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Hexenjagd

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Die anderen zwei Jägerinnen näherten sich von der gegenüberliegenden Seite. Anna Binsenkraut zog ihren Talisman heraus und schickte ein Stoßgebet zu ihrer Göttin Freya, wie sie es früher jedes Mal getan hatte, wenn sie in den Kampf zog. Es hatte ihr immer Glück gebracht und mehr als einmal das Leben gerettet. Ein Lächeln voll wilder Vorfreude huschte über ihr Gesicht, als sich ihr Puls beschleunigte. Sie würde gleich wieder jemanden zur Strecke bringen, ganz offiziell, nachdem sie es schon so lange nicht mehr hatte tun dürfen. Anna fieberte dem Kampf entgegen. Mit einem Kuss auf die winzige Darstellung einer schwer gerüsteten Frau mit Flügeln ließ sie es wieder unter ihre Kleidung gleiten. Dann schlich sie lautlos über den schmalen Trampelpfad auf das Waldhaus zu, die Augen komplett weiß, die Hände vor sich erhoben, bereit, sofort einen Angriffszauber loszulassen. Der dichte Nebel dämpfte die Sicht erheblich. Jäh hielt sie inne, als sie vor sich ein schwaches Flackern bemerkte. Nach einer eingehenden Untersuchung musste sie der Gegenspielerin unwillkürlich Respekt zollen. Eine Alarmbarriere, getarnt vor dem magischen Blick durch einen komplizierten Tarnzauber. Man konnte sie fast nicht erkennen, doch die langjährige Tätigkeit als Jägerin hatte Anna paranoid genug werden lassen und ihre Sinne waren offensichtlich noch nicht eingerostet. Wer auch immer das getan hatte, musste nicht nur eine fähige Hexe sein, sondern kannte sich auch mit den Gepflogenheiten der Jägerinnen aus. Zwei offensichtliche Barrieren hatte sie schon umgangen, die einerseits normale Menschen abhielten und ein Einfliegen verhinderten. Wer sich hier versteckte, war eine gefährliche Gegnerin.

Die Anhörung beim Rat vor einigen Tagen war beunruhigender gewesen, als Anna sich zunächst eingestehen wollte. Es war nicht nur eine Jägerin getötet worden, sondern insgesamt vier. Die erste Tote hieß Olga, eine junge blinde Hexe mit enormem Spürsinn. Ihr blankes Skelett hatte man in der Eilenriede in Hannover gefunden. Ein Suchtrupp von drei Hexen unter der Leitung ihrer alten Partnerin Lylly Urs war daraufhin ausgesandt worden und hatte eine Fährte bis in den Teutoburger Wald verfolgt, wo sie spurlos verschwanden. Man hatte einige Zeit später drei tote Frauen aus der Weser gezogen. Die Polizei glaubte an ein Badeunglück, doch Anna und der Rat wussten es besser. Jemand hatte ein komplettes Suchteam ausgelöscht. Anna erstaunte es nicht, dass man sie um Rat fragte, denn sie hatte mit Lylly jahrelang zusammengearbeitet. Diese war es auch gewesen, die von ihrer Schwangerschaft gewusst und sie gedeckt hatte. Anna schuldete ihr etwas.

Da der Rat auf sie zurückgegriffen hatte, obwohl sie eigentlich ausgestoßen worden war, zeigte ihr, wie verzweifelt dieser sein musste. Sie war sich auch sicher, dass er etwas verschwieg. Immerhin winkte die Option, wieder in den aktiven Dienst aufgenommen zu werden. Das hatte man ihr als Belohnung angeboten. Sie hatte daraufhin bei Theobald angerufen und ihm gesagt, sie müsse noch eine Woche in Berlin bleiben. Er solle so lange die Apotheke schließen und mit Herrn Zenkmann in Clausthal telefonieren, damit er den Dienst übernahm. Theobald hatte ihr alles Gute gewünscht, aber er klang eine Spur zu glücklich am Telefon. Er wurde für ihren Geschmack in der letzten Zeit zu neugierig. Ein intelligenter Sohn einer Hexe. Sie liebte ihn zwar sehr, aber er war auch der Grund, warum sie nicht mehr ihren Dienst versah. Anna hatte damals vor Erleichterung gejubelt, als ihre Mutter ihr mitgeteilt hatte, dass eine Magieuntersuchung negativ verlaufen war. Sie selbst hatte ihn später mit dem Blick gemustert, aber er verströmte keinerlei magische Aura. Und das war gut so. Die Deaktivierung und Strafversetzung in den Harz hatte sich im Nachhinein als gar nicht so schlimm herausgestellt. Sie hatte die neu gewonnene Freiheit genießen gelernt.

Doch genau jetzt, in diesem Moment, war sie wieder ganz die Jägerin und voller Spannung und Tatendrang. Der Alarmzauber zog sich um das Haus, konnte aber leicht überwunden werden, da er eher wie ein Band gewoben war. Der Tarnzauber machte ihn erst richtig gefährlich. Viele hätten ihn nach den offensichtlichen Barrieren übersehen. Anna ließ sich in einer Mulde neben dem Weg auf den Rücken hinab und rutschte vorsichtig Zentimeter für Zentimeter unter dem Flirren hindurch. Sie wagte es nicht, Magie einzusetzen, da das Brechen des Zaubers sicher sofort bemerkt werden würde. Dass sie sich dabei schmutzig machte, war ihr egal. Sie befand sich in ihrem Element.

Sie hatte es gerade geschafft, da leuchtete vor ihrem Hexenblick der Zauber auf und ein Alarm bellte los. Anna war sich absolut sicher, den Zauber nicht berührt zu haben, aber sie kam ja nicht allein. Sie stieß einen Fluch aus, sprang auf und rannte los Richtung Hintertür, während sie hastig einen magischen Schild hochzog. Vorbei war es mit ihrem Überraschungsvorteil. Eine heftige Explosion an der Vordertür und ein schmerzerfüllter Schrei verrieten ihr, dass gerade eine ihrer Mitjägerinnen schwer erwischt worden war. Sie machte sich nicht die Mühe, die Klinke zu drücken, sondern blieb kurz stehen und schleuderte aus sicherer Entfernung ihre volle magische Kraft gegen die Tür. Sie hielt einige Augenblicke länger stand, als normales Holz es vermocht hätte, aber schließlich riss sie mit lautem Krachen aus der Zarge und flog nach innen, nicht ohne hier auch unter einem Knall ein rotleuchtendes Flammenmeer zu versprühen. Höllenfeuer, schwarze Magie! Anna duckte sich unwillkürlich, doch sie stand weit genug weg, um nicht erwischt zu werden. Die Flammen brannten schnell nieder, denn sie verzehrten nur lebende Kreaturen und deren Seelen. Ihr magischer Schild hätte ihr da wenig geholfen.

Anna rückte vor, während sie in ihrer Hand einen Betäubungsball formte. Erneut legte sie all ihre Kraft hinein. Sie schleuderte ihn ins Haus. Mit einem ohrenbetäubenden Knall ging er hoch. Die Scheiben drückte es komplett nach außen und überall flogen Splitter umher. Im letzten Moment bemerkte sie aus den Augenwinkeln einen Besen, der hinauf in den wolkenverhangenen Nachthimmel rauschte, auf ihm eine Gestalt im Nachthemd und mit einer Umhängetasche. Anna schoss noch einen Zauber hinterher, aber der Besen flog zu schnell, die Wolken verschluckten ihn schon Momente später. Ihre Gegnerin war entkommen.

Erneut fluchend betrat Anna das Haus. Nach dem Betäubungsball war innen nicht mehr viel heil geblieben. Das Haus hatte im Wesentlichen aus einem Raum und einer kleinen Schlafkammer bestanden. Es gab auch noch ein Bad. Die Einrichtung erinnerte Anna an eine klassische Hexenhütte, eine wie aus einem alten Märchen. Es gab einen offenen Kamin mit einem Kessel, der auf der Seite lag. Kräuter lagen herum und Pflanzen aller Art. Ihre dritte Kollegin fand sie im Schlafzimmer im Türrahmen mit einem dampfenden Loch im Oberkörper, durch das Anna den blutverschmierten Fußboden sehen konnte. Ein Energieblitz, so vermutete Anna. Dagegen hätte der Schild geholfen.

Verdammte Amateure, mit denen man sie losgeschickt hatte, dachte Anna verdrossen. Ein Blick vor die geborstene Haustür genügte, um ihr zu zeigen, dass die andere Jägerin auch nicht mehr lebte. Es bot sich ein grässliches Bild einer verkohlten Leiche in unverbrannter Kleidung mit weit aufgerissenem Mund und hohlen Augenhöhlen. Larindra war ihr Name gewesen, soweit sich Anna erinnerte. Sie hatte vor einigen Minuten noch wunderschön ausgesehen. Dem Rat würde das gar nicht gefallen. Anna wandte sich um und durchsuchte die Hütte gründlich. Vieles war zerstört, doch in einem Rezeptbuch für Arzneien stieß sie auf einen Namen. Dr. med. Rawinda Borga. Anna Binsenkraut keuchte auf. Wenn es sich um die Borga handelte, dann hatte sie mehr als Glück gehabt, das eben zu überleben. Borga war eine Legende unter den Hexen. Anna überlegte eine Weile. Wann hatte Borga noch den Vorsitz des Hohen Rates innegehabt? Es muss zu Zeiten von Napoleon gewesen sein, aber man hatte sie wegen schwarzer Magie angeklagt und zum Tode verurteilt. Soweit die Geschichte der Hexen weiter berichtete, war Borga vor ihrer Hinrichtung geflohen und hatte den Rat verflucht. Was genau ihr Fluch aussagte, war nicht überliefert, aber seit dieser Zeit hatte der Rat in Berlin nicht mehr die Bedeutung in der Welt, die er zuvor hatte. Borga hier zu finden, kam einer Sensation gleich. Anna war sich bewusst, dass dies alle in Berlin aufschrecken würde. Doch damit sollte sich der Rat selbst herumschlagen. Sie hatte ihr Ziel erreicht und die Identität der gesuchten Hexe aufgedeckt. Mehr hatte man nicht von ihr verlangt.

Behutsam sammelte sie alle Beweise ein, die sie finden konnte. Nachher würde sie dann die ganze Hütte in Brand stecken. Kein Normalsterblicher durfte sehen, was sich hier befunden hatte.

Beim Durchsehen der Dinge im Hauptraum fand sie noch etwas Merkwürdiges. Es schien ein Splitter eines Kristalls zu sein. Da es durch die Phiolen und anderen Glasdinge abertausende Splitter gab, war es ein Wunder, dass sie diesen überhaupt fand. Er stammte von einem Bergkristall, so viel konnte sie erkennen. Seltsamerweise hatte er sich nachtschwarz verfärbt. Ein Blick in die magische Dimension enthüllte, dass er fast komplett ausgebrannt war. Als sie ihn berührte, flackerte kurz ein schwaches Bild in ihrem Geist von einem kleinen Baby auf. Ein Kribbeln jagte ihren Arm hinauf, aber das Bild verschwand sofort wieder, doch das Kribbeln blieb länger und machte ihren Arm fast taub. Das war in der Tat merkwürdig. Anna konnte sich keinen Reim darauf machen, wickelte den Kristallsplitter vorsichtig in ein Taschentuch und steckte ihn in ihre Hosentasche. In der Küche fand sie einen Kanister mit Petroleum. Sie verschüttete ihn in dem Haus. Als sie ihr Werk schließlich vollendet hatte, ging sie hinaus und zog die Jägerin, die draußen lag, auch hinein. Sie suchte die Taschen ab und fand den Autoschlüssel des Dienstwagens, der auf dem Parkplatz wartete, und nahm ihn an sich. Dann steckte sie das Haus in Brand. Ohne zurückzublicken, lief sie über den Weg zurück. In Berlin würde man große Augen machen.Das

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