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Mein Bein weinte

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Es war Horst Martin, der Propagandachef des Deutschen Filmmuseums, der die beknackte, die fürwahr unglaublich knorke Idee hatte.

Wir standen, wie immer vollkommen sinnlos, am Tresen des Kyklamino, meiner Stammkneipe im Frankfurter Gallusviertel, als Horst ein Gedanke durchfuhr und er ihn umgehend unserem Lieblingswirt Apollo vor den Latz ballerte.

»Apollo, wir organisieren ein Fußballspiel!« – »Was soll der Scheiß?« knurrte Apollo. Horst ließ sich nicht beirren. »Du bildest ein Team, und Jürgen und ich stellen eins zusammen. Dann werden wir sehen, wer die Hosen anhat. Das wird das größte Ereignis im Gallus seit 1985!«

»Meinetwegen. Aber ich bin Spielertrainer«, sagte Apollo, »damit ich Jürgen die Schienbeine polieren kann.« Ich nahm einen Schluck Bier und schwieg aus taktischen Gründen.

Die folgenden Wochen verbrachten wir mit endlosen technischen Vorbesprechungen über Grill- und Auswechselmodalitäten. Apollo warb für seine Truppe »Apollo 11« unterdessen allerhand Granaten aus dem engeren Tresenumfeld an, während Horst und ich wild durch die Gegend rekrutierten, um »Hermann United« zu komplettieren.

Unser Coach Hermann, der Happel vom Main, verordnete uns vorsorglich ein striktes Catenaccio-Konzept, sagte jedoch wegen einer »Familienfeier« eine Woche vor dem »Spiel des Jahres um den leeren Gallus-Pokal« ab. »Verflucht, was nun?« fragte mich Horst. Ich schwieg und engagierte am nächsten Tag Katja als Ersatztrainerin. Sie ist Eintracht-Fan, aber was soll man machen. Dafür legte sie uns einen detaillierten Ernährungsplan vor: »Pommes rot! Wir haben ja wohl auch rote Trikots.«

Horst wollte T-Shirts mit zwei Säulensätzen des Fußballs bedrucken lassen: auf der Brust »Fußball hat Tore, Völkerball nicht« von Ludwig Wittgenstein, auf dem Rücken »Tore entscheiden« von Gerd Müller. Damit wäre uns der Sieg nicht mehr zu nehmen, auch wenn Apollo versuchte, uns mit allerlei miesen Psychotricks aus der Bahn zu werfen: Sprechverbot am Tresen, großspurige Erzählungen über seine angeblichen »biologischen Begegnungen« mit unseren Frauen.

Die Sonne knüppelte auf den Kleinfeldplatz gegenüber den Redaktionsgebäuden der FAZ. Ich zog mich um und war groggy. »Wieso fehlt der Name Wittgenstein auf den Trikots?« fragte ich Horst. »Wittgenstein hätte noch mal sechzehn Euro gekostet«, sagte er.

Fipps und Joachim am Grill reichten Apollos Mannen regelwidrig frische Bratwürste. Apollo stolzierte mit einem albernen Klemmbord herum und erteilte Anweisungen auf türkokroatisch. Berry, mein Erzfeind in Apollos Lumpenelf, rief derweil unverbrauchte Kräfte an. »Transferschluß ist um 13.30 Uhr«, intervenierte Horst.

Katja malte eine kubistische Aufstellung auf einen Zettel und motivierte uns: »Jungs, macht euch mal lokker, raucht eine und trinkt ’n Bier.« Dann spähte sie hinüber zu den die Kluft der Three Lions tragenden Gangstern. »Bei denen hat noch keiner geraucht!«

Nach dem Auflaufen erklang unsere Hymne, die Marseillaise. Dem Gegner hatten wir die Internationale genehmigt, wegen seines russischen Damenanhangs. Mein Plan war, nach dem Shake-Hands den Anstoß auszuführen und mich anschließend auf Grund von Kräfteverschleiß auswechseln zu lassen.

Apollo, der Berlusconi des Gallus, hatte allerdings, wie wir plötzlich merkten, heimlich vier Spitzenstürmer aus der A-Jugend von Kickers Offenbach eingekauft. Ich steckte deshalb Sybille, der Schiedsrichterin, augenblicklich fünf Euro zu, die ich im Arschtascherl bei mir trug, rammte Berry beim ersten Laufduell den linken Ellbogen in die Rippen, versiebte eine Riesenchance und floh im fliegenden Wechsel das Geschehen.

Horst, Daniel Meuren, Ali, unser marokkanischer Ailton, Rasha, ein ehemaliger jugoslawischer Jugendnationalspieler, Michael, Stefan und Martin traten uns daraufhin 6:1 beziehungsweise eher 2:0 in Führung, praktisch uneinholbar jedenfalls. Aus unerklärlichen Gründen stand es zur Pause, nach zwanzig Minuten, dann 5:5. »Wär’ doch ein schönes Endergebnis«, schnaufte Stefan. Auch so ein Eintracht-Fan. »Das ist Unentschiedendefätismus!« wies ich ihn zurecht.

»Sie sind jünger, sie sind flinker. Aber wenn wir gewinnen wollen, gewinnen wir«, heizte Ali den Teamspirit an. Jetzt wollte ich gewinnen. Kurz nach dem Wiederanpfiff rannte ich einem Steilpaß auf halbrechts hinterher, segelte über ein gegnerisches Schienbein, zerfetzte mir das Knie und bewunderte die Flugbahn meiner Brille. »Jürgen, raus!« brüllte Katja. Ich hörte Apollo häßlich lachen.

Als ich total untrainierter Affe vom Platz kroch, wuchs an meiner rechten Wade in Sekundenschnelle ein handtellergroßes Ei. Unter der linken Kniescheibe floß das Blut. Katja schmiß aus Solidarität ihre Brille in den Sand und wechselte zwei Minuten vor Schluß wie eine Blinde. Prompt fiel das 7:8. Mein linkes Bein vergoß rote Tränen, der rechte Unterschenkel lief blau an.

»Ich möchte deiner Verletzung nicht zu nahe treten«, sagte Daniel wenig später. »Aber da muß man dreimal fest drauftreten.« – »Ihr habt verloren! ›No comment!‹ heißt das bei uns«, höhnte Apollo vom Grill herüber. Martin wollte das Resultat »bei der FIFA anfechten« und dekretierte im Hinblick auf eine etwaige Revanche: »Bedingung: Jeder muß vorher zwei Bier trinken.«

»Ich trinke schon das zweite Bier«, sagte Horst und trat dem Bierkasten in den Arsch. »Biertrinken ist doch leichter als Fußballspielen«, sagte ich und versprach: »Wir haben ihnen den Pokal bloß geliehen. Das nächste Mal rufe ich wirklich Nia Künzer an. Und dann gnade ihnen Griechenlands größter Gott: Apollo!«

Damit das mal klar ist.

Noch mehr Fußball!

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