Gesicht mit der hervorstechenden Nase, voll und kräftig war das braune Haar, energisch blickten die grünlich braunen Augen, die aber auch liebevoll schauen konnten. Wenngleich nicht jetzt, da sie eher kritisch guckten. „Ist das Essen fertig?“
„Ja, es ist fertig.“ Sie streifte den Bademantel ab. „Und der Nachtisch ist bereit.“ Sie fühlte sich komisch unter seinem verwunderten Blick, ein bisschen schäbig, hatte ihn noch nie so unmissverständlich zu verführen versucht oder sich ihm an den Hals zu werfen, wie man es auch hätte nennen können. Hatte sie das nötig? Anscheinend ja, sonst hätte sie es nicht getan.
Irritiert hauchte er ihr ein Küsschen auf die Stirn. „Du siehst ja richtig appetitlich aus. – Was gibt es denn?“
„Was immer du dir wünschst.“
„Zu essen?“
„Nein, zu essen gibt es Rinderfilet mit Salzkartoffeln und Blumenkohl.“
„Na ja, auch nicht schlecht.“ Er ging mit ihr ins Esszimmer, das Teil des riesigen Wohnzimmers war, durch ein frei stehendes Bücherregal und eine niedrige hölzerne Balustrade davon getrennt. Müde ließ er sich am gedeckten Tisch nieder und sie servierte das Mahl, ohne sich etwas überzuziehen, wovon es aber auch nicht besser wurde. Wenig begeister stocherte Wolfgang in seinem Teller herum. „Das Fleisch ist zu weich. Und der Blumenkohl verkocht.“
„Ich weiß, Liebling. Das liegt daran, dass du so spät nach Hause gekommen bist.“
„Entschuldige, aber es gab in der Firma ein kleines Problem.“
„Was war denn los?“
„Ach, ein Störfall in der Produktion.“
„Sind wieder Schadstoffe ausgetreten?“
„Unwesentlich. Aber du weißt ja, wie viel Ärger das gleich gibt. Die Medienheinis stürzen auf so etwas wie die Geier. – Hast du es in den Nachrichten nicht gesehen?“
„Nein, ich habe ein Buch gelesen.“
„Ach so.“ Welcher Art ihre Lektüre war, interessierte ihn nicht, ebenso wenig erkundigte er sich danach, wie es ihr sonst ergangen war während des Tages. Aber natürlich spielten ihre kleinen Gefühle und Gedanken keine Rolle angesichts der großen Probleme, die ihn Tag für Tag beschäftigten. Es war draußen dunkel geworden, die Frühsommersonne schon längst versunken, romantisch flackerten rote Kerzen im silbernen Kandelaber, die Rollläden waren herabgelassen. Das Glas Burgunder, das Silvia ihm einschenken wollte, lehnte Wolfgang dankend ab. „Ich habe noch einiges zu arbeiten.“
„Ach, Liebling, kannst du dir nicht hin und wieder ein bisschen Zeit für mich nehmen?“ Verheißungsvoll legte sie ihre Hand auf die seine.
„Später.“ Sanft schob er ihre Hand von sich weg und nahm einen Bissen.
„Später bist du müde und schläfst ein.“
„Du kommst schon nicht zu kurz.“ Sinnierend schaute er sie an, schien sie zum ersten Mal an diesem Abend wahrzunehmen, ihre Rundungen unter den Dessous, ihr ebenmäßiges Gesicht, umrahmt von schulterlangem, lockig braunem Haar. „Du kannst mir ja schnell einen blasen.“
„Ich kann was?“
„Mir einen blasen! Du weißt doch, was das ist?“
Ja, sie wusste es. Und sie wusste auch, dass er diesen Ausdruck noch nie gebraucht hatte, jedenfalls nicht ihr gegenüber, und sie wusste weiterhin, dass noch kein Mann so herablassend zu ihr gesprochen hatte. „Du bist unverschämt!“
„Wieso? Erst läufst du mir wie ein rolliges Kätzchen hinterher, und dann, wenn du dürftest, bist du beleidigt. Wer soll das verstehen?“
„Du verstehst nicht, dass ich etwas anderes von dir will?“
„Ach ja, du willst Zärtlichkeit.“ Er sprach das Wort wie einen Spottnamen aus. „Du bist hoffnungslos romantisch. Aber ehrlich gesagt reizt mich dein Blümchensex nicht. – Schon dein Versuch, mich anzumachen! Warum ziehst du dir nicht etwas wirklich Reizvolles an, zum Beispiel Strapse?“
„Ich wollte dir eine Freude bereiten, einen schönen Abend mit dir verbringen, und du … du willst eine Hure aus mir machen.“ Silvia war den Tränen nahe. Noch nie war Wolfgang so gemein zu ihr gewesen, was war nur in ihn gefahren?
„Aus dir eine Hure zu machen, wäre ein hartes Stück Arbeit.“ Er legte Messer und Gabel auf den halb geleerten Teller, tupfte den Mund mit der bordeauxroten Serviette ab, erhob sich achselzuckend und ging in sein Arbeitszimmer, ohne sie noch einmal anzublicken.
Sie verbrachte den Abend alleine vor dem Fernseher, in einen baumwollenen Pyjama gehüllt, trank roten Wein und nahm kaum zur Kenntnis, was da über den Bildschirm flimmerte. Welch ein Fehlschlag, welch eine Blamage, welch eine Demütigung. Wie um alles in der Welt kam sie nur dazu, sich Wolfgang auf so entwürdigende Art anzubiedern? Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass er sie so rücksichtslos niedermachte? Ihm schnell einen blasen. Wie kam er nur zu einem solchen Jargon, der doch gar nicht seiner Art entsprach, ob er mit Prostituierten verkehrte? Konnte sie ihm etwa das Begehrte nicht geben, seinen Wünschen nicht gerecht werden? Dabei küsste sie doch gerne seinen Penis, allerdings nicht schnell mal nebenbei und nicht so, als werde einem rolligen Kätzchen ein Leckerli gegönnt, es war Vorspiel, diente der Einstimmung, war kein Selbstzweck und geschah nicht auf Befehl. „Blümchensex“ nannte er so etwas also! Musste er sich das, was ihm gefiel, woanders holen? Ach, sollte er doch! Mit Huren konnte sie natürlich nicht konkurrieren, wie käme sie dazu. Aber so etwas wie heute würde ihr nicht noch einmal passieren, nie wieder sollte er sie so schmählich behandeln können!
Als er spät in der Nacht ins Schlafzimmer kam, lag sie schon im Bett und tat so, als würde sie schlafen. Er rührte sie nicht an, kehrte ihr den Rücken zu, es war, als läge ein Fremder neben ihr, obgleich ein Fremder sie vermutlich begehrt hätte, nein, nur ein Ehemann konnte so schwer wie ein Stein ins Bett sacken. Fast wünschte sich Silvia, dass der Mann neben ihr ein Unbekannter sei, dann könnte sie seine Hände und seine Lippen fühlen, müsste nicht einsam und verstoßen unter der Decke liegen …
Am folgenden Abend empfing sie ihren Gatten bekleidet mit einer Jeans und einem weiten, unförmigen Pullover. Auf dem Herd köchelten Ravioli aus der Dose, ein Gericht, das auch nach längerer Garzeit und zweimaligem Aufwärmen ebenso wenig schmackhaft war wie zuvor. Zu ihrer Überraschung erschien Wolfgang pünktlich und zu ihrer noch größeren Verwunderung schleppte er einen riesigen Strauß roter Rosen herein, dazu blühte in seiner Miene das lange vermisste einnehmende Lächeln. „Silvia, Liebstes, es tut mir leid, wenn ich ein bisschen grob war gestern Abend.“
„Ja, du warst grob.“ Erfreut nahm sie die Blumen entgegen.
„Ich bin untröstlich. Ich hätte mich nicht so ungalant ausdrücken dürfen.“
„Das Problem war weniger die Wahl der Worte als das, was du mit ihnen sagen wolltest.“
„Nun ja. Genau darüber, was ich sagen wollte, sollten wir vielleicht mal reden.“
Misstrauisch schaute sie ihn an. „Was meinst du damit?“
„Gleich. Die Rosen brauchen Wasser und ich habe einen Bärenhunger.“
Silvia setzte sie in die Bodenvase beim Klavier und servierte ihrem Gatten das kärgliche Mahl. Er verlor kein Wort der Kritik, löffelte es schweigend hinunter und beschaute Silvia mit liebevollem Blick. „Na, wie war dein Tag?“
„Wie immer. Es gab nichts Besonderes.“
„Ja, ja, dein Leben ist doch recht eintönig, nicht wahr? Ein bisschen Abwechslung wäre vermutlich ganz gut.“
Irgendetwas war hier faul, das wusste Silvia genau. „Ich finde nicht, dass mein Leben eintönig ist. Und im Herbst suche ich mir sowieso einen Job. Bis dahin weiß ich die freie Zeit durchaus zu genießen.“
Ein Hauch von Missmut erschien in seiner Miene. Sie wusste genau, dass ihm ihre Pläne der Arbeitssuche nicht geheuer waren und er sie lieber als Heimchen am Herd gehabt hätte. Doch verzichtete er heute auf eine solche Diskussion und versuchte sich lieber zuvorkommend zu geben. „Bis zum Herbst ist es noch lange hin, Liebes. Hättest du nicht Lust, vorher noch Urlaub zu machen? Ich wüsste da eine geeignete Adresse.“
„Was für eine Adresse?“
Er legte die Gabel zur Seite, erhob sich und stellte sich hinter sie, legte seine Hände auf ihre Achseln, streichelte zärtlich ihren Hals. „Weißt du, es gibt da Wünsche in mir, Vorstellungen, Träume, die sehr aufregend sind. – Du hättest doch auch gerne, dass unser Leben noch viel reicher wird als bisher, dass wir zusammen glücklich sind, nicht wahr?“
„Natürlich. Nur fürchte ich, dass es im Augenblick nicht um mich geht, sondern um dich.“
„Es geht auch um dich, glaube mir.“
Sie genoss sein zärtliches Streicheln, spürte seine Hand zu ihrem Busen gleiten, schloss wohlig gurrend halb die Augen. „Was für ein Urlaub soll das sein?“
„Es gibt ein Haus, ein sehr edles, ein Schloss, um genau zu sein. Dort könntest du einige Wochen verbringen.“
„Und was sollte ich dort tun, in diesem Schloss?“
„Lernen.“
„Was denn lernen?“
Kräftig fasste seine Hand zu, entlockte ihr ein leises Seufzen. Sanft klang seine Stimme: „Wünsche erfüllen.“
„Ich soll lernen, Wünsche zu erfüllen? Wessen Wünsche?“
„Meine.“
„Was? Ich verstehe nicht, was du meinst.“
„Na ja, es gibt dort in diesem Haus irgendwelche Regeln, die es zu beachten gilt, und es befinden sich immer einige Mädchen dort, das heißt, Frauen natürlich, die einige Zeit bleiben, um eben zu lernen unter Leitung der Her…, der Madame von Sinnenhof.“
So angenehm Wolfgangs Hand auch war, so konnte sie doch das blinkende Warnlämpchen in Silvias Kopf nicht ausknipsen. „Unter wessen Leitung?“
„Die Madame von Sinnenhof, die Besitzerin des Schlosses.“
„Wolltest du sie nicht Herrin nennen?“
Wolfgang schwieg.
Mädchen und Herrin. Wie seltsam das klang, wie einer längst vergangenen Zeit entstammend oder einer bizarren, verborgenen, dunklen derzeitigen Welt, von der Silvia kaum etwas wusste. Doch gab es dieses Buch, die „Geschichte der O“, die sie neulich von einer Freundin erhalten hatte, von Claudia, mit der wortkargen Empfehlung, es doch mal zu lesen. Was Wolfgang da erzählte, erinnerte ein bisschen daran. „Kann man diese Mädchen dort vielleicht auch Sklavinnen nennen?“
Wolfgang beugte sich zu ihr herab und knabberte zärtlich an ihrem Ohr, tiefer glitt die Hand bis hin zu ihrem Bauch. „Weißt du, es ist nur ein Spiel. Sieh mal: Du könntest eine reizvolle Zeit verbringen, würdest eine außergewöhnlich interessante Frau werden und wir beide wären nach deiner Rückkehr ein ausgesprochen glückliches Paar.“
„Bis an unser Lebensende. – Wie kommst du nur auf eine solche Idee? Und wie kommst du zu einer solchen Adresse?“
„Wie ich zu dieser Adresse komme?“ Ein Lächeln erschien in seiner Miene, als hätte sie ihm einen unüberbietbaren Trumpf in die Hand gespielt: „Sie stammt vom Herrn Wohlgemach. Seine Frau befindet sich seit zwei Wochen dort.“
„Claudia? Ach komm, die ist doch in Urlaub gefahren.“
„Natürlich. Und rate mal, wohin!“
„Das muss ich nicht raten. Ich weiß es doch: Sie ist in der Mongolei.“
„Und das glaubst du?“
Hm. Eigentlich nicht. Mongolei und Claudia passten nicht wirklich zusammen. – Aber klang es plausibler, dass sie sich in einem Schloss befand, in dem sie unter Leitung einer sogenannten Herrin zur Sklavin erzogen wurde? Nein, das war unmöglich. So etwas gab es doch nicht. – Aber das seltsame Buch, das Claudia ihr gegeben hatte, sprach das nicht ein bisschen dafür, dass es doch so sein könnte? Nein, das war Fantasie, keine Wirklichkeit. Eine solche Wirklichkeit gab es nicht. Ratlos zuckte sie mit den Achseln.
Wolfgang lächelte wissend. „Sie ist im Schloss. Du wirst ihr dort begegnen.“
„Nein, ich werde ihr dort nicht begegnen! Denn sie ist nicht dort, und wenn sie es doch wäre … mich bringt niemand dorthin. Aber vermutlich gibt es dieses Schloss nicht einmal. Man hat dir einen Bären aufgebunden.“
Wolfgang richtete sich auf, die Hand ließ von ihr ab. Vorbei war es mit der Zärtlichkeit. „Es gibt das Schloss und Claudia befindet sich dort, ob du das glauben willst oder nicht. – Weißt du, Silvia, es gibt genügend Frauen, mit denen ich meine Wünsche ausleben kann. Aber am liebsten würde ich trotzdem mit dir zusammen sein.“
„Ist das als Drohung zu verstehen?“
„Aber nein, Liebste. Nur als kleiner Hinweis …“
„Um Himmels willen, was ist nur mit dir los?“
„Ich versuche unserer Ehe ein paar neue Impulse zu geben, mehr nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so störrisch bist.“ Er ging in sein Arbeitszimmer und schloss sanft die Tür hinter sich.
Auch in dieser Nacht läuteten nicht die Glocken der Liebe, woran auch nichts änderte, dass Wolfgang sich nur für kurze Zeit an den Computer setzte und den Rest des Abends mit ihr auf dem blauen Ledersofa verbrachte, whiskeytrinkend, aber in Maßen, wie es sich gehörte für einen Mann in seiner Position. Wieder trug sie beim Zubettgehen einen dicken Pyjama und wieder schliefen sie Rücken an Rücken. Als sein Fuß aber nach Nähe suchend ihre Wade berührte, zog sie das Bein nicht weg. Gar so schrecklich war Wolfgang nun doch nicht, kein Ungeheuer, das es zu meiden galt, nur ein typischer Mann eben. Ob seine Drohung, sich mit anderen Frauen einzulassen, ernst gemeint war? Für ausgeschlossen hielt sie es nicht. Vielleicht sollte sie ihm doch ein bisschen entgegenkommen, soweit ihr möglich eben …