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Der Testlauf – Elisabeth
ОглавлениеElisabeth schluckte ohne nachzudenken eine erhebliche Menge des Trankes, den ihr Sabrina gerade unter der Toilettentür durchgereicht hatte, bevor sie feststellte, dass der Geschmack nicht stimmte. Er war schon immer eklig gewesen, aber diesmal hatte er sie im Nachgeschmack an den Booster von Theobald erinnert. Und prompt hatte die Wirkung eingesetzt. Theobald musste ihren Trank mit einer neuen Variante seines Boosterzeugs gemischt haben. Er war schon die ganze Zeit darauf erpicht gewesen, mehr über den Trank zu erfahren, und letztens war doch eine weitere Flasche verschwunden, obwohl Elisabeth sich sicher war, sie nicht verloren zu haben. Die Wirkung übermannte sie. Jedes Geräusch um sie herum wurde übermäßig laut, so wie das Strömen des Wassers in den Rohren. Das Kribbeln schoss aus ihrem Magen in alle Körperteile und lies sie zittern und ihre Muskeln flattern.
Mistkerl! Sie wurde in einer Art wütend, die sie vorher nicht gekannt hatte. Von draußen hörte sie kurz darauf überdeutlich die Aufrufe zum Start. Der Lauf würde bald losgehen. Sabrina wartete sicher schon auf sie. Verzweifelt grub sie die Fingernägel in die Hände. Der Schmerz half ihr, den Kopf etwas klarer zu bekommen. Sie schlug gegen die Wand, Schmerz explodierte in ihrer Hand und die Haut platzte auf. Wieder und wieder drosch sie dagegen, bis die Fliesen sprangen und von der Wand fielen, doch jetzt hatte sie fast wieder einen klaren Kopf. Sie riss die Klotür auf und schlug sie hinter sich so heftig zu, dass sie aus den Angeln brach. Sie würde laufen und dann würde jemand leiden. Theobalds Gesicht erschien in ihrem Geist und sie kanalisierte ihre Wut auf ihn, ja sie würde ihn einholen und auf dem Weg zusammenschlagen, bis er wimmerte.
Hauser ging schnell zurück zu seinem Jeep. Sein Besuch bei Jennifer war aus mehrerlei Sicht schockierend gewesen. Das Haus verfiel zusehends, sie war sichtlich gealtert und trank viel. Er hatte es gerochen, als sie ihm die Tür aufgemacht hatte. Ihr Schock, ihn wiederzusehen, hatte prompt zu einem Kreislaufzusammenbruch geführt. Er hatte sie aufgefangen und hineingetragen. Dann hatten sie doch versucht zu reden. Aber am meisten hatte ihn getroffen, als sie ihm eröffnete, dass er ein Kind hatte. Er und Vater? Sie hatte es ihm nie geschrieben. Als er nicht so reagierte, wie sie es wohl gehofft hatte, hatte sie ihn nur noch beleidigt und angeschrien, wo er all die Jahre gewesen war. Vorsichtig hatte er versucht, ihr zu erklären, dass er jetzt ungewöhnlichen Geschichten nachjagte und darüber Artikel schrieb. Doch sie hatte das als Spinnerei abgetan. Er hatte von ihr nicht einmal erfahren, wie das Kind hieß. All das hatte er in der Folgezeit recherchiert. Diese Spur hatte ihn hierher geführt, an diese Schule. Sein Kind nahm an diesem Lauf teil und es erfüllte ihn mit Vaterstolz, zu sehen, dass es so sportlich war. Bis eben hatte er darüber nachgedacht, bis die Mädchengruppe losgelaufen war. Der Start des großen, blonden Mädchens, die als Letzte zu den Läuferinnen getreten war, hatte ihn in seinen Bann gezogen. Er würde an eine andere Stelle fahren und von dort nochmal beobachten.
Wie im Rausch rannte Elisabeth im Sturmlauf über den Parcours und nahm links und rechts nur vage Gestalten wahr. Sie hatte eine Beute und würde sie jagen. Als sie in den Wald kam, verlief das Absperrband nach rechts. Ojan stand einsam mit einer Art Lotsenkelle da und wies sie weiter. Dass er höhnisch grinste, registrierte sie nicht.
Ein Beobachter im Schatten der Bäume hatte gesehen, wie der Junge das Trassierband gelöst und mitten über den Laufweg gespannt hatte, nachdem die letzten beiden Jungen vorbeigelaufen waren. Der eine hatte ihm zugerufen, dass sie die Letzten seien, aber er sich beeilen solle. Jetzt kam eine einsame Läuferin näher. Es war sie. Sie lief schnell und elegant. Der Junge wies sie auf den falschen Weg und sie bog ab. Er führte nach Wildemann ins Tal und war viel länger als der andere Weg, den er selbst vorher inspiziert hatte. Was hatte das zu bedeuten?
Kaum war das schlanke Mädchen außer Sicht, da band der Junge das Trassierband wieder ab und brachte es in die alte Position. Sie isolierten sie. Der Beobachter erhob sich und lief ihr hinterher, allerdings durch den Wald und das Unterholz, doch das kümmerte ihn nicht. Er war schnell genug.
Elisabeth lief und lief. Während sie durch den Wald rannte, ging es ihr immer besser und die übermäßige Wut verebbte langsam. Sie schnappte während des Laufens Gerüche auf, die so intensiv auf sie wirkten, wie sie es vorher noch nie gerochen hatte. Geräusche drangen an ihre Ohren. Und da ein Knacken. Jemand lief oberhalb von ihr durch den Wald. Sie reduzierte ihr Tempo etwas, um besser hören zu können, doch schon war es wieder weg. Vielleicht ein Reh. Sie lief weiter und wunderte sich, dass sie die Jungengruppe immer noch nicht eingeholt hatte.
Als sie an die nächste Kreuzung kam, stand bereits jemand dort. Ein Mann, etwas über dreißig, so wie ihre Mutter. Er sah extrem gut aus, aber das irritierte Elisabeth viel weniger, als dass er bis auf eine Art Tüte, die er sich vor seine Hüften hielt, nackt da stand. Ein Verrückter? Sie stoppte verwirrt, denn er versperrte ihr den Weg.
»Äh ... alles in Ordnung?«, rief sie ihm zu.
»Ja, schon, ich war nur im See schwimmen und ich habe meine Klamotten am Ufer nicht mehr gefunden!«, erklärte er lächelnd.
Es sollte wohl unschuldig aussehen, doch dafür schien er es zu sehr zu genießen. Sein Blick hatte etwas Verwegenes. Das irritierte sie noch mehr.
»Ist auch nicht so wichtig, das passiert mir öfter. Du bist von dem Schullauf, richtig? Da bist du aber vom Kurs abgekommen. Die Leute haben heute den oberen Weg gesperrt, der im Bogen nach Clausthal zurückführt. Hier kommst du ins Tal nach Wildemann.«
Elisabeth blickte den Mann fassungslos an.
»An deiner Stelle würde ich mich sputen. So schnell, wie du bist, kannst du die noch einholen, aber du musst den schmalen Pfad hier direkt den Hang hochnehmen. Na los, lauf schon!«
Elisabeth warf ihm noch ein »Danke!« zu, dann bog sie ab und nahm den Pfad, der kaum mehr als ein Wildwechsel zu sein schien. Sie war ihm wirklich dankbar für diese Hilfe, auch wenn ihr das Bild seines Körpers, die Augen und diese Stimme nicht mehr aus dem Kopf wollten. Es hatte etwas magisch Anziehendes an sich gehabt. Woher wusste der Mann nur, wie schnell sie laufen konnte, überlegte sie weiter. Er hatte sie ja nur einen kurzen Moment gesehen. Aber dann schoss ihr eine andere Frage durch den Kopf: Warum war sie eigentlich vom Weg abgekommen? Dann dämmerte es ihr, dass Ojan etwas damit zu tun haben musste. In diesem Moment begriff sie, warum er so dämlich gegrinst hatte. Die Wut kochte wieder in ihr hoch und sie rannte, so schnell sie konnte.
An der Kreuzung schnüffelte der Mann. Was für ein ungewöhnlicher Geruch!, dachte er bei sich. Definitiv interessant! Hinter dem Mädchen steckte mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Sie galt es weiter im Auge zu behalten. Er sprang wieder ins Gebüsch und fiel nach vorne. Wenige Sekunden später huschte ein Schatten durch das Unterholz und folgte ihr mühelos den Pfad bergauf.
Elisabeth nahm die letzten Meter durch die Büsche und sprang wieder auf den Weg. Hier hing der Geruch von Schweiß in der Luft. Sie war wieder auf dem Rundweg. Vor ihr, keine fünfzig Meter, sah sie Vinzenz und Alim gemächlich dahinjoggen. Sie stieß einen Schrei aus und rannte ihnen hinterher. Alim drehte sich daraufhin kurz um und stolperte fast, als er sie sah. Er stieß Vinzenz an und nun schaute auch er. Sie konnten es beide nicht fassen und liefen plötzlich schneller. Elisabeth holte spielend auf.
Als sie die beiden fast erreicht hatte, höhnte Vinzenz: »Na, eine Extratour gedreht, Süße?«
»Ich bin nicht deine Süße,« kam es zurück, »und nach dem Rennen sprechen wir uns unter vier Augen, aber jetzt lasst mich vorbei!«
Die Jungs gaben sich ein Zeichen und wichen beide nach links aus, sodass rechts am Hang eine Lücke entstand. Elisabeth steuerte darauf zu, als Vinzenz Alim plötzlich mit einem übertriebenen »Uups!« stieß und dieser wiederum in Elisabeth prallte.
Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte den Hang hinunter. Panisch versuchte sie noch, Halt zu finden, doch es ging zu schnell. Sie überschlug sich mehrfach und krachte weit unten gegen einen Baum. Dann wurde alles dunkel.
Der Beobachter sah aus der Ferne die Szenerie. Die beiden Jungen hatten offenbar nicht damit gerechnet, dass das Mädchen komplett abstürzte, aber bei dieser Geschwindigkeit hatte man kaum Möglichkeiten abzubremsen. Sie war entweder schwer verletzt oder tot. Die Jungen gerieten in Panik und flohen den Weg weiter. Sie ließen sie zurück.
Was für niederträchtige Wesen, dachte der Beobachter bei sich. Er lief los und huschte schnell über den Weg, bevor die ersten Läuferinnen um die Ecke biegen konnten. Er musste nachsehen, wie es dem komisch riechenden Mädchen ging.