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Der Testlauf – Sabrina

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Es waren zwei weitere Wochen ins Land gegangen und der Oktober zeigte sich von seiner schönen Seite. Sabrina hatte keine ungebetenen Besuche mehr gehabt, weder mit noch ohne Spiegel, und war dankbar dafür.

Manfred Burglos war wieder zurückgekehrt. In Geschichte war er richtig witzig, fand Sabrina. Er wusste so viele Anekdoten zu den Ereignissen zu berichten, dass sie im Unterricht richtig mitfieberte. Neben Theobald tat sich auch Elisabeth hervor und entwickelte sich langsam zu einer richtigen Streberin. Herr Burglos schien im Besonderen sie dranzunehmen, war Sabrina aufgefallen. Wann immer ihre Freundin sich meldete, kam sie relativ zuverlässig zu Wort. Theobald und sie konnten meist noch etwas ergänzen, aber es schien, als wenn der Lernknoten bei Elisabeth langsam platzte.

Dagegen wurden die drei Jungs in der letzten Reihe immer stiller. Vinzenz schien noch abwesender als sonst. Er hatte dicke Ringe unter den Augen und nickte oft ein. Zumindest war das im Unterricht so, doch auf dem Pausenhof ließen er und die Zwillinge die Coolen heraushängen. Sie rauchten heimlich und terrorisierten ihre Mitschüler mehr denn je. Ojan hatte Sabrina nach den Sprints versucht aufzuziehen, aber diese tat das nur mit einer Handbewegung ab. Ihr war Sport sowieso egal, behauptete sie, nur um sich die Woche darauf selbst zu widerlegen.

Im Sportunterricht kamen Ballwurf und Kugelstoßen dran. Endlich eine Disziplin, bei der Sabrina wirklich glänzen konnte. Sie schaffte auf Anhieb die zweitgrößte Weite der Mädchen, ganz knapp hinter Elisabeth, die in allem ein Naturtalent zu sein schien, was Sport hieß. Sehr zum Leidwesen ihrer Widersacher bekam sie in der Klasse dafür viel Anerkennung.

An diesem Tag stand der Testlauf an, den Manfred Burglos nicht nur für die AG, sondern für den gesamten Jahrgang und die Oberstufe angesetzt hatte. Fast alle Schüler und einige Lehrer machten mit. Insgesamt gingen an die zweihundert Läufer und Läuferinnen an den Start. Burglos hatte die Devise ausgegeben: Wachst über euch hinaus!

Der Weg führte vom Gymnasium aus Richtung Zellerfeld, über den Höhenkamm nach Wildemann und im Bogen an der Langlaufloipe entlang zurück zur Schule. Herr Burglos war schon seit dem Morgengrauen auf den Beinen. Er hatte einige Nichtläufer als Helfer dabei, um die Wegweiser aufzustellen. Ojan befand sich unter ihnen.

Viele Eltern waren ebenfalls gekommen, wie Sabrina bei ihrer Ankunft feststellen musste. Emilia Wollner befand sich jedoch nicht darunter. Elisabeth hatte kürzlich eine Flasche verloren und sich, wie Sabrina wusste, kräftige Schelte eingefangen. Sabrinas eigene Mutter war aber da und Anna Binsenkraut brachte mehrere Paletten mit Sportdrinks vorbei, verschwand aber gleich wieder in die Apotheke.

Ihre beste Freundin war aufgeregt, noch aufgeregter als sonst. Burglos hatte alles noch schlimmer gemacht, als er Sabrina und Elisabeth vor der Umkleide abgefangen und gesagt hatte, dass er mit einem Start-Ziel-Sieg von Elisabeth rechnete. Sicher, sie lief schnell, aber unter diesem Druck hibbelte sie hin und her und verschwand schließlich auf die Toilette, obwohl es bald losgehen sollte.

Zuerst sollten die Jungen starten, später die Mädchen. Sabrina wanderte umher, doch nach einer Weile ging sie wieder hinein, um Elisabeth dort zu suchen. An der Tür der Mädchenumkleide prallte sie mit Theobald zusammen. Er lief rot an und versuchte, sich schnell an Sabrina vorbeizudrücken.

»Theo, was machst du denn hier drin? Du hast hier nichts verloren.«

Ganz untypisch für ihn stammelte er nur, er habe sich in der Tür geirrt, weil er noch auf die Toilette müsse. Sie sah ihm kopfschüttelnd nach, wie er eine Tür weiter in die Jungenumkleide ging.

In diesem Moment wurde sie abgelenkt, als eine Lehrerin auftauchte, die schnell noch einen Tisch für die Kaffeetafel holen wollte. Da die Jungen fast alle am Start standen, packte Sabrina mit an und brachte den Tisch nach draußen.

Dort vor dem Schulgebäude waren mit Trassierband eine Startlinie und ein Zieleinlauf aufgebaut. Die Läufer wurden gerade aufgefordert, sich bereit zu machen. Vinzenz und Alim standen mit in der Startgruppe. Theobald kam erst im allerletzten Moment aus dem Gebäude und stellte sich zu der Läufergruppe dazu. Sabrina zeigte ihm den gehobenen Daumen zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Er grinste verschämt, wurde rot und blickte weg. Einen Moment später erklang der Startschuss. Die Eltern und einige Geschwister feuerten die Läufer an, aber schon bald waren auch die letzten davon um die Ecke verschwunden.

»Start der Mädchengruppe in fünf Minuten!«, verkündete Manfred Burglos laut.

Wo blieb Elisabeth nur? Als Sabrina sich überall umsah, fiel ihr ein Mann auf, der abseits von allen anderen Eltern etwas erhöht stand und der Laufgruppe der Jungs mit einem Feldstecher nachsah. Es gab schon merkwürdige Typen hier im Harz, dachte sie noch bei sich, bevor sie zurück in die Umkleide zu den Toiletten lief.

»Elle, wo bist du? Wir sind gleich dran.«

»Hier hinten!«, kam es hinter einer Tür hervor. »Kannst du mir meinen Trank bringen, ich bin so schrecklich nervös. Er ist in meinem Rucksack in der kleinen Bauchtasche, die ich sonst immer mit mir trage.«

»Ist gut, ich weiß schon!« Sabrina lief zu den Taschen und fand die Bauchtasche sogleich. Sie lag oben auf und stand offen. Die Flasche schaute schon heraus. Mit ihr lief sie zurück und reichte sie unter der Tür hindurch.

»Danke! Du bist eine echte Freundin, Brina! Ich weiß, ich kann das, aber jetzt spinnen meine Nerven. Ich komme gleich, geh schon mal vor.«

So ging Sabrina wieder zum Start zurück. Sie hatte Elisabeth genug beobachtet und ahmte jetzt ihre Aufwärmübungen nach, doch immer wieder schaute sie zum Eingang der Schule zurück. Der merkwürdige Typ stand noch da und schien jetzt die Mädchen zu beobachten. Sabrina richtete sich auf und runzelte die Stirn. Sie hatte ihn noch nie hier gesehen. Was wollte der hier?

Schließlich, als alle anderen schon aufgefordert wurden, sich bereitzumachen, kam Elisabeth aus der Schule gejoggt. Sie hatte den Kopf gesenkt und schien nur auf ihren Weg zu schauen.

»Was hast du noch so lange gemacht?«, wollte Sabrina wissen. Elisabeth sah sie nicht an, auch sonst niemanden. »Alles in Ordnung mit dir?« Sie berührte ihre Freundin locker am Arm, doch diese schob sie mit der Faust weg. Da sah sie, wie Elisabeth überall leicht zitterte. »Hast du deine Medizin nicht genommen?«, flüsterte sie.

»Doch!«, kam es aus gepressten Lippen und knurrend zurück, »Und nach dem Lauf bringe ich jemanden um! Und ich weiß auch schon ganz genau, wen.« Die Stimme klang so verzerrt, dass Sabrina sie nur mit Mühe verstehen konnte. Doch eine weitere Frage konnte sie nicht mehr stellen, weil der Startschuss fiel.

Elisabeth sprintete allen weg. Sabrina rannte mit sorgenvoller Miene hinterher, wusste aber, dass sie froh sein konnte, überhaupt durchzulaufen. Doch nach einer Weile merkte sie, dass sie sich gar nicht schlecht schlug. Sie konnte sich im Mittelfeld halten, was aber jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte.

Als Sabrina, schnaufend wie eine Dampflok, am Waldrand ankam, grinste dort ihr Klassenkamerad Ojan sie gehässig an.

»Diesmal gibt es keine Lorbeeren für deine Zickenfreundin!«, rief er ihr zu.

Zunächst konnte sie sich keinen Reim darauf machen, aber er brachte sie aus dem Tritt. Nach weiteren fünfhundert Metern bekam sie Seitenstechen und musste gehen. Während sie durchschnaufte, um das Stechen loszuwerden, arbeitete ihr Verstand fieberhaft. Warum hatte Ojan an der Abzweigung gestanden? Es war doch klar, wo der Weg langging. Das Trassierband war auch überflüssig. Sie kam nicht drauf, und als eine weitere Läuferin sich ihr näherte, nahm sie wieder Laufschritt auf. Sie wollte nicht die Letzte werden.

Auf dem letzten Anstieg zurück zum Gymnasium gab Sabrina noch einmal alles. Den ganzen Weg über hatte sie die Sorge um Elisabeth angetrieben, die eindeutig nicht sie selbst gewesen war. Sie konnte sich noch immer keinen Reim auf Ojan machen.

Auf die Zielgerade lief sie bei Weitem nicht als Letzte ein. Sie sah verbissen nach vorne, als sie die vielen Menschen erblickte. Ihre Mutter winkte direkt vorm Ziel, schrie und feuerte sie auf ihren letzten Metern an. Theobald stand neben ihr und rief auch, aber er sah irgendwie bekümmert aus, ja er schaute an Sabrina vorbei, ganz so, als erwarte er jemand anderen. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Er war in der Mädchenumkleide gewesen. Der Trank! Er hatte vermutlich irgendwas daran gedreht. Als sie über die Ziellinie lief, hielt sie nicht an. Sie rannte an den ausgestreckten Armen ihrer Mutter vorbei, packte Theobald und schob ihn durch die Menge.

»Was hast du mit Elle gemacht?«, herrschte sie ihn an, während sie ihn hinter eine Hausecke schob. Theobald bekam so einen riesigen Schreck, als Sabrina wie eine Furie auf ihn eindrang, dass er erst kein Wort hervorbringen konnte. Sabrina ohrfeigte ihn, gleich dreimal hintereinander, bis er in Tränen ausbrach.

»Ja, ja, ich ergebe mich, hör auf. Ich mache mir doch auch schreckliche Sorgen.«

»Gib das mit dem Trank zu! Du warst in der Umkleide.« Energisch stemmte Sabrina ihre Hände in die Hüften. Der Schweiß rann ihr in Sturzbächen hinab, aber sie merkte es nicht, weil sie nur noch wütend war.

»Ja, doch, ich gestehe! Aber ich kann mir nicht erklären, was passiert ist. Ich habe doch alles mehrfach durchgerechnet und eine neue Variante meines Boosters mit Elles Trank gemischt. Es hätte wirken und sie kontrolliert stärken sollen. Sie hätte schon längst da sein müssen. Sie ist nicht angekommen, meine ich.«

Jetzt schwante Sabrina, was das blöde Grinsen vorhin von Ojan bedeutet hatte. Sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

»Ich bin so blöd. Die haben sie auf den Waldweg nach Wildemann geschickt, diese Schweine. Ich muss zu Herrn Burglos. Elle läuft in die falsche Richtung und dreht vermutlich gerade durch oder bekommt einen Schock, weil sie ihren Trank nicht hat. Wenn ihr auch nur eine Kleinigkeit passiert ist, dann wirst du dafür bezahlen, Theobald Binsenkraut.«

Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief los, um ihren Sportlehrer zu suchen. Theobald ließ sie wie ein Häufchen Elend in sich zusammengesackt an der Mauer zurück. Doch schon bald kam er ihr nach.

Als Sabrina Theobald entdeckte, blickte sie ihn wütend an, aber er kam auf sie zu und sagte: »He, es tut mir wirklich schrecklich leid. Lass mich auch helfen.« Dabei sah er so jämmerlich aus, dass sie gegen ihren Willen weich wurde.

Sabrina zögerte noch einen Moment, dann entschied sie: »Gut, wir brauchen jeden, der helfen will. Frau Wollner kommt gleich mit dem Auto, meine Mutter bleibt hier und Herr Burglos läuft die Runde mit einem Kollegen nochmal ab. Der kommt in fünf Minuten her, zieht sich nur noch schnell die Laufschuhe an. Ojan ist nicht da und Vinzenz und Alim sind auch verschwunden. Ich habe den Erwachsenen gesagt, dass Ojan sich vermutlich einen Spaß erlaubt hat, aber ich wette, die anderen beiden stecken mit ihm unter einer Decke – wie immer.« Dann wandte sie sich an ihre Mutter. »Mama, Theo und ich laufen die Strecke rückwärts ab, dann geht es schneller, falls sie den Weg wiedergefunden hat und von dort kommt. Ich nehme mein Handy mit.« Ihre Mutter, die immer noch telefonierte, nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Dann liefen beide los.

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