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Tränkebrauer

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Seine Mutter musste wieder nach Berlin fahren. Auch wenn Theobald inzwischen wusste, dass Lylly, die Freundin seiner Mutter, tot war, verstand er nicht, warum der Rat plötzlich so viel von ihr wissen wollte. Andererseits verschaffte ihm das eine der für ihn viel zu seltenen Gelegenheiten, im Nachbarkeller zu experimentieren. Die Arbeiten, die sie ihm aufgetragen hatte, damit er nicht auf dumme Gedanken kam, erledigte er in großer Eile und war schon nach ein paar Stunden fertig.

Dann begab er sich durch den Bastelkeller und den Gang, den er geschaffen hatte, bis er in seinem Versteck im Nachbarhaus ankam. Dort entzündete er einige Taschenlampen, denn der Strom war hier abgestellt. Er hatte sich nicht getraut, aus dem eigenen Keller bis hierhin ein Kabel zu legen. Schließlich stellte er den mitgebrachten Käfig mit der Katze auf einen Tisch und holte die kleine Bügelflasche hervor. Er musterte sie erst von außen und hielt sie gegen das Licht. Die Flüssigkeit sah trübe und milchig aus. Er hatte sich einiges einfallen lassen müssen, um an diese Probe von Elisabeths Trank zu kommen. Sicher hätte er sie fragen können, aber irgendein inneres Gefühl hatte ihm gesagt, dass es keine gute Idee gewesen wäre. Nun würde er erst in aller Ruhe das Gebräu untersuchen und dann seine Ergebnisse präsentieren.

Um an Elisabeths Trank zu gelangen, hatte er sich dafür während der Pause im Kartenschrank versteckt, nachdem er das Schloss des Klassenzimmers mit einer Büroklammer so blockiert hatte, dass man nicht mehr absperren konnte. Als Frau Schramm es schließlich bemerkt hatte, hatte er den Namen Vinzenz gehört. Offenbar hatte die Klassenlehrerin ihm das Unheil zugeordnet. Als sie losgegangen war, um den Hausmeister zu holen, war Theobald aus seinem Versteck getreten, hatte Elisabeths Tasche geöffnet und den Trank herausgeholt. Kaum hatte er die Flasche eingesteckt, da hatte er auch schon Schritte vernommen. Es war ihm keine Zeit mehr geblieben, zum Schrank zurückzugelangen. Also hatte er sich hinter die Tafel gequetscht. Doch er hörte nur ein kurzes Gemurmel und ein Ruckeln an der Tür. Dann wurde er eingeschlossen. Als die nächste Stunde begann, war er im allgemeinen Tumult hinter der Tafel hervorgetreten und hatte seinen Lateinlehrer ganz unschuldig angeblickt und behauptet, er hätte Tafeldienst gehabt. Der verwirrte ältere Lehrer hatte nur genickt und sich wieder auf seine Aktentasche konzentriert. Schweißgebadet war er dann an seinen Platz zurückgegangen und hatte sich die ganze Stunde nicht richtig konzentrieren können. Doch sein Coup hatte sich gelohnt.

Nun, im Keller, überlegte Theobald, was er schon wusste. Elisabeth hatte ihm gesagt, dass dieser Trank ihre Krämpfe linderte, wenn sie sich aufregte und auch mal aus Versehen tierisches Eiweiß abbekam. Das sprach für eine neurologische Erkrankung, aber auch gleichzeitig für eine schwere Allergie. Beide Wirkungen in einem Gebräu? Vielleicht löste tierisches Eiweiß auch die gleichen Krämpfe aus, und der Trank blockierte dann das Immunsystem. Da er durch ihre Mutter einige der Zutaten kannte, weil diese sie bei ihm nachts gegen Bargeld gekauft hatte, war er zuversichtlich, mehr herauszubekommen. Es wollte ihm immer noch nicht in den Kopf, dass alle diese hochgiftigen Stoffe Krämpfe lindern sollten. Sicherlich waren viele Gifte in minimaler Dosis auch Heilmittel, aber die Mengen, die Frau Wollner eingekauft hatte, hätten dann für Jahre reichen müssen.

Er machte einige einfache Nachweise und konnte die Bestandteile, die ihm geläufig waren, bestätigen. Leider konnte er mit seinem kleinen Labor keine quantitativen Bestimmungen durchführen. Für einen Praxistest hatte er sich die Katze besorgt. Auf dem einen Bauernhof in Zellerfeld gab es viele davon und sie vermehrten sich so stark, dass es nicht auffallen sollte, wenn eine fehlte. Es war leicht gewesen, sie anzulocken und in den Käfig zu stecken. Nun wollte er sehen, wie der Trank sich auf das Tier auswirkte.

Er nahm einen kleinen Holzspatel und tupfte ihn vorsichtig in den winzigen letzten Rest des Tranks, gerade so tief, dass er leicht feucht wurde. Dann holte er die Katze heraus. Sie wollte ihm entwischen, aber er packte sie am Nackenfell und setzte sie auf seinen Schoß. Als er sie streichelte, beruhigte sie sich schnell wieder und schnurrte. Er redete beruhigend auf sie ein und nahm den Spatel. Als er vor ihrem Gesicht damit auf und ab wedelte, schlug sie erst mit der Pfote danach, dann schnappte sie zu und kaute etwas auf dem Spatel herum. Genau darauf hatte er gehofft. Er beobachtete sie weiter. Dann erschrak er, als die Katze plötzlich zu würgen begann und sich wild aufbäumte. Bei dem Versuch, sie festzuhalten, riss er die Trankflasche vom Tisch. Sie zerbrach auf dem Fußboden. Vom einen auf den anderen Moment fiel die Katze zuckend in sich zusammen. Daraufhin regte sie sich nicht mehr. Er stupste sie an, aber sie war zu seinem großen Entsetzen tot.

Voller Kummer über das Resultat begutachtete er das Tier. Das hätte nicht passieren dürfen, nicht mit einer Katze. Die Tiere waren zäh und er hatte weniger als einen Tropfen verwendet. Die Wirkung war also viel stärker gewesen, als er gedacht hatte. Aber das würde heißen, dass die Konzentration des Trankes extrem hoch war und auch, dass Elisabeth schon viele Male hätte tot umfallen müssen. Was stimmte da nicht? Welche anderen Komponenten machten den Trank für Elisabeth so einzigartig? Bei personalisierten Zaubertränken nahm man gerne Teile der Zielperson, um die Wirkung zu spezialisieren, das wusste er, aber dies war doch nicht etwa …

Er blickte auf die Pfütze und die Splitter. Dann nahm er entschlossen sein Amulett ab und wandte den Blick nach innen, bis er seine Kraft gefunden hatte. Als er die Augen wieder öffnete, glommen sie weiß. Die Farben des Raumes um ihn herum wirkten nur als stumpfe Graustufen. Seine eigene gelblich-grüne Aura, die durch sein Leben und seine Kräfte entstand, hob sich um seine Hände und Arme gut vom Hintergrund ab, ebenso wie der Trank auf dem Boden, der in einem hellen silbrigen Blau leuchtete. Magie!

Kopfschüttelnd betrachtete er ihn ganz genau. Es gab keinen Zweifel. Verwirrter als vorher wechselte er zurück auf die normale Sicht.

Das erklärte so einiges, warf aber neue Fragen auf. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich. Wenn der Trank Magie enthielt, dann kam sie beim Brauen hinein. Wenn sie dabei hineinkam, dann musste sie jemand einbinden, der über magisches Potenzial verfügte, und das wiederum hieß, dass Frau Wollner zaubern konnte. Aber das war unmöglich! Er hatte sie des Nachts einmal betrachtet, da hatte sie nur die gewöhnliche schwache Aura eines normalen Menschen gehabt.

Das ergab alles keinen Sinn. Außerdem, wenn Elisabeth den Trank regelmäßig nahm und nicht tot umfiel, dann unterdrückte er sicher mehr als nur ein paar Allergiekrämpfe. Das Zeug brachte in kleinsten Mengen Katzen um. Moment! Wenn Elisabeths Mutter einen Tarnzauber einsetzte, so wie er einen in dem Amulett trug, dann könnte sie ihre Kräfte verbergen. Aber wie? Ebenfalls mit einem Amulett? Die waren extrem selten. Außerdem hatten Hexen es nicht nötig, ihre Aura zu verbergen. Menschen konnten Auren nicht sehen und Hexen nur, wenn sie ihren Blick aktivierten. Zwar konnte man die Aura selbst dann verbergen, aber das kostete – wie jeder Einsatz von Magie – Kraft. Was verbarg Frau Wollner? Was war sie? Und Elisabeth?

Wenn er mal annahm, dass Frau Wollner eine Schamanin oder Hexe war, dann war es wahrscheinlich, dass auch ihre Tochter die gleichen Kräfte besaß. Er hatte Elisabeths Aura noch nie betrachtet, doch dafür hatte ja er auch noch keinen Grund gehabt. Warum sollte eine Mutter ihre eigenen Kräfte verbergen und ihre Tochter systematisch vergiften? Das ergab für ihn keinen Sinn. Wie er es auch wendete, es fehlten ihm Details. Vielleicht kam er der Sache näher, wenn er den Trank nachbraute. Aber dafür brauchte er noch einige Komponenten. Er könnte vielleicht seinen Booster auch so milchig machen, wenn er etwas an den Zutaten drehte. Den Booster hatte Elisabeth vertragen. Möglicherweise brachte dies ihn der Aufdeckung des Geheimnisses näher.

Beherzt griff er nach seinen Utensilien und machte sich ans Werk. Er musste nur noch so eine Bügelflasche auftreiben, aber die gab es nur bei den Wollners. Er würde noch einmal stehlen müssen.

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