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Inselzuflucht

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Die Sonne ging langsam über dem Horizont unter. Sie warf ein malerisches Licht in Orange, Rot und Gelb an die Wolken. Der frische Wind aus Nordwesten roch nach Salz. Ein letzter Fahrradfahrer radelte die Strecke vom Leuchtturm auf Wangerooge zurück zum Ort. Er kam an der alten Frau auf der Bank vorbei und grüßte mit einem fröhlichen »Moin!«. Die Alte nickte nur und blickte weiter hoch zu den Möwen, die sie schon die ganze Zeit beobachtete. Als der Mann schließlich vorbeifuhr, holte die Frau einen Kristall aus ihrer Tasche und fuhr vorsichtig über die leicht beschädigte Oberfläche. Sie hätte ihn im Teutoburger Wald fast verloren, aber es war nur ein kleiner Splitter abgeplatzt. Der Zauber, der die Energie ins Innere band, funktionierte immer noch einwandfrei. Seit mehreren Tagen hatte sie ihren Standort gewechselt und war nie länger als vier Stunden an einer Stelle geblieben. Sie hatte haufenweise Alarmzauber und Fallen hinterlassen. In den ersten Tagen waren die Jägerinnen ihr ständig auf der Spur gewesen, doch nie wieder war ihr jemand so nah gekommen, wie diese verfluchte Anna Binsenkraut. Aber sie befand sich nicht mehr unter den Jägern. Dafür hatte Borga schon vor langer Zeit gesorgt. Ihre Verbündete im Hohen Rat hatte sie gleich nach dem Vorfall wieder in den Harz zurückgeschickt, um sie von ihr abzulenken. Dennoch würde sie weitere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen.

Der formschöne Kristall in ihrer Hand war fast vollkommen leer. Sie seufzte. Dieser und der zweite, den sie schon aufgebraucht hatte, waren ihre besten Stücke. Er würde sich aber schnell wieder füllen, denn die Kraftquelle, mit der ihn der Zauber verband, war ungewöhnlich stark. Doch das würde einige Stunden dauern.

Auf der Insel war sie vor den meisten Ortungszaubern auf natürliche Art und Weise geschützt. Die letzte falsche Spur, die sie gelegt hatte, führte nach Rumänien. Ein beliebter Zufluchtsort für gesuchte Kreaturen. Dort würden die Jägerinnen eine Weile lang beschäftigt sein. Doch eine Sache gab es noch zu tun. Sie nahm den Kristall in die Hand und ließ die gefangene Energie in sich strömen. Es erfrischte sie, als die magische Energie ihre eigenen Kräfte verstärkte. Dann rief sie die Möwen zu sich herunter. Der Zauber, den sie wob, war nicht einfach, aber er würde ihr Dutzende zusätzliche Augen verschaffen. Mochten die Jägerinnen sich auch noch so gut wappnen, bei so vielen kleinen Helfern würde es fast unmöglich sein, sich unbemerkt auf die Insel zu schleichen.

Als der Zauber vollendet war, testete sie ihn, indem sie die Augen schloss und in den Geist einer Möwe wechselte. Der Blickwinkel war anders als der von Menschen, doch sie kannte das breitere Sichtfeld bereits von früheren Experimenten. Dann wechselte sie die Möwen durch. Es klappte. Zufrieden mit sich legte sie den Kristall in ihre Tasche zurück, wo noch eine ganze Reihe anderer lagen. Dann erhob sie sich und ging zu dem alten unscheinbaren Schuppen, der etwas abseits des Weges stand. Er sah von außen nicht aus, als wäre hier mehr als nur etwas Gerätschaft untergebracht. Die Verfolger waren weit genug weg. Sich mit Magie wach zu halten, ging zwar, aber man regenerierte sich nicht und das merkte sie jetzt. Sie würde nach vielen Tagen endlich einmal sich hinlegen können. Schlaf! Dieser Körper brauchte endlich Schlaf!

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