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Schulanfang

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Sabrina hatte vor dem Schulgebäude, einem roten Backsteinbau, auf Elisabeth gewartet. Dankbar, dass ihre Mutter nicht mitkam, weil sie Klara begleitete, war Elisabeth auf ihre neue Freundin zugelaufen. Die Schüler strömten in kleinen Gruppen ins Gebäude. Die meisten kamen zu Fuß. Der Schulbus hielt am Busbahnhof etwa dreihundert Meter den Berg hinunter, dort wo der alte Bahnhof einst gelegen hatte. Die Schienen hatte man vor vielen Jahren entfernt. Es muss spannend gewesen sein, dachte Elisabeth bei sich, früher mit einer schnaufenden Dampflokomotive hier hinaufzufahren. Es gab im Ostharz noch einige von den Harzer Schmalspurbahnen. Die bekannteste davon schlängelte sich von Wernigerode über Schierke bis zum Brocken hinauf, aber hier in Clausthal gab es keine Schienen mehr. Schade eigentlich. Sabrina lächelte sie an.

»Bereit für deinen ersten Tag? Meine Ma hat schon mit deiner Mutter telefoniert. Du bist nach der Schule zum Spaghetti-Essen eingeladen! Vegan natürlich.« Sabrina rollte mit den Augen. »Auch wenn ich eigentlich die Thunfisch-Weißweinsoße lieber mag!«, setzte sie hinzu. »Aber Ma hat mir vorgerechnet, wie viel Kalorien weniger das sind, und ich will ja abnehmen.«

Elisabeth musterte Sabrina. Ihre Figur wirkte zugegebenermaßen recht kräftig. Sie hatte eine zerschnittene Jeans an und ein Top, das eher aussah wie ein schwarzes Spinnennetz, allerdings verschleierte es etwas Sabrinas Ausmaße. Passend dazu hatte sie schwarzen Lidschatten und dunkelroten Lippenstift aufgetragen. Elisabeth fand das Outfit cool, vielleicht deswegen, weil ihre Mutter ihr nie so etwas erlaubt hätte. Sabrina hakte sie unter und sie betraten das Gebäude. Es war viel kleiner als die Schule in Hannover mit ihren Plastikwänden und riesigen Gängen. Hier wirkte alles beschaulich. Von der zehnten Klasse gab es nur eine A und eine B. Sabrina steuerte zielsicher auf das Klassenzimmer der B zu. Einige Schüler saßen schon im Raum. Sabrina zog Elisabeth mit und setzte sich, ohne jemanden zu fragen, in die erste Reihe. Elisabeth zögerte.

»Sei nicht so schüchtern, setz dich!«

»Nun ja, ich habe noch nie in der ersten Reihe gesessen. Ich verdrücke mich meistens nach hinten!«, gab diese zu.

»Damit ist jetzt Schluss! Ich habe dir versprochen, dass ich dir helfe, und das tue ich auch. Hier vorne bekommt man alles mit und du kommst auch häufiger dran!«

Mit einem leicht verängstigten Blick setzte Elisabeth sich dann doch hin.

»Schau mal, die Grabschlampe hat eine Freundin gefunden! Heißes Gestell, wenn auch etwas dürre.« Vinzenz und seine zwei Schatten, Alim und Ojan, standen in der Tür.

Sabrina wurde vor Wut rot, was sich bei ihrer hellen Haut in tiefem Rosa zeigte. Elisabeth tat lieber so, als hätte sie es nicht gehört und suchte etwas in ihrer Tasche. Sie wusste nicht, was sie auf den Spruch erwidern sollte, und war dankbar, dass in dem Moment ein blonder Junge mit Sommersprossen sich an den Dreien vorbeischob und ebenfalls in die erste Reihe setzte, direkt neben Elisabeth auf die andere Seite des Mittelganges.

»Na, da ist ja der andere Streber! Kannst schnell laufen, Theo.« Mit höhnischem Gelächter gingen die drei zur letzten Reihe und fläzten sich hin. Alle anderen in der Klasse machten ihnen eiligst Platz.

»Hi Theo!«

»Hi Brina! Du musst die Tochter von den Wollners sein, richtig?«, Theobald sah Elisabeth erwartungsvoll an.

Elisabeth gaffte mit offenem Mund zurück und vergaß ganz, zu antworten. Sabrina sprang für sie ein.

»Ja und sie hat auch einen Namen, sie heißt Elisabeth!«

»Klar! Deine Mutter habe ich schon kennengelernt. Du hast noch eine Schwester, richtig?« Als Elisabeth immer noch nicht antwortete, ergänzte er, »Dies ist eine kleine Bergstadt. Hier bekommt man vieles mit. Dein Vater hat im Matheinstitut angefangen, oder? Bist du auch ein Mathefreak?«

Elisabeth schüttelte mit traurigem Blick den Kopf. »Genau da bin ich eine Vollniete«, räumte sie ein. Sie fand Theobald gar nicht aufdringlich. So, wie er das betonte, war es eine simple sachliche Feststellung, nicht mehr. »Aber Sabrina will mir helfen!«, verriet sie ihm gleich.

»Wenn du Fragen hast, kein Ding. Kannst mich auch immer fragen!«

»Soso, willst du etwa etwas wiedergutmachen, indem du jetzt deine Hilfe anbietest?«, funkelte Sabrina Theobald böse an.

Elisabeth wusste zwar nicht, worauf ihre Freundin anspielte, aber jetzt wurde Theobald rot und drehte sich von ihnen weg. Sabrina warf ihr einen wissenden Blick zu, kam aber nicht mehr dazu, etwas zu erklären, denn jetzt betrat eine ältere Frau mit Nickelbrille und strengem Anzugskostüm das Klassenzimmer. Zu Elisabeths Verwunderung setzte schlagartig ein Gescharre von Stühlen ein, als alle Schüler gleichzeitig aufsprangen, sogar die drei in der letzten Reihe. Also tat Elisabeth es ihnen gleich.

»Guten Morgen, Frau Schramm!«, dröhnte es durch die Klasse.

Die sehr korpulente Frau stelzte auf hohen Absätzen in den Raum und stellte mit einem wohlwollenden, aber irgendwie strengen Lächeln ihre Tasche auf dem Pult direkt vor Elisabeth ab, welche erstaunt auf ihre Klassenlehrerin hinabblickte. Diese war mit Absätzen gut und gerne anderthalb Köpfe kleiner als sie und maß nur knapp über einen Meter fünfzig. Aber das täuschte über ihre wahre Größe hinweg, denn die Klasse spurte sofort. Mit dieser Frau war sicher nicht gut Kirschen essen, wenn man ihr in die Quere kam, vermutete Elisabeth.

»Guten Morgen, neue Zehn B!«, trällerte es der Klasse in einer tiefen Altstimme entgegen. »Wie ich sehe, haben alle die schulfreie Zeit gut überstanden und auch diejenigen, die hart um die Versetzung in den nächsten Jahrgang kämpfen mussten, haben den Klassenraum ebenfalls wiedergefunden!«

Dabei stach ihr Blick, der nun kaum noch etwas von dem Lächeln zeigte, an allen anderen Schülern vorbei direkt auf die letzte Reihe. Dann wandte sie sich wieder nach vorn.

»Sabrina, meine Liebe, ich sehe, dass dein Kleidungsgeschmack sich nicht gebessert hat, was ich sehr bedauere. Wir haben auch einen Neuzugang aus Hannover, Elisabeth Wollner! Willkommen! Ich sehe, dass du ordentlich Nachholbedarf hast.« Sie warf kurz einen Blick in eine Mappe, die sie mit einer flüssigen Bewegung aus ihrer Tasche gezogen hatte, »Aber ich stelle fest, dass du dich verbessern willst. Dafür hast du dich genau an die richtige Stelle gesetzt. Wenn du fleißig bist, werden wir das schon hinbekommen! Ach, ein Lichtblick in Sport sehe ich. Nun, das ist nicht mein Fach, aber irgendeine Schwäche hat vermutlich jeder. Auf jeden Fall sind wir mit dir wieder zwanzig Schüler, nachdem Peter Jannes uns leider verlassen hat.« Zur Klasse gewandt ergänzte sie noch: »Dieses Jahr haben wir auch einen neuen Lehrer an der Schule. Ihr werdet ihn in Geschichte und Sport haben. Herr Burglos ist viel herumgereist und wird sicherlich mit einer ganzen Reihe von interessanten Begebenheiten den Unterricht auflockern können.« Es klang, als wäre das etwas Schlechtes. Frau Schramms Abneigung gegen den neuen Lehrer triefte förmlich aus ihren Sätzen.

»Ihr sollt euch wegen der AGs bis zur sechsten Stunde vor dem Sekretariat in die Listen eintragen. Jeder muss mindestens zwei AGs wählen. Nun denn, lasst uns anfangen! Der neue Stundenplan ...« Sie öffnete die Tafel und alle setzten sich hastig, um ihn abzuschreiben.

Elisabeth merkte schnell, dass die Klasse Frau Schramm nur ein Theater braver Schüler vorspielte. Unter den Bankreihen wurden Zettel getauscht und hinter ihrem Rücken wilde Grimassen geschnitten. Sabrina und Theobald machten eifrig im Englischunterricht mit und Elisabeth erkannte, dass es durchaus ein Vorteil war, wenn die Klasse einem nicht direkt ins Gesicht schauen konnte. Beeinflusst von beiden meldete sie sich auch einmal mit und kam prompt dran. Als ihre Antwort Frau Schramm zufrieden stellte, knuffte ihr Sabrina aufmunternd in die Seite. So schlecht fing es doch gar nicht an.

In der Pause nach der zweiten Stunde strömten die Schüler in die Aula. Am Schwarzen Brett vor dem Sekretariat hingen die AG-Listen aus. Viele hatten sich schon eingetragen.

»Du sollst doch abnehmen, hat deine Mama gesagt«, fing Elisabeth an, als sie eine Liste sah, in der erst wenige Einträge standen und über welcher der Titel Fit in allen Belangen prangte.

»Ja schon«, sagte Sabrina, »aber ich will weiter die Astronomie belegen bei Grobber. Da lernt man viel über Sterne.«

»Gut, dann trag mich auch da mit ein, aber es sieht schon voll aus.«

Sabrina zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und trug sich und Elisabeth in die Liste für Astronomie mit ein, obwohl die Plätze bereits voll waren.

Das blanke Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht, als Elisabeth dies auch für die Sport AG tat.

»He, was soll das denn? Ich habe uns doch gerade in Astronomie eingetragen«, meuterte Sabrina.

Elisabeth grinste. »Ja schon, aber wir müssen immer zwei Kurse angeben, oder? Und in diesem Kurs sind erst sechs andere Leute drin. Ich wette, der wird es. Du willst doch fit werden, oder?«

Nun sah Sabrina auch hin. »Bist du völlig übergeschnappt? Da stehen unsere drei Schuldeppen auch drin. Ich mach doch keinen Kurs mit denen.«

»Komm schon«, animierte Elisabeth sie. »Du hilfst mir, schlau zu werden, und ich helfe dir, fit zu werden.«

Bevor Sabrina, die inzwischen sauer wurde, sich an Elisabeth vorbeidrängeln konnte, um ihren Namen durchzustreichen, schob sich jemand anderes vor und trug sich ebenfalls ein.

»Theo? Du auch?«

Der Apothekersohn drehte sich zu ihnen um. »Wenn ihr euch traut, dann ich auch. Was sagt ihr, wollen wir endlich unseren Ruf als Streber ablegen?«

Sabrina blickte Theobald mit derart verdattertem Gesicht an, dass Elisabeth losprusten musste. »Ich glaube, das liegt an mir«, stieß sie dann hervor. »Kaum da und schon bringe ich alles durcheinander. Aber wenn ihr beiden auch mitmacht, dann werden wir es denen schon zeigen.«

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